Neue Ausstellung: Frida Kahlo, Schmerzensfrau und Kunstikone

Schicksalsschläge ließen die Malerin zur Schmerzensfrau und berühmtesten Künstlerin der Welt werden. Eine Ausstellung in Wien lässt einen ihr Werk jetzt neu erleben.

Selbstbildnisse von Weltruhm. Ein leidenschaftlicher, greller Stil zwischen Surrealismus und Neuer Sachlichkeit – auffällig, unangepasst, beladen mit Symbolen. Eine abenteuerliche persönliche Lebensgeschichte voller Trauer und zugleich Lebensfreude. Körperliche Katastrophen. Die Liebe, ein Glück im Unglück. Dazu: ein früher Tod. Die Biografie der Malerin Frida Kahlo weist so ziemlich jedes Kennzeichen auf, das auf eine ewige Legendenbildung hinausläuft. Und das, obwohl die Frau mit dem berühmtesten Damenbart wie der berühmtesten Monobraue der Welt (beides übertrieb sie in ihren Gemälden) erst ziemlich spät gefeiert wurde.

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Was ihr noch in diesem Artikel lesen werdet:

  • Wie ihr Unfall Frida Kahlos Kunst beeinflusste
  • Was euch in der neuen Ausstellung in Wien erwartet
  • Wie sie ihre große Liebe zweimal heiratete

Im Krankenbett zur Ausstellung

Erst ein Jahr vor ihrem Tod an einer Lungenembolie, 1953 mit nur 47 Jahren, wurde Frida Kahlo die Ehre einer Einzelausstellung in ihrer Heimat Mexiko zuteil. Und die wurde begleitet von außergewöhnlichen Umständen. Die Malerin konnte damals bereits ihr Bett nicht mehr verlassen. Sie wurde gepeinigt von den Schmerzen, die ein schrecklicher Unfall ihr zufügte. Sie war 18 Jahre jung, als sie und ihr damaliger Freund beschließen, den Autobus nach Coyoacán zu nehmen.

Im hinteren Teil ergattern die beiden noch zwei Sitzplätze. Doch dann nimmt an einer Kreuzung das Unheil seinen Lauf. Als der Fahrer versucht, abzubiegen, kann er der auf sie zusteuernden elektrischen Tram nicht mehr ausweichen. Es ist ein Aufprall von unnachgiebiger Härte. Alles liegt in Trümmern. Doch während Fridas Freund mit Prellungen davonkommt, ist ihr Körper voller Blut (vermischt mit dem Goldpulver eines Anstreichers, das sich beim Zusammenstoß über sie verteilte).

Zeugnis ihrer körperlicher Qualen: Frida Kahlos Bild "Die gebrochene Säule", 1944

©Tate Modern / EPA / picturedesk.com/Tate Modern/epa/picturedesk.com

Eine Haltestange aus Stahl hatte ihr Becken durchbohrt, war an der linken Hüfte ein- und bei der Vagina wieder ausgetreten. Das Schlüsselbein und zwei Rippen waren gebrochen. Der rechte Fuß, so genau weiß es die berühmte Biografie von Hayden Herrera: ausgerenkt und zerquetscht; das rechte Bein elfmal gebrochen, die linke Schulter ausgekugelt, das Schambein dreimal gebrochen. Folgen also, die es in sich hatten – und Frida Kahlo am Tag ihres großen Triumphs ans Bett fesselten.

Vermeintlich. Denn die selbstbewusste und mit einem unbändigen Lebenswillen ausgestattete Künstlerin ließ ihn sich nicht nehmen: Sie ließ sich im eigenen Bett von ihrem Zuhause, dem berühmten Blauen Haus, zur Kunstgalerie transportieren, wo sie im Liegen den Feierlichkeiten beiwohnte. Eine weitere Gelegenheit, bei der prägnante Merkmale ihrer Biografie deutlich zu Tage traten: Eigensinn. Lebenswille. Schmerz.

Eine Ausstellung in Wien macht Frida Kahlos Leben und Werk nun neu erlebbar: Seit 27. April ist in der Marx Halle „Viva Frida Kahlo“ zu sehen, bei der ihre Gemälde, ganz wie bei der Schau „Monets Garten“, immersiv inszeniert werden. Das heißt: Rundumprojektionen und ein eigener Soundtrack lassen einen ganz in die explosive Farbenwelt der Ikone eintauchen. Interaktive Screens ermöglichen es, ihre Symbole und ihre poetische Traumwelt spielerisch zu erfahren. Und die multimediale Dramaturgie um ihre berühmten Werke schafft dank des 360-Grad-Erlebnisses ein Schauspiel, das mitreißend Kahlos Leben nacherzählt.

Rundum-Erlebnis: immersive Ausstellung "Viva Frida Kahlo", aktuell in der Wiener Marx Halle 

©VIVA FRIDA KAHLO/Morris Mac Matz/Max Matzen

„Bei keiner anderen Künstlerin sind Leben und Werk so sehr verknüpft wie bei ihr“, weiß Nepomuk Schessl, der die Schau produziert hat. „Das ist es wert, es zu erzählen. Denn es gibt so viel an ihr zu entdecken. Viele kennen sie ja bloß als Pop-Ikone, deren Gesicht auf T-Shirts aufgedruckt ist. Das ist wie bei den Rolling Stones. Da wissen manche heute auch nicht so recht, was alles hinter der Zunge auf ihrem Sweater steckt.“

Längst ist Kahlo Kult. Ihr Konterfei schmückt Polster, Bleistifte, Kosmetiktaschen, Fototapeten oder Teller und Häferln und sogar Socken. In Zürich und Hamburg war die Ausstellung ein voller Erfolg, in München war sie wochenlang ausverkauft.

Malen vom Bett aus

Die Tochter eines stillen, deutschen Auswanderers, der sich in Mexiko von Wilhelm auf Guillermo umbenannte, war ein lebhaftes, wenn nicht sogar wildes Kind, das die eigene Wut schlecht beherrschen konnte. Nach dem Unfall und drei Wochen Koma war die eingeschränkte Beweglichkeit ein Schock. Auch für ihre Eltern, die sie darob erst nicht im Spital besuchten. Dann aber brachte ihr Vater seinen Ölfarbenkasten und ihre Mutter konstruierte eine Staffelei, sodass die Tochter vom Bett aus im Liegen malen konnte. Am Baldachin des Krankenbetts wurde ein Spiegel angebracht. So entstand Frida Kahlos erstes Bild: ein Selbstporträt, gemalt für ihren damaligen Liebhaber Alejandro, gedacht als Geschenk, um die gemeinsame Beziehung zu retten.

„Selbstbildnis mit Dornenhalsband“, 1940: Im Bild verarbeitet Kahlo ihre Scheidung

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Martin Shields/Alamy Stock Photos/Martin Shields/mauritius images

„Malen wurde für Frida ein Kampf ums Dasein und ein Teil ihrer Selbstfindung“, zitiert Stefanie Dirnberger in ihrer Diplomarbeit „Das Leben der Frida Kahlo“ Hayden Herreras „Frida Kahlo: Ein leidenschaftliches Leben“. Vor allem die vielen Selbstporträts stechen in Kahlos Schaffen hervor. „In der Kunst wie im Leben diente ihr die theatralische Selbstdarstellung als ein Mittel, die erreichbare Welt im Griff zu behalten.“

Das Bild „Die gebrochene Säule“, das 1944 entstand, gibt davon bitteres Zeugnis. Auf dramatische und eindringliche Art verdeutlicht es die Qualen und das Leid, mit dem Kahlo zeit ihres Lebens zu kämpfen hatte. Nägel perforieren auf dem Selbstporträt durchgehend ihr Gesicht und den entblößten Körper. Ein weißes Korsett hält sie zusammen. Tränen laufen ihr über die Wangen. Ihr Körper, gespalten und entzweit, gibt brutalen Einblick auf die gebrochene Wirbelsäule in Form einer ionischen Säule – und ihr malträtiertes Seelenleben.

Die große Liebe zweimal heiraten

Auch im Gemälde „Das fliegende Bett“ malt Kahlo sich den Schrecken von der Seele, um ihn halbwegs ertragen zu können. 1932 erleidet sie in Detroit, wohin sie ihren Mann Diego Rivera begleitet hatte, eine Fehlgeburt mitsamt Blutsturz. Das Gemälde zeigt sie weinend am Krankenbett des Henry Ford Hospitals, inmitten einer riesigen Blutlache. Sie hält sich den Bauch. Umgeben wird sie in dem surrealistischen Gemälde (erstmals malt sie auf Metall) von an Schnüren gebundenen Symbolen: etwa einem männlichen Fötus (sie wünschte sich einen Buben).

Große Liebe: Frida mit ihrem Mann, dem berühmten Maler Diego Rivera

©Everett Collection / picturedesk.com/Everett Collection/picturedesk.com

Es ist ein Bild, das sich mit dem anderen dominanten Thema im Werk Kahlos verflicht: ihrer Liebe zu Diego Rivera. Wie so vieles in ihrem Leben ist auch diese unerschütterlich. Der berühmte Wandmaler war fast 21 Jahre älter als sie. Lange steht sie in seinem Schatten. Erstmals aufeinander trafen sie zu ihrer Schulzeit: Sie spielte dem Kunststar Streiche, stibitzte ihm sein Essen, rieb Stiegen mit Seife ein. Später bat sie Rivera, einen dickwanstigen Koloss mit Stetson, Patronengürtel und Knitterkleidung, um seine Meinung über ihre Kunst. Sie gefiel. Und eine wilde Liebe nahm ihren Lauf.

Als sie heiraten, sprechen Kahlos Eltern von der Verbindung eines Elefanten mit einer Taube. Riveras Beteuerungen, er könne nicht treu sein, ignoriert Kahlo. Wie notorisch er sie mit anderen Frauen betrügt, darunter eine eineinhalbjährige Liaison mit ihrer Schwester Cristina, nimmt sie hin. Folgt ihm nach San Francisco, Detroit, New York, wo er Aufträge verwirklicht. „Ich bin in meinem Leben von zwei großen Unfällen betroffen worden“, sagt sie. „Der eine geschah, als ich von einer Straßenbahn überfahren wurde, der andere ist Diego.“

Doch auch sie hat Affären, nicht zu knapp, mit Männern wie mit Frauen. Die berühmteste: mit Leo Trotzki, dem russischen Revolutionär, später ermordet von einem Schergen Stalins. Auf der Flucht lebte er einige Zeit mit seiner Ehefrau beim kommunistischen Maler-Ehepaar.

„Der verletzte Hirsch“, 1946: auf der Flucht vor dem Schmerz

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1939 lassen Kahlo und Rivera sich scheiden. Ihren Kummer übermalt sie, verarbeitet gleichzeitig die Trennung von ihrem Liebhaber, dem Fotografen Nickolas Muray, so entsteht etwa das Bild „Selbstbildnis mit Dornenhalsband“ – Frida, die Märtyrerin. Der Kontakt zwischen Kahlo und Rivera bricht nie ab. 1940 heiraten sie ein zweites Mal. Unter zwei Bedingungen. Erstens: finanzielle Unabhängigkeit. Zweitens: kein Sex.

152 Gemälde schuf Frida Kahlo, davon 50 Selbstporträts. Ihre Selbstbehauptung und autonome Haltung in einer patriarchalen Gesellschaft machen sie auch zu einer feministischen Galionsfigur. Ihre Bilder gehen nahe, nicht nur all des Schmerzes wegen. „Es sollte nicht vergessen werden, welch hoffnungsfroher Mensch sie war“, weiß Experte Schessl, „und wie produktiv sie mit ihrem Schicksal umging“. Bunt und facettenreicher, als man denkt. Wie sagte Frida Kahlo doch: „Sie dachten, ich sei eine Surrealistin, aber das war ich nicht. Ich habe nie Träume gemalt, ich habe meine Realität gemalt.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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