Autorin Ursula Poznanski: "In jeder Figur steckt etwas von mir"
Sie ist eine der erfolgreichsten Krimi-Autorinnen der Gegenwart: Ursula Poznanski sprach mit der "freizeit" über ihr neues Buch, die Faszination des Schreckens – und „anlassige“ Männer.
Dystopische Alternativ-Welten, Jugendbücher – und Thriller, die unter die Haut gehen: Kaum ein Buch, das Österreichs „Queen of Crime“ schreibt, landet nicht auf allen wichtigen deutschen Bestseller-Listen. Ihr neuer Wien-Krimi „Böses Licht“ bringt den Tod ins Burgtheater.
Krimis haben unter Autorinnen eine lange Tradition, denken wir nur an Agatha Christie oder Patricia Highsmith. Aber Ihre Bücher haben damit recht wenig zu tun …
Sie meinen Cosy-Crime? Wo es einen – möglichst unblutigen – Mord gibt, der dann mit Scharfsinn und Fingerspitzengefühl aufgelöst wird? Nein, das ist nicht mein Metier.
Sie gehen ans Eingemachte. Sind Sie damit eine Ausnahme unter den Autorinnen?
Na ja, Karin Slaughter etwa ist auch nicht gerade zart besaitet. Aber es stimmt schon, brutale Morde sind bei männlichen Kollegen üblicher. Meine aktuellen Wien-Krimis sind aber eigentlich gar nicht so blutrünstig. In der älteren „Vanitas“-Reihe geht’s bei den Mafia-Morden wesentlich ärger zur Sache.
Wird man da als Frau anders bewertet?
Nein, generell könnte ich das nicht sagen. Aber bei Lesungen kamen schon auch Reaktionen wie: „Sie sehen doch eigentlich ganz nett aus – was stimmt denn nicht mit Ihnen?“ Mir geht es aber darum, dass ich nicht einfach wegblenden will, wenn eine Gewalttat passiert. Ein Mord ist eine unglaublich grausame, endgültige Tat – das kann ich nicht ausklammern und nachträglich einen Toten, ein Messerchen und einen kleinen Blutstropfen präsentieren. Natürlich sollte die Beschreibung nicht voyeuristisch sein.
Diese Faszination des Schreckens, die den Leser in ihren Bann zieht, wirkt die auch auf den Schreiber?
Mir geht’s beim Schreiben nicht darum, Aggressionen abzubauen. Ich will, dass die Szene möglichst glaubwürdig ist. Aber es ist natürlich eine etwas schizophrene Geschichte, weil ein Teil von mir analytisch bleibt und darauf schaut, dass alles funktioniert, während ein anderer Teil schon in der Szene drin steckt. Ich bin also Labormitarbeiter und Versuchstier gleichzeitig.
Und den Leser lockt die Angst?
Prinzipiell ist es doch so, dass das Spannungs-Genre den Lesern eben die Gelegenheit bietet, in Abgründe zu schauen, ohne Gefahr zu laufen, hinunterzufallen. Man kann sich immer zurücklehnen, durchatmen und sich sagen: „Das ist nicht echt. Niemandem passiert in Wirklichkeit was.“ Ich glaube allerdings, dass auch das Rätsel wichtig ist, das am Beginn der Geschichte steht. Es ist wie ein Spiel zwischen Autorin und Leser. Schaffe ich es, euch bis zum Schluss an der Nase herumzuführen? Oder kommt mir jemand auf halber Strecke drauf? Wenn der Leser dann am Schluss sagt: „Wow! Das hätt’ ich doch sehen können!“, hab ich alles richtig gemacht. Weil ich ja schon Hinweise ausstreue
Ihr neuer Thriller spielt im Theatermilieu. Haben Sie ein Naheverhältnis zur Bühne oder mussten Sie sich Ihre durchaus detaillierten Kenntnisse erst aneignen?
Da habe ich zum Teil auf meine Erfahrungen als Statistin an der Staatsoper zurückgegriffen. Während meines Studiums war ich lange Komparsin, da bekommt man doch einiges mit. Und ich hab auch einige Schauspieler in meinem Bekanntenkreis, mit denen ich einiges besprechen konnte ...
Wird sich der eine oder andere Schauspieler wiedererkennen?
Nein, die habe ich alle erfunden. Es ging mir um grundlegende Verhaltensmuster, die ich beobachten konnte. Etwa dieses eigentlich Zurückgezogensein, dann aber doch plötzlich explodieren, auch mal in der Öffentlichkeit. Manche Eigenheit mag also vielleicht zu irgendjemand passen, in ihrer Gesamtheit haben meine Figuren aber keine reale Entsprechung in der Theaterwelt.
Wie viel von Ihnen ist zum Beispiel in Fina, der Polizistin, die in ihrem aktuellen Roman versucht, die Burgtheater-Morde aufzuklären?
In jeder Figur steckt etwas von mir. Weil woher soll ich’s denn nehmen? Sobald ich aus einer bestimmten Perspektive schreibe, also die Geschichte durch die Augen eines bestimmten Charakters erzähle, bin ich auch persönlich involviert, ob ich jetzt will oder nicht.
Auch wenn Sie aus der Täter-Perspektive schreiben?
Natürlich, auch das muss ich ja irgendwie aus mir herausholen ... So gesehen ist die Arbeit eines Autors nicht so unterschiedlich von der eines Schauspielers. Ein wenig wie beim Method-Acting, wenn man sich in den Charakter hineindenkt und dann versucht sich entsprechend seiner persönlichen Umstände und Gedanken zu verhalten.
Sie müssen fühlen, was der Mörder fühlt?
Ich muss die Szene ja aus seiner oder ihrer Perspektive erzählen. Ich muss mir die Gefühle also zumindest vorstellen können. Um sie dann in Worte fassen zu können.
Auch #MeToo ist ein Thema, da gibt es diese junge Schauspielerin und den alternden Bühnenstar, der ihr „helfen“ will, wenn wir das mal so formulieren wollen. Und sie steckt hier in einem Dilemma, das es so gar nicht mehr geben sollte. Ändert sich denn in dieser Hinsicht gar nichts?
Nur sehr langsam. Das ist auch dadurch bedingt, dass es sehr steile Hierarchien gibt. Ein Intendant, ein Direktor, ein Regisseur und diese wenigen Top-Positionen sind nach wie vor männlich dominiert. Noch dazu ist die Schauspielerei ein sehr körperlicher Beruf, das heißt, die Grenzen sind schwer zu ziehen, wenn einer den anderen angreift: Wann ist es noch professionell, wann wird da eine Grenze überschritten … Da gab es immer Männer, die „anlassig“ wurden, und die gibt es wohl noch heute. Und sehr oft traut sich niemand, es laut auszusprechen, weil’s sonst gleich heißt: „Oh, die ist kompliziert, mit der kann man nicht arbeiten, Finger weg.“
Wie kommen wir da raus?
Das ist ein Problem. Die junge Schauspielerin in meinem Buch ist in der Hinsicht eher pragmatisch. Sie will nicht unbedingt, überlegt aber, was es ihr bringen könnte. Eine Verhaltensweise, die immer vorkam und noch vorkommt, da bin ich überzeugt. Und vielleicht finden manche das auch nicht weiter schlimm. Schön für sie. Was allerdings nichts daran ändert, dass diese Dinge ein Ende haben müssen. Das wird aber erst passieren, wenn Frauen in hierarchischen Positionen ein Normalfall sind. Weil dann die Männernetzwerke mit ihrem „drücken wir halt ein Auge zu“ nicht mehr funktionieren.
Sie gelten nicht nur als eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen, sondern auch als eine der diszipliniertesten. Wie arbeiten Sie?
Zu allererst: Es bringt nichts darauf zu warten, dass einen die Muse küsst. Man muss schreiben. Ich fange vormittags an und habe mir selbst ein Soll von 1.000 bis 1.300 Worten am Tag gesetzt. Oder ich versuche es zumindest..
So kommen Sie auf zwei Bücher pro Jahr. Eines für Erwachsene und ein Jugendbuch.
Na ja, es ist eben mein Beruf. Ich kann doch nicht sagen, ich schreibe nur, wenn ich mich super-inspiriert fühle. Schreiben ist etwas, das ich jeden Tag mache – so wie andere Menschen ja auch jeden Tag arbeiten. Ich finde es immer witzig, wenn’s heißt, ich sei so wahnsinnig diszipliniert oder zwei Bücher im Jahr wären so eine unglaubliche Leistung. Krankenschwestern arbeiten härter, und die fragt keiner: wirklich jeden Tag?
Ursula Poznanski: „Böses Licht“, Knaur, München, 400 Seiten, ca. 16,99 €. Der erste Teil dieser Reihe heißt „Stille blutet“ (2022). Im Frühjahr 2024 wird die Trilogie abgeschlossen
Sie sind auch Viel-Leserin. Haben Sie einen Buchtipp für uns zum Abschluss?
Ja, sogar drei: Romina Pleschko, „Offene Gewässer“, Sven Stricker, „Sörensen sieht Land“ und R. F. Kuang: „Babel“.
(freizeit.at)
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Über Andreas Bovelino
Redakteur bei KURIER freizeit.
Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.
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