Interview mit Maria Furtwängler über Lindenbergs "Nuschel-Schnuffel-Attitüde"
Für den diesjährigen Weihnachts-„Tatort“ (Sonntag, 20.15, ARD) ging Maria Furtwängler spezielle Wege. Ermittlerin Lindholm begibt sich auf Selbstfindungstrip nach Hamburg, findet eine Leiche und Udo Lindenberg.
„Siehst aus, als wärst du auf der Suche, kompassmäßig“ – viel mehr sagt Udo Lindenberg nicht. Dennoch dreht sich in „Alles kommt zurück“ vieles um den Panikrocker.
Da ist einmal der Schauplatz: Das Hotel Atlantic in Hamburg, seit 1995 das dauerhafte Domizil Lindenbergs. Hier gerät die sonst so kontrollierte Göttinger Ermittlerin Charlotte Lindholm auf der Suche nach einem heißen Liebesabenteuer in eine bizarre Psychothriller-Handlung (siehe Kasten). Weil sie statt auf den erhofften Lover auf dessen Leiche trifft, wird sie zur blutbeschmierten Verdächtigen.
„Lindholm findet sich plötzlich auf der falschen Seite einer Vernehmung wieder“, sagt Maria Furtwängler über ihre Rolle. „Sie fragt sich wohl: Zwickt’s mich! Das zieht sich durch den Film. Sie ist im Grunde die einzige Geerdete in einem Haufen von wirklich schrägen Figuren.“
Udo
Und über all dem schwebt Udo Lindenberg wie ein seltsamer Geist. Warum eigentlich?
2018 kam Furtwängler auf Lindenbergs Seite: Für „MTV Unplugged“ sangen beide gemeinsam „Bist du vom KGB?“
Nun war es Zeit, sich auf ihrer Seite zu treffen – und Lindenberg habe „sofort Ja gesagt“, erzählt Furtwängler. „Udo ist ein Tatort-Fan und zum Glück auch Lindholm-Fan, das hat geholfen.“
Was viele nicht wissen: Lindenberg trommelte 1970 als Mitglied von Klaus Doldingers Band bei der ersten Aufnahme des „Tatort“-Intros.
Und heute? „Udo schaut gerne und viel fern und kennt sich wahnsinnig gut aus,“ meint Furtwängler. Das scheint besonders viel geholfen zu haben. Denn als Auskenner sei Lindenberg (in den Worten Furtwänglers) klar gewesen: „Nee, also lieber nicht zu viele Spielszenen mit mir, sondern lieber geheimnisvoll, eher als Typ im Background, als omnipräsenter Hotelbewohner, der die Fäden in der Hand hat.“
Selbst produziert
Die Fäden dieser „Tatort“-Produktion hielt Furtwängler besonders fest in der Hand – erstmals agierte sie für den NDR als Produzentin – mit ihrer Firma Atalante, die mit der Nordfilm koproduzierte.
Sie stellte auch das Kreativteam zusammen, holte den „Vorstadtweiber“- und ORF-„Tatort“-Autor Uli Brée („Ich liebe seinen Humor, seine Originalität, die Figurenzeichnung“). Dazu kam dann der norddeutsche Regisseur Detlev Buck ("Männerpension", „Felix Krull“), der sein „Tatort“-Debüt gibt.
Klar sei von Anfang an gewesen: „Udo spielt am besten Udo.“ Buck habe Brées Vorlage dann „weiter ausgereizt“, sagt Furtwängler, „zwischen Poesie und Wahnsinn oder ,Alice im Wunderland’ sozusagen, im Gruselschloss, das ist die Prise Buck obendrauf.“
Allein im Hotel
Durch das Drehen im Lockdown entstanden besondere Bilder: Die Kamera fährt immer wieder durch leere Hotelflure, irgendwann irrlichtern Zwillingsmädchen ins Bild.
Furtwängler erklärt: „Buck ist voller Zitate. Udo hat ja in der ersten Coronazeit mitunter vollkommen allein im Hotel gewohnt. Da erzählte er (nuschelt wie Lindenberg): ’Ist ein bisschen wie bei ’The Shining’ hier. Shiningmäßig und so’. Daher war das naheliegend.“ Buck habe sich spontan für die Zwillinge entschieden, „das ist nichts, was im Drehbuch steht, ganz viele Dinge entstehen on the Spot.“
Nicht nur der Kubrick-Klassiker wird in dem Genre-Mix zitiert. Ob die überbordenden Ideen Feiertagszuseher überfordern könnten?
Furtwängler: „Man hätte alles auch naturalistischer machen können. Aber das ist nicht Buck. Indem die Dinge leicht überhöht erzählt werden, entstehen märchenhafte Züge. Und das ist es vielleicht auch, was diesen ,Tatort’ zu einem Weihnachts-,Tatort` macht.“
Das gesamte Interview: Maria Furtwängler über Lindenbergs "Nuschel-Schnuffel-Attitüde"
Maria Furtwängler: Tatsächlich ist es aus der musikalischen Zusammenarbeit entstanden. Das hat mich natürlich vollkommen umgehauen, als ich gefragt wurde, ob ich da mitmache. Daraus entstand die Frage: „Hey, wie wäre es denn mal mit einem Tatort, hättest du da nicht mal Bock drauf?“ Und er hat sofort ja gesagt. Udo schaut tatsächlich gerne und viel fern und kennt sich wahnsinnig gut aus. Und Udo ist ein "Tatort"-Fan und zum Glück auch Lindholm-Fan, das hat geholfen.
Er hat ja schon mal den Detektiv Cool Man gespielt, in einem kleinen Kinofilm vor vielen Jahren. Daher hatte er total Lust aufs Spielen. Im Laufe der Drehbuchentwicklung war ziemlich bald klar: Udo spielt am besten Udo. So eine Ikone kann nicht einfach eine Rolle spielen. Die Udo-Doubles, die man im Film sieht, sind alle Originaldoubles, die sind also gewissermaßen nicht verkleidet. Udo nennt die ja liebevoll seine Udonauten.
Eher bei Konzerten. Es gibt Udo-Doubles, die auch so singen können wie er, dann gibt es welche, die genauso aussehen wie er, welche, die so sprechen können wie er, die haben unterschiedliche Qualitäten. Ich war ja mit Udo für MTV Unplugged auf dem Rock Liner. Das war mein erstes Mal auf einem Kreuzfahrtschiff mit dreieinhalbtausend Udo-Fans, davon war die Hälfte zumindest irgendwie gekleidet wie Udo. Deren Hingabe ist wirklich toll. Insofern war es dankbar, dieses Thema der Udonauten aufzugreifen und ihn wirklich so zu nehmen, wie er ist. Und am Ende hat er natürlich einen total guten Instinkt und sagte: Nee, also lieber nicht zu viele Spielszenen mit mir, sondern lieber geheimnisvoll, lieber Ikone. Eher als Typ im Background, der omnipräsente Hotelbewohner, der die Fäden in der Hand hat.
Ja, wir wollten, dass diese Grenze ein bisschen verschwimmt, dass man eigentlich nicht weiß, ob das Ganze vielleicht nur ein Albtraum ist. Lindholm findet sich ja plötzlich auf der falschen Seite einer Vernehmung wieder und fragt sich wohl: Zwickt’s mich! Das zieht sich durch den Film. Sie ist im Grunde die einzige Geerdete in einem Haufen von wirklich schrägen Figuren. Ein bisschen wie Alice im Wunderland. Auch die Ermittlerin Zimmermann, gespielt von Anne Ratte-Polle, ist ja eine echte Erscheinung. Und auch der Kollege Jens Harzer als Ruben Delfgau ist kein 08/15 Ermittler. Mit dem hat sie sogar ein Pantscherl.
Dieses Abenteuer, auf das sie sich da einlässt, ist ja schon auf eine gewisse Weise haarsträubend. Wir kennen sie ja schon länger als sehr einsame und in Liebesdingen nicht sehr glückhafte Figur. Was wir erzählen, ist eine Sehnsucht nach Lebendigkeit und diese damit verbundene Angst, die sie dann auch formuliert: Passiert in meinem Leben überhaupt nichts Aufregendes, Erotisches mehr? Das ist auch ein Gefühl, das nicht so ganz weit hergeholt ist, diese Sehnsucht einfach loszulassen, sich fallen lassen zu können. Gleichzeitig hat sie ein Riesenproblem, jemandem zu vertrauen. Das bringt auch ihr Beruf mit sich. Sie öffnet sich zu Beginn dieses Abenteuers, fällt auf die Schnauze und später wird sie gleich nochmal enttäuscht.
Bei Buck-Filmen schwankt man immer zwischen: Ist das tragisch, spannend oder ist das komisch? Was eine gewisse Verwirrung mit sich bringt, weil es einfach out of the box ist. Und gleichzeitig hat er eben diese Verspieltheit und die Freiheit, die einen als Schauspielerin auch frei macht. Er ist wahnsinnig gut vorbereitet. Er hat einerseits so eine Verrücktheit, andererseits hält er die Drehzeiten verlässlich ein. Das ist eine ganz spannende Kombination. Und er hat auch eine gewisse Poesie die mir gefällt. Das war auch wirklich ein schöner Dreh. Ich hatte ihn ja bei „Felix Krull“ kennengelernt.
Buck ist voller Zitate. Udo hat ja in der ersten Coronazeit mitunter vollkommen allein im Hotel gewohnt. Da erzählte er: „Ist ein bisschen wie bei The Shining hier. Shiningmäßig und so“. Daher war das auch naheliegend. Und dann sah Buck diese Zwillinge und dachte sich: Die muss ich im Film haben. Das ist nichts, was im Drehbuch steht, ganz viele Dinge entstehen dann so, on the Spot.
Das fragt sich ja nicht nur der Weihnachts-Zuschauer, das fragt sich ja auch Charlotte - und damit funktioniert das über das Zitieren hinaus.
Uli bringt diese sehr schöne und sehr genaue Figurenzeichnung mit und diesen Humor und eine Doppelbödigkeit in den Dialogen. Dass das dann noch weiter ausgereizt wurde, zwischen Poesie und Wahnsinn oder Alice im Wunderland sozusagen, im Gruselschloss, das ist dann noch die Prise Buck obendrauf. Buck hatte von Anfang an diese Fantasie, dass das Hotel Atlantic wie eine eigene Figur wirkt. Und Udo Lindenberg ist so eine Art Kapitän auf diesem eigenartigen Schiff.
Man hätte das alles auch naturalistischer erzählen können. Aber das ist nicht Buck. Indem die Dinge über eine leichte Überhöhung erzählt werden, entstehen märchenhafte Züge. Und das ist es vielleicht auch, was diesen "Tatort" zu einem Weihnachts-"Tatort" macht.
Zunächst habe ich das kreative Team zusammengestellt. Ich hatte Udo Lindenberg und hab dann nach Autoren gesucht, die das umsetzen können und bin dann auf Uli Brée gestoßen, mit seinem ganzen Können, das ich schon vom österreichischen "Tatort" kannte. Ich liebe seinen Humor, seine Originalität, wenn man seine Dialoge liest, hat man sofort die Figuren vor den Augen, so genau sind sie geschrieben. Dann habe ich Buck dazugeholt und das gesamte Kreativteam, die Drehbucharbeit und so weiter mit dem Sender koordiniert. Die Durchführung hat dann die sehr erfahrenen Ko-Produzentin Kerstin Ramcke von Nordfilm übernommen, das war eine super Zusammenarbeit. Den kreativen Teil haben größtenteils wir mit unserer Firma Atalante betreut. Und beim Drehen konnte ich mich ganz aufs Schauspielen konzentrieren. Beim Schnitt und beim Mischen war ich dann wieder produzentisch mit an Bord.
Ich glaube nicht, dass nur Frauen auf so etwas aus sind, sonst würden sich ja die Paare auch nicht finden. Aus der Perspektive der Lindholm kann man aber sagen, dass die sonst toughe High Performerin sich nach dem Moment des Kontrollverlusts sehnt.
Ja, sonst hätten wir das alles in der Form gar nicht machen können. Wir haben ja wirklich einiges in der Eingangshalle und auf den einsamen Fluren gedreht. Wäre das Hotel normal belegt gewesen, wäre das utopisch gewesen. Und so mussten wir vielleicht alle vier, fünf Stunden mal kurz in der Halle das Drehen unterbrechen, weil ein Gast eingecheckt oder ausgecheckt hat. Drehmäßig war das ein Segen, obwohl es natürlich anstrengend war mit Tests und Masken und so weiter, aber wir sind zum Glück alle unbeschadet durchgekommen.
Ich habe Udo als mich sehr überraschenden Menschen erlebt. Man hat ja immer das Gefühl, er nuschelt da so unter seinem Hut und man weiß auch gar nicht, was er hört und was nicht. Einmal habe ich ihm etwas über meine Tochter erzählt, wo sie hier war, wo sie dort war. Und ein paar Wochen später, als ich das selbst völlig vergessen hatte, wusste er genau, was ich gesagt habe und an welchem Tag genau und fragte mich, wie das gelaufen ist. Hinter dieser Nuschel-Schnuffel-Attitüde ist so eine Genauigkeit und so eine wahnsinnige Aufmerksamkeit, das würde man nicht vermuten. Ich denke auch; Mein Gott, wer kann sich sonst über so viele Jahrzehnte immer wieder neu erfinden und bleibt sich doch immer treu? Er hat einen ganz stabilen Markenkern und öffnet sich aber auch immer neuen Experimenten - wie diesem Tatort. Er ist auch sehr wachsam bei neuer Musik, neuen Filmen. Das macht ihn, glaube ich, auch so attraktiv. Er hat etwas Stabiles, Verbindendes und dennoch auch was ganz Offenes. Das zeigen auch seine Kooperationen, ob mit Marteria oder mit anderen Künstlern. Also ich bin Fan, nicht nur von seiner Musik, sondern auch menschlich.
Verspielter nordischer Spezial-„Tatort“
„Alles kommt zurück“ will in 90 Minuten sehr viel unter einen Udo-Hut bringen
Lindholm traut ihren Augen nicht. In Rückblenden wird erzählt, warum sie auf ihrem privaten Ausflug in einen Mord geschlittert ist. Sie wollte sich nur einmal fallen lassen, da liegt die durchtrainierte Chat-Bekanntschaft erstochen im Hotelbett.
Inmitten einer Horde von „Udonauten“ – Fans in Lindenberg-Verkleidung – muss sie die Göttinger Hauptkommissarin die Fragen der Hamburger Kollegen erdulden: Die fahrige Jana Zimmermann (Anne Ratte-Polle) und Ruben Delfgau (Ifflandring-Träger Jens Harzer). „Auch er ist kein 08/15 Ermittler“, meint Furtwängler im Interview, „mit dem hat Charlotte sogar ein Pantscherl.“
Lindholm, die sich das Ermitteln nicht nehmen lässt, hört sich im Rotlichtmilieu um. Wir sind ja in Hamburg. Dort trifft sie schließlich den extravaganten Bordell-Besitzer Einstein - gespielt von Detlev Buck.
Die Spur führt zu einem früheren Fall („Tatort“ 1034: „Der Fall Holdt“) und auch reale Probleme wie Korruption fehlen nicht. Detlev Buck will aber keinen klassischen „Tatort“ erzählen, er fand ästhetische Bilder, geizt nicht mit skurrilem, nordischen Humor. Teilweise will er zu viel auf einmal.
Udo darf natürlich auch singen. Zwei Mal. Buck setzt auch hier Kontrapunkte, mit Brahms und Beethoven, noch dazu dirigiert von Wilhelm Furtwängler, dem Großonkel Maria Furtwänglers. Das Feuerwerk an Querverweisen nimmt kaum ein Ende.
So sagt auch Lindenberg in einem WarnerMusic-Interview zum Film über Buck: "Er ist ein krasser Vogel. Deshalb ist dieser 'Tatort' auch so speziell geworden. Sehr locker und auch ein bisschen unberechenbar. ... Ein Freund der Extreme, der Ausnahmesituationen."
Buck hatte „von Anfang an diese Fantasie, dass das Hotel Atlantic wie eine eigene Figur wirkt“, erzählt Furtwängler. „Und Udo ist so eine Art Kapitän auf diesem eigenartigen Schiff.“
Der ORF vertraut am 26.12. lieber auf einen ZDF-Dampfer, „Das Traumschiff“. Für den Lindenberg-„Tatort“ gibt es noch keine Pläne, also auch noch keinen Sendetermin.
Fix ist hingegen, dass beim dann 29. Niedersachsen-"Tatort" wieder Anais Schmitz (Florence Kasumba) an der Seite Lindholms ermitteln wird. „Die Rache an der Welt“ wurde bereits 2020 abgedreht.
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