Kabarettistin Nina Hartmann: „Männer wissen nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen"

Kabarettistin Nina Hartmann über die Liebe in Zeiten von Tinder, ihre eigenen Erfahrungen damit und die verrückten Umstände ihres ersten Kinofilms „Match Me If You Can“.

Die Sonne strahlt, es ist ein herrlicher Tag in Tirol und Nina Hartmann ist, was sie meistens ist: bestens gelaunt. Ein dräuender Zahnarzt-Termin im weiteren Verlauf des Tages kann ihren Frohsinn da keineswegs trüben. Dazu hat sie, im Freien sitzend, mit großer Sonnenbrille und offenen Haaren, im Hinblick auf die Zukunft viel zu gute Gründe dauerzugrinsen: Erstens ist sie noch ein Zeiterl auf Heimatbesuch im Heiligen Land. Und zweitens feiert am 9. September ihr Film „Match Me If You Can“ Premiere. Die Kabarettistin hat dafür ihr eigenes erfolgreiches Programm umgearbeitet und bringt es im Alleingang – sie spielt die Hauptrolle, führt Regie, ist Produzentin und Autorin – ins Kino.

Die Story: Lisa und Martin (Olivier Lendl) lernen einander online kennen, es funkt und sie beschließen, sich im echten Leben zu verabreden. In der Bar ihres Vertrauens erkennen sie einander dann allerdings nicht, weil sie ihre Profilfotos, nun ja, etwas „geschönt“ haben. Sie kommen trotzdem ins Gespräch – was eine kurzweilige Verwechslungskomödie in Gang setzt, die den Puls der Zeit trifft. In Österreich haben sich laut Parship-Studie in den vergangenen zwei Jahren 43 Prozent der Paare über das Internet kennengelernt.

Um den Film zu realisieren war laut Hartmann ein „Kraftakt“ vonnöten, er entstand so gut wie ohne Fördermittel und dank der tatkräftigen Unterstützung von Idealisten und Freunden innert zehn Tagen, und das während der Pandemie. Vor der Premiere geht Nina Hartmann mit ihrem Film noch auf Sommerkino-Tournee (von Feldkirch über Graz bis Zell am See). Sie spricht im Interview darüber, wie Online-Dating das Liebesleben der Gegenwart prägt sowie über die Tücken von Tinder und Singles in Österreich.

Nina, Sie sind auf Tinder gesperrt. Wie ist Ihnen denn das gelungen?

Ich dachte auch, das passiert nur Typen, die Dick Pics versenden. Tatsächlich wurde ich wohl gesperrt, weil Tinder-User vermuteten, mein Profil sei Fake. So wurde ich gemeldet und schließlich gesperrt. Sharon Stone ist übrigens dasselbe passiert. Wobei ich ja hauptsächlich zur Recherche auf Tinder angemeldet war.

Wie lief das für Sie?

Am liebsten waren mir Dates aus dem Ausland, die wussten nicht, wer ich bin. Ich war danach auch privat eine Zeit lang auf Tinder. Das ewige Chatten hat mich allerdings relativ schnell genervt. Ich bin da mehr für Erfahrungen im echten Leben, das ist irgendwie schöner.

Ich habe es immer honoriert, wenn jemand imstande war, zur Eröffnung eines Gesprächs mehr als ein Emoji zu verschicken. 

Chatten ist auch eine Generationsfrage, die Gen Z will nicht mehr telefonieren, nur über WhatsApp schreiben oder Sprachnachrichten verschicken. Verändert die Technik langsam aber sicher unsere Liebesbeziehungen?

Dating-Plattformen sind ein Tool. Das sollte aber nicht gleichsam bedeuten, dass Romantik keine Rolle spielt. Zumindest rein theoretisch. Es ist jedenfalls nicht alleine die Technik, die die Romantik killt. Dafür sind schon die Menschen verantwortlich, die am Handy sitzen, sich beim ersten Satz, den sie einem schreiben, wenig überlegen oder den immer gleichen Anmachspruch verschicken. Ich habe es immer honoriert, wenn jemand imstande war, zur Eröffnung eines Gesprächs mehr als ein Emoji zu verschicken. Privat orientiere ich mich aber wieder mehr zurück zum persönlichen Austausch. Unsereins kennt das ja noch. Jüngere Generationen wachsen anders auf, für die ist dieser Ansatz wiederum normal.

Auf Tinder & Co. sind die richtigen Profilbilder für den Erfolg ausschlaggebend. Man präsentiert sich beim Sport, mit Hund oder Auto. Fügen die Benutzer sich hier den Mechanismen eines Marktes, obwohl sie etwas Zwischenmenschliches, nämlich einen Partner, suchen?

Auf Tinder wird aufgrund des Profilbildes innerhalb einer Sekunde über sein oder nicht sein entschieden – wenn das erste Foto nichts taugt, wird derjenige sofort weggewischt. Die persönliche Selbstbeschreibung liest man da gar nicht erst. Das Schräge daran ist: Man nimmt diesen Modus sehr schnell an und agiert ebenso oberflächlich. Man beginnt seltsamerweise, Wert auf Dinge zu legen, die einem zuvor, oder beim Kennenlernen im echten Leben, kaum wichtig waren.

Ist es gerecht, von einer neuen Generation Beziehungsunfähig zu sprechen?

Manchmal denke ich mir: ja. Was mir aufgefallen ist: Wie oft einem auf Dating-Plattformen Beziehungsmodelle wie polyamourös oder offene Beziehung angeboten werden. Das ist gerade sehr angesagt. Viele wollen sich nicht festlegen, weil sie glauben, es kommt vielleicht noch etwas Besseres um die Ecke. Auch das ist eine Eigenart, die Tinder in einem verstärkt, wie ich bei mir selbst festgestellt habe.

Zur Person

Zur Person

Nina Hartmann wurde 1981 in Tirol geboren. 12 Jahre arbeitete sie als Model, danach war sie als Schauspielerin etwa in „Tatort“ oder „EX – eine romantische Komödie“ zu sehen. Erstes Kabarettprogramm „Gib dem Model Zucker“ 2010, aktuell ist Hartmann mit ihrem fünften Programm „Endlich Hausfrau“ auf Tour.

Auch das Phänomen Ghosting, bei dem jemand wortlos von einem Tag auf den anderen den Kontakt abbricht, wurde durch Dating-Apps verstärkt und ist normalisierte Praxis.

Furchtbar! Im echten Leben steht man ja auch nicht mitten im Gespräch auf und geht einfach weg. Auf Tinder aber schreibt man mit fünf Leuten gleichzeitig – verliert man einen davon, fällt das nicht weiter ins Gewicht. Ich muss zugeben, auch ich habe bereits geghostet. Alle irren Verhaltensweisen eint: Frauen stehen Männern um nichts nach.

Ein weiteres Tinder-Phänomen, über das Nutzer berichten, ist die geringe Reaktionsrate: viele Matches, aber keiner schreibt. Können Sie das bestätigen?

Meine Erfahrung war, dass ich rasch extrem überfordert war. Das Angebot ist abendfüllend und man matcht ja nicht nur mit Traumtypen, sondern auch mit Männern, bei denen man findet, die schauen einfach ganz nett aus. So kommt es dann dazu, dass man trotz Matches keinen Kontakt aufnimmt. Frauen warten zudem meist, dass der Mann sie als erster anschreibt.

Wir leben gerade in einer sehr verunsicherten Gesellschaft. Männer wissen nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Darf man eine Frau ansprechen?

1,4 Millionen Singles in Österreich wünschen sich laut einer aktuellen repräsentativen Studie einen Partner.

Ich glaube, wir leben gerade in einer sehr verunsicherten Gesellschaft. Männer wissen nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Darf man eine Frau ansprechen, oder nicht? Viele sind verwirrt. Ich stelle selbst fest: Wenn mir jemand gefällt, muss ich ihn anreden. Sonst kommt da keiner. Das hat sich verändert. Die Menschen sind viel zu vorsichtig geworden. Was ich sagen will, ist: Go for it – Mut ist sexy! Mich beeindruckt das. Im schlimmsten Fall erhält man einen Korb. Na und? Das Leben geht trotzdem weiter.

Worin verorten Sie diese Verunsicherung?

Ich will die Antwort nicht wahrhaben, aber es liegt wohl an der sich wandelnden Rollenverteilung. Frauen sind heute viel emanzipierter und selbstbewusster als früher. Ich will nicht glauben, dass ein moderner Mann von heute eine moderne Frau nicht toll findet. Gleichzeitig beobachte ich, dass viele meiner Freundinnen, die tolle Karrieren hinlegen, Single sind.

Hartmann: "Auch mir wurde oft gesagt, ich würde in der Partnerschaft zu hohe Ansprüche an den Tag legen"

©Valerie Logar
Haben Sie gerade jemanden in Ihrem Leben, der Sie toll findet?

Ich habe derzeit keinen festen Freund, genieße den Sommer, das Casting läuft also noch. Auch ich wünsche mir, jemanden zu treffen, bei dem es mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Der über sich selbst lachen kann und auch meinen Humor versteht. Dann bin ich offen für manches. Wenn jemand meine Witze nicht versteht, ist das allerdings ganz schlecht. (lacht)

Viele Leute führen Zweckbeziehungen, ihre Angst vor dem Alleinsein ist größer als der nötige Mut, sich zu fragen, was sie wirklich glücklich machen würde.

Hohe Ansprüche sollten sich einem bei der Partnersuche wider allgemeiner Behauptungen nicht in den Weg stellen: Ein Paarberater riet in einem Interview mit der „Welt“ kürzlich davon ab, diese zu senken. Das würde nur unglücklich machen.

Ich bin ebenfalls dieser Meinung. Auch mir wurde oft gesagt, ich würde in der Partnersuche zu hohe Ansprüche an den Tag legen. Ich sage dazu: Gott sei Dank tue ich das. Ich wünsche mir ja einen Menschen, der mein Leben bereichert und schöner macht – und will mich nicht mit irgendjemandem bloß begnügen. Das tun ohnehin so viele: So viele Leute führen Zweckbeziehungen, ihre Angst vor dem Alleinsein ist größer als der nötige Mut, sich zu fragen, was sie wirklich glücklich machen würde. Ich kenne viele Paare, die nicht wirklich happy miteinander sind, aber aufgrund diverser Zwänge halt dennoch zusammenbleiben.

„Match Me If You Can“ war ursprünglich ein Kabarettprogramm. Seit sie es geschrieben haben, hat die Bedeutung von Tinder & Co. enorm zugenommen. War das mit ein Grund, warum Sie daraus einen Film machen wollten?

Als das Stück 2015 Premiere feierte, war Tinder kaum jemandem ein Begriff. Zu Beginn des Stückes erklärten wir den Zuschauern sogar, wie die App funktioniert, damit garantiert jeder mitlachen kann. Heute kennt jeder Tinder. Ein anderer Grund war: Das Programm kam beim Publikum stets sehr gut an. Das waren tolle Live-Momente. Das wollte ich für den Film festhalten. Fünf Produktionsfirmen haben sofort ja gesagt. Doch dann passierte erstmal – nichts.

Wieso?

Wir bekamen den Auftrag, das Drehbuch zu schreiben, was wir auch gemacht haben. Erst gab es ein Jahr lang kein Feedback darauf, dann hieß es, sie wollen es doch nicht. Man wollte mir auch nicht garantieren, dass ich die Hauptrolle spiele. Aber ich dürfe natürlich gerne zum Casting kommen – und das für meinen eigenen Film! Diese Abhängigkeiten haben mich total geärgert. Ich wollte nicht wahrhaben, dass der Film nicht zustande kommt. Also habe ich gedacht: Dann realisiere ich es eben selbst.

Sie spielen die Hauptrolle, haben das Drehbuch geschrieben, Regie geführt, produziert und sich auch sonst um alles gekümmert. Zufrieden mit dem Ergebnis?

Im Nachhinein bin ich froh, dass ich den Film selbst auf die Beine stellen konnte. So war ich niemandem Rechenschaft schuldig. Der Film ist jetzt cooler, als er je hätte werden können. Und das, abgesehen von einem kleinen Beitrag durch das Land Tirol, ohne jede finanzielle Förderung. Freunde haben geholfen, andere waren aus reinem Idealismus dabei. Alles war ein enormer Kraftakt. Mir war jedoch wichtig zu zeigen, dass man es auch alleine schaffen kann.

Dating im Zeitalter von Tinder: Hartmann und Olivier Lendl in „Match Me If You Can“, ab 9.9. im Kino

©Markus Rosentreter
Gab es Situationen, die Sie besonders herausgefordert haben?

Die Produktion war eine Berg- und Talfahrt. Nach vier Tagen mussten wir die Dreharbeiten abbrechen, weil drei Viertel der Crew an Corona erkrankten. Das Wichtigste war, dass jeder gesund wird, aber natürlich sorgen einen auch die fortlaufenden Kosten. Nach zwei Monaten Pause konnten wir weiterarbeiten. Insgesamt benötigten wir für den ganzen Film bloß zehn Drehtage.

Stand auch einmal die Möglichkeit, die Dreharbeiten abzubrechen, im Raum?

Aufgeben war nie eine Option. Ich bin es Gott sei Dank gewohnt, ins kalte Wasser zu springen. Das habe ich mein ganzes Leben so gehalten. Und ich war immer jemand, der selbst die Initiative ergriffen hat. Nicht immer einfach, als Frau hat man oft noch das Gefühl, auf gewissen Hierarchie-Ebenen und von alteingesessenen älteren Herren nicht für voll genommen zu werden. Man muss als Frau in dieser Männerwelt wirklich stärker für etwas kämpfen, um es zu erreichen. Es wird da endlich Zeit für ein Umdenken. Es mag zwar den Anschein haben, es habe sich für Frauen diesbezüglich bereits viel geändert – aber vieles eben noch nicht.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare