Sex an der frischen Luft im zügellosen Wien
Früher legten Menschen in Wien im Freien los, wenn es warm wurde. Welche Berühmtheiten sich im Prater herumtrieben und mit wem sich Kaiser Franz Joseph auf einer Bank vergnügte.
Küss die Hand. Von wegen. So elegant und züchtig war Wien in der Vergangenheit nie. Vor allem, wenn es Frühling wurde, die Bäume im Prater wieder blühten und die Triebe sich regten.
„Sex im Freien war in Wien gang und gäbe. Die Leute haben sich nicht viel gepfiffen“, sagt Gabriele Hasmann. „Wir sind heute moralischer als es die Menschen in früheren Zeiten waren.“ Sie muss es wissen. Hasmann ist Autorin des Buches „Sündiges Wien. Skandale, Lust und Laster“.
Sie liefert auch gleich eine plausible Erklärung dafür: „Die Behausungen waren seit dem Mittelalter verfloht, verwanzt und hygienisch bedenklich. Sex in einem Bett zu haben, war nicht prickelnd.“
Tatsächlich war es im Freien hygienischer. Und schöner, weil vielleicht hat es auch noch nach Blumen geduftet. „Und man hat sich vielleicht auch darüber gefreut, dass die Leute vorbeigelaufen sind und es gar nicht gemerkt haben.“
Wenn man an einem Samstagabend durch die Praterauen schlendert, um nach dem Rechten zu sehen, da fühlt man sich wie in einem Gruselkabinett.
Auch wenn ein Tête-à-Tête an der frischen Luft nichts Besonderes war, so war es doch nicht erlaubt. Maria Theresia schickte Spitzel der Keuschheitskommission aus, um das lasterhafte Treiben zu überwachen – vor allem, wenn es um käuflichen Sex ging.
Die Monarchin ließ Prostituierte verfolgen, ihnen manchmal die Haare scheren, sie an den Pranger stellen oder die Donau hinunter ins Banat deportieren. Doch in Wien herrschte große Armut, Prostitution war allgegenwärtig.
Wilder Prater
Ihr Sohn Joseph II . setzte auch auf ein Verbot, zog die Daumenschrauben aber nicht so stark an. Außerdem besuchte er selbst die Bordelle des Spittelbergs. Und doch zeigte er sich entsetzt, als er ein ehemaliges Jagdgebiet des Hochadels 1766 für die Allgemeinheit zugänglich machte. Denn schon bei der Eröffnung des Praters in der Nacht vom 7. auf 8. April ging es rund.
„Es wackelte so gut wie jedes Gebüsch“, sagt Hasmann. Kommissare der Sittenpolizei berichteten, dass „etwa zweitausend Mägdelein für bares Geld ihren Körper geboten haben“. Auch ein paar echte Liebespärchen waren wohl darunter.
Die Behörden ließen das Dickicht in den Praterauen ausdünnen. „So konnten sie leichter ungebührliches Verhalten in der Öffentlichkeit feststellen oder ledige Paare beim sündigen Treiben ertappen.“
Rendezvousgucker unterwegs
Geholfen hat es wenig. Der Prater war besonders in der warmen Jahreszeit ein Ort, an dem die Menschen dem Ruf ihrer Lust folgten und die Grenzen der gesellschaftlichen Konventionen überschritten. Ganz gleich ob „Rendezvousgucker“, also Voyeure, Freier, Prostituierte oder Paare.
„Wo man gegessen und getrunken und sich gefreut hat, war Sex im Freien immer die logische Fortsetzung. Das passierte auch nach Hinrichtungen.“
Ein Patrouillenbeamter schrieb 1827 in sein Dienstbuch: „Wenn man an einem Samstagabend durch die Praterauen schlendert, um nach dem Rechten zu sehen, da fühlt man sich wie in einem Gruselkabinett. Man sieht niemanden, aber aus den Büschen klingt Stöhnen und Keuchen, ein Rascheln und Schmatzen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kinder in einer solchen Nachte unter freiem Himmel gezeugt werden.“
Mit dem Wurstelprater verfügte der Prater aber auch über einen Vergnügungspark im eigentlichen Sinne. Auch hier warben Prostituierte um Freier. Und das nicht zu knapp und rund um die Uhr. Wegen der dort stattfindenden „Winkelprostitution“ war weibliches Personal zeitweise verboten.
Auch Berühmtheiten soll es in die weitläufigen und grünen Prater gezogen haben. Ludwig Wittgenstein zum Beispiel. Das behauptete zumindest William W. Bartley in einer 1973 erschienenen und umstrittenen Biografie. Der Philosoph aus gutem und steinreichem Hause habe 1919 unweit der Praterwiesen ein Zimmer bezogen.
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Dort habe er „derbe junge Männer“ gefunden, „die sich bereitwillig sexuell auf ihn einließen“, schrieb Bartley. Doch er gab die Namen seiner Informanten nie preis. Bis heute steht der Vorwurf im Raum, dass er Wittgensteins Jagd auf Burschen frei erfunden habe.
Verbrieft scheint zumindest Arthur Schnitzlers amouröser Ausflug. Immerhin notierte er als junger Mann am 28. März 1889 in sein Tagebuch: „Abend 6 Uhr erwartete ich romantisch in einer Vorstadtgasse im Fiaker sitzend – Adele – Sie kommt ‚verschleiert‘ – wir fahren in den Prater. Hintre Alleen, Dämmerung, dann Mondschein. Wahnsinnige Zärtlichkeiten! Unermeßlich ...“ Aber nicht genug für einen Mann, der sich selbst schon mal als „Thier“ bezeichnete. „Ehebrecherin will sie nicht werden. Als wenn das! kein Ehebruch wäre!“
Manchmal hat man eben Pech. Gut möglich, dass Schnitzler dem Fiaker in freudiger Erwartung vor der Fahrt das Wort „Porzellanfuhr“ zugeraunt hat. In diesem Fall sollte der Fiaker so vorsichtig fahren, als würde er ein zerbrechliches Geschirr transportieren. Kein Ruckeln sollte die Fahrgäste stören. „Das soll es auch heute noch geben. Es kommt nicht oft vor, aber es kommt vor“, sagt Hasmann, die von solchen delikaten Aufträgen bei Kutschern gehört hat.
Andere benutzten den Fiaker auch zum Aufriss. Luziwuzi, Ludwig Viktor, der Bruder des Kaisers, etwa. Er ging mit seiner Homosexualität locker um. Wie Michaela Lindinger in ihrem Buch „Sonderlinge, Außenseiter, Femmes fatales“ einmal schrieb, soll er auf der Prater Hauptallee „durch das Kutschenfenster einen gefälligen jungen Mann erblickt“ haben. Er stieg aus, machte seinem Gegenüber einen nicht misszuverstehenden Annäherungsversuch – und bekam eine saftige Watschn verpasst.
Kaiser auf der Parkbank
Sein Bruder Franz Joseph war offenbar etwas weniger explizit. Eines Morgens im Jahr 1875 sprach der 45-jährige Monarch die damals erst 15-jährige Anna Nahowski im Schönbrunner Schlosspark mit den Worten an: „Sie gehen aber fleißig spazieren.“ Und das machte Eindruck. Es folgte sofort ein Kuss und ein 13 Jahre andauerndes Verhältnis. „Wenn es warm war, haben sie es im Freien lustig gehabt“, sagt Hasmann.
Der Monarch und seine Geliebte vergnügten sich regelmäßig auf einer Bank im Tiergarten, die von außen nicht einsehbar war. „Als ihm die heimlichen Stelldicheins im Freien zu anstrengend wurden, besuchte er Anna zu Hause“, sagt Hasmann.
Sie wohnte dort mit ihrem Mann. Aber Herr Nahowski wurde „zufällig“ immer von der Südbahngesellschaft, für die er arbeitete, auf Dienstreisen in die Ferne geschickt. Das war ihm kein Volksfest.
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Die Bevölkerung liebte hingegen Volksfeste und Messen. Vor allem das, was sich im Finale dort im Freien abspielte. „Wo man gegessen und getrunken und sich gefreut hat, war es die logische Fortsetzung“, sagt Hasmann.
Und das war auch bei Hinrichtungen der Fall. „Für die Zuschauer gab es auf dem Weg zum Richtplatz Galgenbier und Galgenwürste.“ Die Stimmung war famos, denn ein böser Bursche sollte von der Welt abtreten. „Die hatten eine Mordsgaudi“, sagt die Expertin. Nach der Todesstrafe ging die Party weiter. „Und natürlich ist es dort inm Grünen zur Sache gegangen.“
Kuppler im Kaffeehaus
Was wäre Wien ohne Kaffeehäuser? Um einige Anekdoten ärmer. Dort tranken die Menschen nicht nur Kaffee und redeten gescheit daher, sie suchten auch nach anderen Dingen. „Das Café Anzengruber war da eine Art Kuppelbüro. Dort gab es eine illegale Kontaktbörse zwischen Prostituierten und Freiern, die von Angestellten verwaltet wurde“, sagt Hasmann über die Jahre während der Ersten Republik. „Oft ging man dann auf eine Gstettn in der Girardigasse 10, die von einem windschiefen Bretterzaun umgeben war. Da war man ungestört.“
Auf dem nahe gelegenen Naschmarkt verzichteten die Frauen auf Kupplerdienste und griffen in die Trickkiste. „Die Naschmarkt-Huren haben auf die alleinstehenden Herren gewartet, die aus dem Theater an der Wien kamen. Sie verkleideten sich und spielten ihnen eine Fortsetzung des jeweiligen Stücks vor.“ Für die Bauern, die nachts Obst und Gemüse anlieferten, mimten sie verruchte Pariser Damen.
Andere tarnten sich, um trotz des Verbots der Straßenprostitution ein Geschäft zu machen. Eine Blumenverkäuferin im Frühling schien da unverdächtig. Doch bald vermuteten nicht wenige hinter jeder Verkäuferin eine andere Tätigkeit. Hasmann: „Wenn ein Mann eine echte Blumenfrau ansprach, konnte er sich schon einmal eine Watschn einfangen.“
Um Frieden – und zwar den in Europa – war der Wiener Kongress bemüht. Teilnehmer nannten ihn auch den „Hof der Liebe“. Aber wohl eher wegen dessen, was sich abseits der Diplomatie abspielte. Aristokratinnen, Beamtenwitwen und Mätressen buhlten um die Gunst der Teilnehmer. Und professionelle Damen. „Während des Wiener Kongresses gab es in Wien mehr Prostituierte als Kongressteilnehmer“, sagt sie. „Und es waren viele Kongressteilnehmer.“
Um anonymer zu sein, wichen die Paare nach Baden aus. „Im Kurpark ist es auch rund gegangen, mein lieber Schurli.“ Aufzeichnungen gibt es kaum. „In Baden hat man immer auf den Ruf geachtet.“
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