18+: Warum Erwachsenen-Spiele boomen und was jetzt trendet

Erwachsenen-Spiele boomen: Ein Therapeut erklärt den Trend und in Europas größtem Spielzeug-Shop erfahren wir, was der neueste Renner ist.

Die faustgroßen, pastellrosa Boxen sehen komplett gleich aus. Nichts lässt darauf schließen, welche der zehn Figuren, sich darin befinden. "Ah, aber genau das macht sie doch so spannend", sagt die Verkäuferin. Dass man nicht genau weiß, was man bekommt. 

Und wie alt sind die Kinder, die diese Figuren sammelt? Die Verkäuferin schüttelt den Kopf. "Dieser ganze Bereich", sie deutet auf Dutzende Stapel unterschiedlicher Sammelfigur-Sets um sich, "ist eigentlich nicht für Kinder." 

Es ist eine kuriose Aussage, befindet sie sich doch im Untergeschoß von Europas größtem Kinderspielzeug-Geschäft: dem Hamleys auf der Londoner Regent Street. Doch unter den kirschroten Markisen verschwinden Erwachsene immer häufiger, nicht nur, um ein Geschenk für das eigene oder das Patenkind zu besorgen – sondern für erwachsene Freunde.

Seit 1760 verkauft Hamleys Spielzeug - damit ist es laut dem Guinnessbuch der Rekorde das älteste Spielzeuggeschäft der Welt.

Seit 1760 verkauft Hamleys Spielzeug in London - damit ist es laut dem Guinnessbuch der Rekorde das älteste Spielzeuggeschäft der Welt. 

©Anna-Maria Bauer

Kinder verlieren das Interesse - Ältere geben 4,5 Milliarden für Spiele aus

Während die Spielzeugnachfrage in Europa bei Kindern in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken ist, sind laut Marktforschungsunternehmen Circana mittlerweile zwei Drittel der Erwachsenen bereit, zwei oder mehr Spielzeuge pro Jahr für sich selbst zu kaufen. 

Konkret geben Europas Teenager und Erwachsene gemeinsam 4,5 Milliarden Euro im Jahr für Brett-, Computer- und Sammelspiele aus – und machen damit bereits 30 Prozent des europäischen Spielwarenmarktes aus. Das ist ein Anstieg von 2,5 Prozent in nur zwei Jahren. Im englischsprachigen Raum hat sich ein Begriff für die neue Zielgruppe etabliert: Kidults, eine Zusammensetzung aus den englischen Begriffen für Kinder und Erwachsene. 

Kein nutzloses Vergnügen

Versuchen wir uns also unsere Kindheit zu bewahren? Oder wollen wir nicht mehr erwachsen werden? Für den Tiroler Psychotherapeuten Bernhard Hungsberger vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie greift diese Sichtweise zu kurz. 

Statt mit Kindern wird immer mehr mit Freunden gespielt

Statt mit Kindern wird immer mehr mit Freunden gespielt

©Getty Images/iStockphoto/vgajic/IStockphoto.com

"Spielen ist kein nutzloses Vergnügen." Evolutionär gesehen hatte es eine immense Bedeutung für die Menschheit: "Es bietet eine ungefährliche Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln. Es fordert das Gehirn, stärkt unsere sozialen Kompetenzen und trainiert unsere Ausdauer."

Was können dann aber Gründe für die wachsende Spielliebe der älteren Generation sein? Bernhard Hungsberger sieht mehrere Faktoren. 

"Zum einen hat sich unser Leben, unsere Arbeit, unser Alltag in den jüngsten Jahren stark verändert. Die Welt ist flexibler geworden und damit hat sich auch unsere Definition vom Erwachsensein gewandelt." In einer dynamischen Umgebung sind Neugier und Anpassungsfähigkeit gefragt – Eigenschaften, die durchs Spielen gefördert werden.

Neugier trifft Nostalgie

Bernhard Hungsberger gibt ein persönliches Beispiel: "Ich habe vergangenes Jahr eine Lego-Vespa mit 1.000 Teilen bekommen zum Geburtstag bekommen. Es hat richtig viel Spaß gemacht, sie zusammenzusetzen." Das Herumprobieren, die Herausforderung und, am Ende, das Erfolgserlebnis, als die Vespa fertig zusammengesetzt war. "Und ein bisschen nostalgisch war es vielleicht auch." Ein Geburtstag wie früher.

Therapeut Bernhard Hungsberger: "Spielen ist keine nutzlose Zeitverschwendung"

©Bernhard Hungsberger

Darüber hinaus sieht Hungsberger im Spielen eine Reaktion auf die aktuellen, unsicheren Zeiten. "Spielen ist ein wichtiger Ablenkungsmechanismus. Im Spiel können wir für eine gewisse Zeit, in einer positiven, glücklichen Welt verweilen. Wir haben Kontrolle, das fühlt sich gut an." Die Kraft, die wir daraus schöpfen, kann helfen, einen schwierigeren Alltag zu meistern. 

Marketing-Coup 18+

Und natürlich spielt die richtige Vermarktung eine große Rolle. Lego hat es wie kaum ein anderes Spielzeuglabel geschafft, die ältere Zielgruppe einzufangen. Im obersten Geschoß von Hamleys weisen einige der dänischen Baustein-Sets eine ungewöhnliche Altersbegrenzung auf: 18+. 

Natürlich könnten auch 15-Jährige den filigranen Blumenstrauß, den eleganten Bonsai oder das Notre-Dame-Modell zusammenbauen. Doch Lego möchte bewusst Erwachsene erreichen.

Neben den Lego-Sets und den Computerspielen, zieht es die Kidults im Hamleys vor allem ins Untergeschoß, zu den bunten Sets vom verträumten Dimoo, der großäugigen Molly oder dem frechen Monster Labubu in seinen Yoga-Positionen. 

Kleine Figuren, großer Hype

Pop Mart ist ein asiatisches Spielzeugunternehmen aus Hong Kong, das Sammler-"Designer"-Spielzeug im Überraschungsei-Prinzip verkauft. Die Figuren sind faustgroß und kosten ca. 15 Euro.

Das Unternehmen arbeitet mit Künstlern zusammen, um Charaktere zu entwickeln. Es brachte etwa eine Kollektion in Anlehnung an Keith Haring heraus und arbeitete mit Moncler zusammen.

Die Monster-Serie - mit Labubu, Molly oder Dimoo - ist besonders bekannt, nachdem Lisa, ein Mitglied der südkoreanischen Girlgroup Blackpink, ein Foto von sich mit der Puppe in der Hand auf ihren Instagram-Account hochgeladen hatte.

Der Markt für Spielzeugsammelstücke wurde 2024 auf 16 Milliarden Euro geschätzt und soll bis 2034 auf 42 Milliarden Euro anwachsen.

Sammelfiguren, sogenannte Collectibles, von Pokémon, Mangas oder derzeit vor allem von der asiatischen Marke Pop Mart sind so begehrt, dass das prestigeträchtige Victoria&Albert-Museum laut Guardian einen eigenen Experten dazu angestellt hat.

Die zehn möglichen Motive aus der "Lazy Yoga"-Kollektion von Labubu sind auf der pastelrosa Schachtelseite angebracht. Das Herz klopft beim Öffnen der Box tatsächlich ein bisschen schneller. Welche Figur wird es sein? Zum Vorschein kommt: 

Einer von zehn Labubu-Figuren aus der Yoga-Serie

©Bauer Anna-Maria

der lavendelfarbene Show-Off, der sich auf einen Yoga-Block stützt. 

Hm, nicht ganz der Favorit. Vielleicht führt der Weg also noch einmal zu Hamleys.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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