Autorin Johanna Sebauer: "Es ist ein Vorteil, auf Österreichisch zu schreiben“
Die Burgenländerin Johanna Sebauer sorgte beim Bachmannpreis mit ihrem Text "Das Gurkerl" für Euphorie. Warum der Autorin Humor wichtig ist.
Es wurde gekichert und gelacht, als Autorin Johanna Sebauer ihren Text "Das Gurkerl" beim Ingeborg-Bachmann-Preis vortrug. In dem Text gerät einem Journalisten beim Öffnen eines Glases Essiggurkenwasser ins Auge.
Sein Grant darüber treibt ihn zu einer Kolumne – der Beginn einer erregten gesellschaftlichen Debatte. Auch Sebauers erster Roman "Nincshof", über ein Dorf, dessen Bewohner wollen, dass es verschwindet, setzt auf Skurriles und Witz. Die freizeit erreicht die Autorin in der Mittagspause ihres "Brotjobs" in Hamburg. Denn schreiben alleine reicht ihr nicht.
Frau Sebauer, Sie haben beim Bachmannpreis gleich zwei Preise erhalten. Wie geht es Ihnen jetzt?
Johanna Sebauer: Ich fühle mich erleichtert und bin stolz und froh, dass ich mich getraut habe, mich der Kritik im Fernsehen vor so viel Publikum auszusetzen.
Mit Ihrem 2023 erschienenen Debütroman haben Sie ja schon viele Lesungen hinter sich, sind Sie Publikum nicht gewohnt?
Na ja, es macht mir Spaß vor Publikum zu lesen. Der Unterschied ist, zu einer Lesung wird man eingeladen, weil die Leute das Buch gerne hören wollen. Beim Bachmannpreis wird man eingeladen, um möglicherweise zerstört zu werden.
Der Bachmannpreis fühlt sich also an wie eine schreckliche Prüfung?
Ja, wir waren alle extrem aufgeregt, weil das so eine außergewöhnliche Situation war. Vor Ort in Klagenfurt ist man in so einer Blase, dass man sofort überzeugt ist, der Bachmannpreis sei das Allerwichtigste auf der Welt, und wenn man das versemmelt, ist alles vorbei.
Sie haben auch den Publikumspreis bekommen, was bedeutet er Ihnen?
Darüber habe ich mich extrem gefreut. Man liest zwar vor der Jury, aber ich schreibe für die Leser und nicht, um Intellektuelle zu beeindrucken.
Ihr Text erzählt, wie ein Missgeschick im Alltag sich zur grotesken öffentlichen Erregung hochschraubt. Warum haben Sie dafür eine Essiggurke gewählt?
Ich wollte mich von meiner Flugangst ablenken, da kam plötzlich dieses Gurkerl in meinen Kopf und ich überlegte, was damit alles passieren könnte. Damals – und heute natürlich auch – staunte ich, wie gesellschaftliche Debatten manchmal in den sozialen und auch traditionellen Medien eskalieren können. Ich dachte mir, das könnte ja auch mit dem Gurkerl passieren.
Johanna Sebauer
Die Autorin ist 1988 in Wien geboren, im Burgenland aufgewachsen und lebt seit zehn Jahren in Hamburg. Schon mit ihrem Romandebüt „Nincshof“ (DuMont, 2023) hat sie für Aufmerksamkeit gesorgt. Derzeit ist sie in Deutschland und Österreich auf Lesetour, etwa am 3. 8. in Wallern, Burgenland. johannasebauer.com
Auch Ihr aktueller Roman bringt einen zum Schmunzeln. Gehören für Sie Humor und Literatur zusammen?
Ja, das hat sich jetzt so herauskristallisiert, dass das die Art von Literatur ist, die ich mache. Ich lese auch selbst gerne Literatur, die nicht immer nur ernst daherkommt. Gabriel García Márquez etwa ist so ein Autor, der so schön über Figuren und ihre Skurrilitäten schreibt, aber immer mit einem Augenzwinkern. So etwas lese und schreibe ich gerne.
Wollen Sie mit Ihrer Literatur auch eine bestimmte Botschaft transportieren?
Nein, mir ist wichtig, dass mein Schreiben nicht mit irgendeiner Botschaft versehen ist. Ich möchte den Lesern nicht vorschreiben, wie sie meine Texte zu lesen haben. Literatur ist für mich eine Einladung zu einem Erlebnis. Als Autorin versuche ich das menschliche Dasein zu beschreiben, alle Phänomene, die uns begegnen, ob das jetzt auf der Gefühlsebene ist oder einer größeren gesellschaftlichen, wie beim Gurkerl.
Und das eben mit Humor ...
Ja, Humor hilft gerade in gesellschaftlichen Debatten, die so hochkochen, alles ein bisschen weniger dramatisch zu sehen. Das würde ich mir für viele Diskussionen wünschen, dass man auch mal über die eigene Position lachen kann. Ich glaube, mehr Humor würde auch helfen, dass Menschen sich auch mehr mit schwierigen Themen beschäftigen.
In Ihrem Debütroman wollen die Bewohner, dass ihr Dorf verschwindet. Im Gurkerl ist es dem Ich-Erzähler zu viel, dass man zu allem eine Meinung haben muss. Wollen in Ihren Texten alle ihre Ruhe?'
Es scheint, dass sich da ein Charakterzug in meiner Literatur einschleift. Und ich muss Ihnen sagen: Als eine Freundin den Roman gelesen hat, meinte sie: „Johanna, das war ja klar, dass du so ein Buch schreibst, weil du willst ja auch immer deine Ruhe haben.“
Dabei haben Sie viel zu tun, Sie arbeiten in einem Forschungsinstitut und sind gleichzeitig Autorin. Wie geht sich das aus?
Ich mache dreieinhalb Tage pro Woche im Institut die Öffentlichkeitsarbeit, die restliche Zeit schreibe ich. Ich glaube, einen „Brotjob“ zu haben und daneben zu schreiben, tut mir gut. Ich weiß auch gar nicht, ob man dann anders schreibt, wenn man weiß, man muss damit Geld verdienen und ist abhängig. Zum Beispiel habe ich vier Jahre für meinen Roman gebraucht, ich hatte keinen Zeitdruck. Den Verlag habe ich erst gesucht, nachdem ich fertig war. Und ich musste mir keine Gedanken machen, was eine Lektorin oder der Verlag sagen würden. Das wird jetzt wahrscheinlich anders werden.
In Ihrer Gurkerlgeschichte gibt es einen gewissen Pertak, der viel Wind um seine Arbeit macht. Woher kennen Sie diesen Charakter, haben Sie schon einmal in einer Redaktion gearbeitet?
Ja, das habe ich (lacht). Diesen Pertak jedoch, wie ich ihn beschrieben habe, habe ich so nie kennengelernt. Aber viele kommen jetzt auf mich zu und sagen: Ich habe auch so einen Pertak in der Redaktion.
Sie leben und arbeiten in Hamburg.
Wie geht es Ihnen dort als Burgenländerin?
Ganz gut. Auch für das Schreiben war das nicht so schlecht. Weit weg zu sein vom Burgenland, weil man dann auch anders darauf blickt. Als ich meinen Roman geschrieben habe, fiel das in die Coronazeit. Und da habe ich etwas entwickelt, dass ich davor nicht kannte, nämlich Heimweh. Es war hilfreich in dieser Zeit, mich fürs Schreiben zu erinnern. Wie es da im Sommer ist, wenn die Grillen zirpen, sich die Hitze anfühlt. Daran denke ich auch, wenn ich ans Burgenland denke, an diese schweren heißen Sommer.
Vermissen Sie diese?
Ja, der Hamburger Sommer ist ja immer sehr, sehr, naja, nicht sehr sommerlich.
Sie sind in Wien geboren, wäre es keine Option gewesen, dort zu leben? Näher am Burgenland?
Ich habe in Wien studiert und dann über das Erasmusprogramm in Aarhus, Santiago de Chile und Hamburg. Es hat mich halt nichts zurückgezogen damals. 2015 ist meine Mutter gestorben, deshalb war die Heimat immer sehr schmerzhaft für mich. Um mein Leben auf die Reihe zu bekommen und einen Job zu finden, war es erst einmal einfacher, ein bisschen Abstand zu haben ... Ja, mehr kann man dazu nicht sagen, das war einfach viel zu früh. Ich denk auch oft daran, wie das wär, wenn sie das jetzt alles sehen und meinen Roman lesen könnte. Das würde sie wahnsinnig freuen.
War es Ihre Mutter, die Sie zum Schreiben brachte?
Ja, ein bisschen schon. Sie hatte auch in den letzten Jahren Ihres Lebens einen kleinen Verlag im Burgenland. Ich bin durch meine Mutter und meinen Vater, der ja Journalist ist, dazu gekommen. Mir wurde mitgegeben, dass das eine Möglichkeit sein kann im Leben – zu schreiben und damit Geld zu verdienen.
Gibt es in Ihrer Erinnerung Bücher, die für Sie schon früh wichtig waren?
Als Kind habe ich Christine Nöstlinger gelesen, sie hat das Leben der Kinder so genau und ungekünstelt beschrieben, dass ich das Gefühl hatte, so ist es wirklich. Und ich darf über Leute schreiben, die in der Nase bohren und die Rammeln essen. Die Christine Nöstlinger macht das ja auch.
Kommt daher der Mut, dass in Ihrem Bachmanntext so schön geflucht wird?
Das ist jetzt eine Vermutung von Ihnen, aber ich widerspreche dem nicht ...
Wie klingt es, wenn Sie in Hamburg fluchen?
Anders. Ich red auch sehr anders dort. Also scheißdrecksgeschissenes Hurnsgurkerlwasser (Anm. Zitat aus „Das Gurkerl“) würd ich jetzt nicht sagen. (lacht)
Das können Sie aber gut. Ihr Roman hat dort auch einen Preis bekommen. Wie reagieren denn die Hamburger auf den Dialekt im Buch?
Mein Eindruck ist auf jeden Fall, es ist ein Vorteil, auf Österreichisch zu schreiben. Die Leute hier mögen das, wenn es ein bisschen „österreichelt“, sie finden das charmant. Ich glaube, man kann ja in Deutschland auch auf Österreichisch schimpfen und die sagen: Oh, wie süß.
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