Wer beim FKK-Baden eine göttliche Eingebung hatte

Und warum ein Mann aus der Tante Jolesch nach dem Schwimmen bestraft wurde. Sommer-Anekdoten aus Wien und Umgebung.

So ein Sommertag in und um Wien hat schon was. Zuerst mit dem Rad an die Donau – ob Neue oder Alte oder gleich ins Strombad – oder zu Fluten der blauen Freibad-Becken. Danach erschöpft von der Strahlkraft der Sonne den Abend richtig gut müde im Gastgarten ausklingen lassen. Und weil die Menschen in der Hauptstadt das so gerne machen, gibt es auch allerhand G’schichterln, die wie ein Sprung ins Wasser herrlich erfrischend sind.

Keine Anekdoten aus Wien ohne Friedrich Torbergs Tante Jolesch. Der Schriftsteller – selbst einst ein begnadeter Wassersportler – berichtet hier vom ehemaligen Leistungsschwimmer und Wasserballspieler Dschingo Deutscher, der Protagonist einer Gerichtsreportage wurde. Besagter Dschingo, der eigentlich einen ganz anderen, jedoch vergessenen Vornamen hatte, war von einem Ehepaar in die Badehütte nach Kritzendorf eingeladen worden. Die Gastgeber waren aber – aus welchen Gründen auch immer – am Abend nicht hier. Der letzte Zug nach Wien war schon abgefahren, Autobusse gab es noch nicht, Autos hatten Seltenheitswert.

„So aber besann er sich seiner Schwimmer-Vergangenheit, entledigte sich, vom Dunkel der anbrechenden Nacht geschützt, seiner Kleidung“, schrieb Torberg. Deutscher „warf seinen immer noch mächtigen, wenn auch leicht verfetteten Körper in die Fluten der Donau.“

Von der Polizei ertappt

Nachdem er bei der Nußdorfer Wehr in den Donaukanal umstieg, wurde die „nackte, triefend nasse Männergestalt“ von einem Polizisten ertappt. Er fragte – für Deutscher war das beim Erzählen der Episode die eigentliche Pointe –, ob dieser Papiere bei sich habe. „Die Antwort erfolgte unter abfälligen Bemerkungen über den mangelnden Intelligenzgehalt der Frage.“ Deutscher wurde festgenommen. Eigentlich wollte man ihm Erregung öffentlichen Ärgernisses zur Last legen, aber es waren des Nachts keine Personen unterwegs, die sich erregen hätten können. Also warf man ihm das Baden an verbotener Stelle vor – Deutscher verwehrte sich gegen diese Anschuldigung. „Ich habe hier nicht gebadet – ich bin nach Hause geschwommen.“ 

 Diese Sonnenanbeter aus dem Jahr 1930 hatten etwas mehr Stoff an als Deutscher.

©Austrian Archives (S) / brandstaetter images / picturedesk.com/Austrian Archives (S)/brandstaetter images / picturedesk.com

Dabei haben Nackerpatzerln in Wiener Gewässern durchaus Tradition. Auch wenn das „unverschämte Baden“ in der Donau 1633 richterlich verboten wurde. Einerseits, weil es zu schweren Badeunfällen gekommen war, andererseits weil die Sittenlosigkeit der Badestuben sich auf das Baden unter freiem Himmel ausgedehnt hatte. Glücklicherweise erkannte man später aber doch die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen.

Einer, der im Badevergnügen einen Brunnen der Gesundheit erkannte, war der Exzentriker und „Naturapostel“ Florian Berndl. Der gebürtige Waldviertler wollte der Freiluftbadekultur einen kräftigen Schub verpassen und pachtete im Jahr 1900 eine Sandinsel, das heutige Gänsehäufel, die er bei Wanderungen an der Alten Donau entdeckt hatte. Der Ort war der – zumindest nach außen hin – sittsamen Gesellschaft ein Dorn im Auge, ein Sündenpfuhl gar. Denn Berndl war Naturist und brachte den Menschen die Freikörperkultur nahe. Noch dazu badeten hier Männer und Frauen gemeinsam, während zur selben Zeit am Donaukanal auf den neu errichteten Badeschiffen strikte Geschlechtertrennung vorherrschte.  Und bei Berndl wird es wohl nicht immer sittsam zugegangen sein. Denn man war nicht nur frei von Kleidung, es gab auch freie Tänze und freie Liebe. 

Florian Berndl gründete das Gänsehäufel und brachte den Wienern die Freikörperkultur nahe

©÷st. Volkshochschularchiv / brandstaetter images / picturedesk.com/÷st. Volkshochschularchiv/brandstaetter images / picturedesk.com

Das zog die Künstler an. Hermann Bahr oder Peter Altenberg waren hier zu Gast. Letzterem, der heute als Lustmolch mit pädophilen Neigungen gilt, dürfte es hier gut gefallen haben. Er hat Berndl im Text „In einem Wiener ‚Puff‘“ ein Denkmal gesetzt. Darin sagt „eine süße Anschmiegsame“ zum Dichter: „du, der da drüben ist nicht normal; er lebt auf einer Sandinsel in der Donau, läuft halbnackt herum (...) Der kommt nur her, um uns zu verachten.“ Der Dichter selbst bemerkt: „Der Herr drüben sah wirklich aus wie das Leben selbst. Oder wie ein Afrikareisender.“

Das blühende Leben wurde der Stadt Wien zu bunt, sie kündigte Berndl den Pachtvertrag – offiziell wegen fehlender Kantinengenehmigung. Die Kommune übernahm das Gänsehäufel. Berndl klagte in den Fünfzigern, dass aus der „Geliebten Lagune“ ein „Monsterbetrieb“ geworden sei.

Nudisten-Paradies in Gefahr

Doch die FKK-Begeisterung bei manchen blieb. Die Lobau war ein wahres Nudisten-Eldorado. Friedensreich Hundertwasser ließ sich hier mit buntem Kapperl und sonst nichts fotografieren. Doch als das Entlastungsgerinne Neue Donau und die Donauinsel in den Siebzigern und Achtzigern entstanden, war das bedroht. Die Nackten fürchteten ein verlorenes Paradies. Sie wollten das aber nicht so einfach hinnehmen und forderten alternative Refugien.

Friedensreich Hundertwasser liebte das FKK-Baden in der Lobau (1980).

©Didi Sattmann / brandstaetter images / picturedesk.com/Didi Sattmann/ brandstaetter images / picturedesk.com

Hier tat sich besonders das Wiener Original, Friedens- und Umweltaktivist Waluliso, der eigentlich Ludwig Weinberger hieß, hervor. Er wollte auf der Donauinsel und in der Lobau FKK-Flächen erhalten und sammelte tausende Unterschriften. Wie der Historiker Peter Stuiber schrieb, jubelte er ob des Erfolgs seiner Aktionen: „Auf der Donauinsel in Wien braucht man keine Badehose mehr!“ Und er sprach sich für mehr „FKK in Austria“ aus. Auch kein Wunder, denn hier gäbe es transzendente Begegnungen. Sein Pseudonym – es stand für Wasser, Luft, Licht und Sonne – habe er durch göttliche Eingebung beim Nacktbaden erhalten, erzählte er.

Mondäner als in der Lobau ging es in Bad Vöslau und seiner fulminanten Badeanstalt zu, wo sich die Boheme à la Arthur Schnitzler, der hier schwimmen gelernt hatte, und Konsorten einfand. Die Künstler der Jahrhundertwende werden wohl einigen Unfug angestellt haben. Nur Peter Altenberg – schon wieder, offenbar eine wahre Wasserratte – wurde da zumindest in seiner Literatur schwermütig, weil ihn hier die „wunderschöne Mama“ im „Damenbade sorgsam auf ihren Armen wiegte“, und die nicht mehr ist. „Vöslau, eigentümlicher Ort, einzige wirkliche Sentimentalität, die ich habe.“

Das schöne Bad in Vöslau um 1930

©Österreichische Lichtbildstelle / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com/Österreichische Lichtbildstelle/ ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Auch heute noch ist das Bad in der Kurstadt am Rande Wiens Hort netter Geschichten. freizeit-Kolumnistin Polly Adler (alias Angelika Hager) gründete vor 11 Jahren das Literaturfestival „Schwimmender Salon“, wo Stars der Theaterszene auftreten. Philipp Hochmair, der das Publikum mit einer Extrem-Variante von Goethes „Leiden des jungen Werther“ anfangs irritierte, dann provozierte und letztendlich begeisterte, ist inzwischen Stammgast beim Festival. Jeder seiner Auftritte zieht eine Fanmeile aus Damen der unterschiedlichsten Generationen nach sich. Wie man so hört, warten sie sehnsüchtig darauf, dass sich Hochmair nach dem Auftritt das Shirt vom Leib reißt und in das Mineralwasser-Becken springt.

„Beim ersten Auftritt zeigte sich eine Besucherin noch entsetzt“, berichtet Hager. „Sie war Kurgast und flüsterte mir verzweifelt ins Ohr: ,Hören Sie, ich hab’s mit dem Herz. Ich vertrag keine Aufregung‘.“ Sie bekam ihr Eintrittsgeld retourniert. „Die Arme sollte den besten Teil des Abends versäumen: Hochmairs Werther verlor beim Sprung ins Wasser seine Badehose.“ Heuer spielt er zum elften Mal vor ausverkauftem Haus.

Claus Peymann, Regielegende und der anstrengendste unter allen Künstlern, verlangte bei seiner Tonprobe für Thomas Bernhards „Holzfällen“, dass man „endlich dieses nervige Geplätscher abdrehen möge“, so könne er nicht arbeiten. Hager meinte, das sei die Quelle und die plätschere seit 15.000 Jahren so vor sich hin, damit müsse selbst ein Theatergott wie Peymann jetzt einfach einmal leben.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare