Warum das echte Winken trotz Emojis nicht ausstirbt
Die Queen und der Papst haben das Winken perfektioniert. In der Corona-Pandemie kam es zum Revival. Warum die Handbewegung an Bedeutung gewinnt.
Um ihre Gelenke zu schonen, hatte Queen Elizabeth eine Handattrappe daheim im Palast stehen. Wie ihre Tochter Anne im Buch „Queen of the World“ verriet, überreichten ihr australische Studenten eine Winke-Maschine. „Sie gaben ihr einen Stoffhandschuh auf einem hölzernen Hebel, sodass sie das Ende des Hebels betätigen konnte. Dann ging diese Hand hin und her.“
Obwohl die Monarchin die Attrappe nie bei Auftritten benutzte, soll sie von dem frechen Geschenk begeistert gewesen sein und zum Gaudium ihrer Familie mit zum Sommersitz Balmoral genommen haben.
Ihre royale Winkbewegung ist wohl die bekannteste der Welt – gefolgt von der segnenden des Papstes. „Die Queen hat ihr Winken mit der nach innen gerichteten Handfläche über Jahrzehnte perfektioniert. Es wirkt so edel, weil es nur eine Andeutung einer Bewegung ist. Sie hätte niemals zu einer großen Bewegung ausgeholt“, sagt Paul Divjak. Der Schriftsteller, Künstler und Kulturwissenschafter hat soeben den umfangreichen Essay „Winken. Hommage an eine bewegende Geste“ veröffentlicht.
Winketechnik schonte Gelenke der Queen
Die ausgefeilte Winketechnik sollte nicht nur dezent und vornehm wirken, sondern – so heißt es oft – auch die Gelenke der Queen schonen.
Ob royales oder kindliches Winken, das zum Fuchteln wird, die Bewegung begleitet die Menschheit. In freudigen Momenten, aber auch beim traurigen Abschied. Sie kann ehrlich wirken oder aufgesetzt. Oder wie es Divjak ausdrückt: „Das Winken ist eine nonverbale Möglichkeit, mit einem Gegenüber in Verbindung zu treten und eine Beziehung anklingen zu lassen, aufzubauen und zu bekräftigen.“
Wie die Höhlenmenschen
Es ist eine der ersten Interaktionen, die ein Baby lernt. Und die Bewegung begleitet die Menschheit schon ziemlich lange. „Ich habe keine Aufzeichnung von Höhlenmenschen gefunden, die das bestätigen. Aber es gibt in der Tat in Höhlen Abbildungen, auf denen offensichtlich die winkende Hand zu sehen ist.“
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Die gängige Erklärung für den Grund des Winkens: „Man zeigt leere Hände. Man kommt ohne Waffen und als Freund“, sagt Divjak. Aber: „Das ist ein Erklärungsversuch, eine Zuschreibung. Das Spannende ist, dass es um etwas geht, das uns als Resonanzphänomen jeden Tag begleitet und das immer noch ein Rätsel ist.“
Das Süddeutsche Zeitung Magazin machte noch im Jahr 2011 das Winken zur „Geste von gestern“. Wenn niemand wirklich weg sei, brauche es auch kein Winken mehr: „Wo Skype, Facebook und eMail das Gefühl vermitteln, man sei überall erreichbar, geht auch das Gefühl für ein Leben auf Distanz verloren“, sagte die Kulturanthropologin Sabine Kienitz.
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Das hat sich geändert: „Interessanterweise gab es das Revival des Winkens in der Pandemie über Videotalks. Ohne dass Reglements aufgestellt wurden, haben alle am Ende gewinkt“, sagt Divjak.
Erklärungen dafür gab es viele. „Die übertriebene Bewegung könnte mit der gesteigerten Selbstaufmerksamkeit durch das Kamera-Setting zu tun haben: Menschen, die sich selbst beim Winken beobachten, verstärken eventuell die Bewegung“, sagte Psychologe Jörg Mertens einmal in Pandemiezeiten dem Medium National Geographic. Aber eventuell wollten die Menschen auch ironisch sein oder hätten sich einfach auf ein persönliches Wiedersehen gefreut.
Emoji verstärkt Wirkung
In einer Welt, in der wir oft über Bildschirme kommunizieren, gewinnt das Winken an Bedeutung, sagt Divjak: „Es erinnert uns daran, dass es immer noch direkt erfahrbare Verbindungen zwischen uns gibt.“ Die Winke-Emojis haben die reale Bewegung nicht ersetzt: „Die Bewegung hat sich im virtuellen Raum gespiegelt. Sie ist vielmehr ein Verstärkungsmotiv.“
Und doch gibt es Winke-Arten, die wieder verschwinden. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten beherzte Hobbyfilmer die Heimvideokamera dabei, wenn sich das Kind zur Erstkommunion anstellte, die Oma Kerzen auf der Torte auspustete, oder der Obmann des Fußballvereins eine Rede hielt. Im Hintergrund winkte stets jemand voller Freude in die Kamera.
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Das war peinlich – aber laut Divjak nicht der Grund, warum es das heute nicht mehr gibt: „Das hat eher damit zu tun, dass wir uns an die Medien gewöhnen. Das Filmen mit dem Smartphone ist selbstverständlich geworden. Da liegt der Griff zum Emoji näher.“
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