Filmkritik zu "The Last Duel“: #MeToo im Mittelalter

Ritterdrama, Franzosen scheitern am digitalen Alltag, Boss-Baby kehrt zurück und eine Familie ist arbeitslos

Nein heißt nein, auch im Mittelalter. Doch bereits damals herrschte die männliche Meinung vor, dass Frauen gerne genötigt werden. Zwar rufen sie ein wohlerzogenes Nein, meinen aber in Wahrheit ein feuriges Ja.

Aus der Sicht des Mannes kann von Vergewaltigung keine Rede sein.

Aus der Sicht der Frau schon. Sie erhebt Anklage.

Basierend auf wahren Begebenheiten aus dem Jahr 1386 hat Regisseur Sir Ridley Scott ein mitreißendes #MeToo-Drama im mittelalterlichen Frankreich verfilmt. Das Drehbuch zu „The Last Duel“ stammt – zusammen mit Nicole Holofcener – von Matt Damon und Ben Affleck, die erstmals seit ihrem Oscar-Erfolg mit „Good Will Hunting“ (1997) wieder gemeinsam einen Film schrieben und sich selbst tragende Rollen verpassten.

Dabei bewies vor allem Matt Damon Selbstironie. Er spielt einen nicht sonderlich schlauen, aber streitsüchtigen Ritter namens Jean de Carrouges, trägt eine lächerliche Vokuhila-Frisur und ist verheiratet mit der schönen, gebildeten Marguerite. Beide wünschen sich einen Sohn, aber der Erbe will sich nicht einstellen.

Klagt auf Vergewaltigung: Jodie Comer in "The Last Duel"

©Patrick Redmond/Disney

Zudem hat Jean die unglückliche Gabe, mit seiner querulantischen Art nicht nur die Obrigkeiten zu verstimmen. Er überwirft sich auch mit seinem ehemals guten Freund, einem attraktiven Frauenhelden namens Jacques Le Gris – mit großem Gusto gespielt von Adam Driver –, der sich orgiastisch durch die Betten wälzt. Die Situation spitzt sich dramatisch zu, als Marguerite Anklage gegen Le Gris wegen Vergewaltigung erhebt.

Adam Driver als Ritter, der wegen Vergewaltigung angeklagt wird: "The Last Duel"

©Disney

Es wäre nicht „Gladiator“-Regisseur Ridley Scott, würden die dramatischen Ereignisse nicht bildgewaltig und laut über die Leinwand donnern. Opulente Kriegsszenen und spektakuläre Schwertkämpfe beeindrucken mit Grandeur das Auge.

Klarer Fall

Ähnlich wie in Akira Kurosawas Klassiker „Rashomon“ (1950) wird dasselbe Ereignis aus der jeweiligen Perspektive der Beteiligten dreimal erzählt. Le Gris selbst weist den Vorwurf der Vergewaltigung – Kavaliersdelikt! – empört zurück.

Für Marguerite – nuanciert und entschlossen gespielt von Jodie Comer – steht alles auf dem Spiel. Ihr Mann Jacques fordert Le Gris zum spektakulären Titel-Duell heraus. Dabei handelt er nicht aus Mitleid mit seiner Frau, sondern als beleidigter Besitzer, dessen weibliches Eigentum von einem fremden Mann angetastet wurde.

INFO: USA/GB 2021. 152 Minuten. Von Ridley Scott. Mit Matt Damon, Jodie Comer, Adam Driver

Erst Freunde, dann Feinde: Matt Damon (li.) und Adam Driver in "The Last Duel"

©Patrick Redmond/Disney

Filmkritik zu "Online für Anfänger": Willkommen bei der Gratis-Hotline

Beweisen Sie, dass Sie kein Roboter sind, und kreuzen Sie jedes Bild mit einer Ampel an, verwenden Sie  nie ein Passwort zweimal und bleiben Sie bitte am Apparat: Ein Mitarbeiter wird sich in Kürze um Sie bemühen.
Jeder kennt die Engpässe des digitalen Zeitalters, die unzähligen vergessenen Passwörter, die computerisierten Stimmen am Telefon und die Warteschlangen in den „kostenpflichtigen Gratis-Hotlines“.

Für das französische Regie-Team Benoît Delépine und Gustave Kervern bietet der digitale Alltag  ein gefundenes Fressen für eine   bissige Satire auf das Leben mit   Internet, Amazon & Co.
Drei benachbarte französische Kleinbürger, die in einer  Vorstadtsiedlung im Norden Frankreichs wohnen und sich während der Gelbwesten-Proteste kennengelernt haben, leben am Rande des (finanziellen) Zusammenbruchs. Bertrand, alleinerziehender Witwer, sucht Trost bei einer Telefonstimme namens „Miranda“, seine geschiedene Nachbarin Marie hat alle ihre Passwörter im (leeren) Gefrierfach notiert und lebt davon, ihre (verbliebenen) Möbel im Internet zu verkaufen.

Drei französische Kleinbürger als Internet-Opfer: "Online für Anfänger"

©Filmladen

Die dritte im Bunde, Christine, leidet an TV-Serien-Sucht, fährt Taxi und dreht beinahe durch, weil ihr keiner ihrer Kunden mehr als einen Stern in der Servicebeurteilung zukommen lässt.
Delépine und  Kervern  schmieden aus den  Absurditäten zwischen Sozialen Medien, Online-Shoppen und Streamingdiensten   eine relativ hohe Dichte an Pointen.
In schleißigen Bildern, wie man sie von den Aufnahmen zweitklassiger Handykameras kennt, folgen sie den drei Internet-Opfern  auf ihrem  persönlichen Hindernislauf durch den digitalen Alltag zwischen Renitenz und Idiotie.

INFO: F/BEL 2020. 110 Min.  Von Benoît Delépine, Gustave Kervern. Mit Blanche Gardin.

Bissige Satire auf die digitale Alltagswelt: "Online für Anfänger"

©Filmladen

Filmkritik zu "Jetzt oder morgen": Leben im Stillstand

Heute ist Claudia 21, ihren Sohn Daniel hat sie mit 15 bekommen. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem  Bruder Gerhard lebt sie in einer kleinen Wohnung in Simmering.

Arbeit hat niemand, Ausbildung auch nicht. Die Tage fließen zäh dahin, zwischen Computer spielen, rauchen, nichts tun und ins Handy starren.

Arbeitsloses Geschwisterpaar  in Wien-Simmering lebt von der Sozialhilfe: „Jetzt oder morgen“

©Polyfilm/Takacs Filmproduktion, Steinbrecher

Jenseits der reißerischen  Konventionen von Reality-TV  beobachtet die Filmemacherin Lisa Weber mit Geduld und Sensibilität die  weitgehend ereignislosen  Tagesabläufe der   Familie. Deren Beziehungen untereinander sind liebevoll und innig, aber es gibt auch kleine, häusliche Dramen, die  den lähmenden Stillstand unterbrechen. Manchmal greift die Regisseurin auch selbst ins Geschehen ein:  „Was würdest du gern machen?“,  fragt sie die ratlose Claudia am Tag ihres Geburtstags: „Heulen“, so die prompte Antwort. Zwischen Hoffnungslosigkeit und der Schwerkraft scheinbar zementierter Verhältnisse blitzen manchmal auch Sehnsuchtsmomente nach Veränderung auf: „So viel Zeit und kein Leben.“ 

INFO: Ö 2020. 90 Min. Von Lisa Weber. Mit Claudia, Gerhard, Daniel.

 

Innige Familienbande, aber wenig Hoffnung auf Veränderung: "Jetzt oder morgen"

©Polyfilm/Takacs Filmproduktion, Steinbrecher

Filmkritik zu "Boss Baby - Schluss mit Kindergarten": Zurück zur Windel

Im erstenTeil wurde das titelgebende „Boss Baby“ von amerikanischen Kritikern als Karikatur auf   Donald Trump gesehen.  Inzwischen sind die Be- und Anzüglichkeiten auf Trump, die man auch aus dem neuen Film herauslesen kann, schon wieder Geschichte.

Das Baby ist erwachsen geworden und hat die Strampelhose gegen einen Anzug eingetauscht. Statt voller Hosen nimmt Tim, der zu einem erfolgreichen Geschäftsmann herangereift ist, lieber den Mund voll. Vorzugsweise mit anzüglichen Witzen.
 Wobei die Filmemacher zweifellos hoffen, dass die Quantität die Qualität ausgleicht.
 Außerdem klagt Tim gerne über die Beschwerlichkeiten des fortschreitenden Alters – und darüber, dass das Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder Ted abgekühlt ist. Die beiden  kommen einander wieder näher, als sie dahinterkommen, dass der Schulverwalter ihrer Gemeinde ein böses Genie ist, das mit der Aufzucht von superbösen Kindern experimentiert.
Um das zu verhindern, wird der Boss wieder zum Baby. Die Verwandlung zu Kleinkindern hält allerdings nur 48 Stunden an.
Man merkt zwar der konstruierten Story an, dass nach dem großen Erfolg des ersten Films diesem Stoff unbedingt noch ein Sequel abgetrotzt werden sollte – aber lustig anzuschauen ist es trotzdem.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: USA 2021. 107 Minuten. Von Tom McGrath.

Neues Familienabenteuer mit Fortsetzung „Boss Baby 2“

©UPI

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