Entdeckung im Pharaonenland: „Wie ein Pompeji ohne Leichen“

In Ägypten haben österreichische Archäologinnen ein uraltes Verwaltungszentrum ausgegraben. Ein Fund mit Vorgeschichte.

Dutzende Menschen, die Köpfe unter Tüchern und Hüten versteckt, arbeiten in der sengenden Sonne. Man ist nicht sicher, ob Männlein oder Weiblein. Teils auf dem Berg über dem Tempel, teils darunter, am Fuß des Hügels. „Unsere Studenten müssen alles Ziegel für Ziegel ausgraben, denn das ist es, wofür Studenten da sind.“ Die Ägyptologin Pamela Rose lacht. Und die Studenten lachen mit. „Natürlich ist das besser, als im Büro rumzusitzen, es ist schon etwas Besonderes“ ergänzt Irene Forstner-Müller. Es wird gegraben, geschaufelt und gesiebt.

Das war im November 2018, als der KURIER die österreichischen Ägyptologen zuletzt auf ihrer Grabung in Kom Ombo besuchte. Forster-Müller, Leiterin der Zweigstelle Kairo des Österreichischen Archäologischen Instituts, und ebenfalls vermummt bis zur Unkenntlichkeit, deutete damals Richtung Grube zu ihren Füßen, die entstanden war, nachdem Arbeiter Unmengen von Erde abgetragen hatten. „Schau, das sind die ersten Mauern. Vielleicht von Speichern“, mutmaßte sie. „Das ist ein toller Platz zum Graben, hier im Schatten des Tempels.“

Wie recht sie hatte, denn jetzt, gut drei Jahre später, konnte das Team bekannt geben, dass es 32 Speicher aus Lehmziegeln entdeckt und freigelegt hat, die belegen, dass der Ort 40 Kilometer nördlich von Assuan ein wichtiges Verwaltungszentrum gewesen sein muss. Und das viel früher, als bisher angenommen.

©Egyptian Ministry of Tourism and Antiquities

Die Forschungslücke

Wer je eine Nilkreuzfahrt von Luxor nach Assuan gemacht hat, kennt das: Der mächtige, ruhig dahingleitende Fluss, eine Biegung und plötzlich, etwas erhöht – imposante Ruinen. Kom Ombo war bisher nur durch seinen griechisch-römischen Tempel (erbaut von 304 bis 31 v. Chr.) bekannt.

Der griechisch-römische Tempel von Kom Ombo

©Kurier/Novy Gilbert

Die antike Stadt selbst war Forschungsniemandsland. „Lange wurde sie nicht als pharaonische Stadt wahrgenommen. Dabei sagte der englische Ägyptologe Barry Kemp bereits in den späten 1970er-Jahren, dass Kom Ombo viel älter ist, als wir glauben“, erzählt die Stadtarchäologin Forstner-Müller, die gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin Pamela Rose diese Forschungslücke schließen will.

Und so kann es durchaus zu kuriosen Szenen kommen, wenn Nil-Reisende auf dem Weg zur Tempelbesichtigung an der österreichischen Grabung vorbei kommen und sich lautstark beschweren, weil sie sie nicht besichtigen dürfen. Verständlich – selbst Forstner-Müller ist zufrieden mit dem, was ihr Team freigelegt hat:

Die Entdeckung

„Es ist wie ein Pompeji ohne Leichen. Man geht durch die Räume, in denen Speicher untergebracht sind, und denkt sich – wie toll ist das! Die Struktur der Gebäude ist sensationell gut erhalten, die Wände sind fast zwei Meter hoch. Die Kammern waren von oben befüllbar und mit Holz oder Palmrispen abgedeckt“. Es sei jedenfalls dunkel gewesen, denn man fand kleine Nischen, in denen Lampen abgestellt wurden, um die Getreidespeicher beleuchten zu können.

Oben offen: Die Speicher von Kom Ombo

©Niki Gail/ÖAW

Einer von 32 bisher freigelegten

©Niki Gail/ÖAW

Auch Raubgruben haben die Forscherinnen entdeckt: „Die Leute versuchten, durch die Wände einzudringen, denn Getreide war das Geld des Alten Ägypten“, erzählt sie. Einen abschließenden Befund gibt es vorerst noch nicht, denn „wir haben erst ungefähr die Hälfte ausgegraben“, sagt die Forscherin.

Was sie aber sicher weiß: „Wir befinden uns zeitlich in der Ersten Zwischenzeit (ca. 2180 bis 2050 v. Chr., Anmerk.).“ Zum Vergleich: Die Pyramide von Gizeh ist damals noch keine 500 Jahre alt. „Man weiß, dass es nicht erst in griechisch-römischer Zeit hier einen Tempel gegeben hat, sondern auch schon im Neuen Reich (1550 bis 1010 v. Chr., Anmerk.). Vielleicht gehörte die Anlage zum Vorgänger-Tempel.“ Denn wahrscheinlich gab es auch schon davor irgendein Heiligtum.

Kuriosum am Rande

In einem der Räume stießen die Ägyptologinnen auf Stapel von übereinander geschlichtetem Geschirr – dreckig und achtlos abgestellt. „Ein Kollege fand kleine verklebte Tierknochen auf den Schalen. Irgendetwas muss passiert sein, dass man einfach das schmutzige Geschirr hat stehen lassen“. Was, bleibt auch für die Forscherin vorerst Spekulation. Fest steht aber, dass die Erste Zwischenzeit politisch unruhig und von Bürgerkriegen geprägt war.

Vielleicht entdeckt das Team in Zukunft ja noch mehr. Forstner-Müller: „Wir wollen die Speicheranlage jedenfalls komplett ausgraben“.

Susanne Mauthner-Weber

Über Susanne Mauthner-Weber

Noch bin ich ja nicht überzeugt, dass das tatsächlich irgend jemanden interessiert. Für den Fall, dass doch: Seit einem halben Leben beim KURIER. Fad wird mir nur deshalb nicht, weil ich ständig Abenteuer im Kopf erlebe, Besser-Wisser interviewe und mich zumindest auf dem Papier mit Erfindungen, Entdeckungen und Errungenschaften beschäftige. Anscheinend macht das nicht nur mir Spaß - 2012 wurde ich mit dem Staatspreis für Wissenschaftspublizistik ausgezeichnet, 2013 mit dem Kardinal-Innitzer-Preis für wissenschaftlich fundierte Publizistik und 2014 mit dem Inge-Morath-Preis für Wissenschaftspublizistik. Wie gesagt: Falls das wirklich irgendwen interessiert.

Kommentare