Vera Steinhäuser

"Erfolgreiche Frauen zahlen höheren Preis"

Machtexpertin Vera Steinhäuser über falsche Assoziationen, neue Wege, die Pandemie als Rückschlag und warum in Beziehungen die Sadomaso-Szene im übertragenen Sinn Vorbild sein kann

Es geht um die Macht: Frauen werden mutiger, doch das System ändert sich nur langsam. Ein Gespräch über Egalität im Job und in der Liebe.

Was meinen wir konkret, wenn wir von Macht sprechen?
Vera Steinhäuser: Es gibt viele Interpretationen, spannend sind vor allem erste Assoziationen. Die fallen vor allem bei Frauen oft negativ aus. Schnell kommt das Wort Machtmissbrauch in den Sinn, mit diesem Thema wurden wir in den vergangenen Jahren in den Nachrichten immer wieder konfrontiert. Doch Macht per se muss nicht negativ sein. Es ist die Frage, was wir damit machen.
Werden mächtige Frauen negativer wahrgenommen als Männer?
Ja, erfolgreiche Frauen zahlen also einen höheren sozialen Preis.
Warum ist das so?
Seit mehr als 5.000 Jahren leben wir in einer patriarchal geprägten Struktur. Das hat Frauen immer weiter weggebracht von der Macht.
Rund 10 Prozent der Geschäftsführungen der 200 umsatzstärksten Unternehmen in Österreich sind mit Frauen besetzt, bei Aufsichtsratsfunktionen sind es 25 Prozent. Vor zehn Jahren waren es halb so viele. Ist das ein Fortschritt oder eine zu langsame Entwicklung?
Ich bin ein positiv denkender Mensch. Also: Ja, es geht was weiter, Resignation ist nicht zielführend. Trotzdem bleibt es ein langer Weg. Laut Gleichstellungsreport dauert es noch 140 Jahre, bis es ausgeglichen ist. Jüngste Zahlen liegen gar bei 300 Jahren.
Wie ginge es schneller?
Durch strukturelle Veränderungen etwa bei der Kinderbetreuung. Andererseits geht es um die Bereitschaft, denn jedes Individuum trägt zur systemischen Veränderung bei. Es ist wichtig, dass wir jungen Frauen vorzeigen, was möglich ist. Aber ich verorte auch einen Gegentrend, nämlich dass diese wieder in alte Rollenbilder gehen – also jung heiraten, Kinder bekommen, zu Hause bleiben.

Sommergespräch mit Vera Steinhäuser

Woher kommt das?
Durch die Pandemie wurden traditionelle Rollen gestärkt, damit das System funktioniert. Die Welt wird unsicherer, komplexer – etwa am Arbeitsmarkt. Die alte Struktur ist ein Versuch, vermeintliche Sicherheit zu kreieren. Die Entwicklung muss man kritisch beobachten.
Weibliche Macht, sagen Sie, wird oft sexualisiert und mit Begriffen wie Verführung, Manipulation in Verbindung gebracht. Wieso?
Ja, da sind wir schnell beim Thema „Waffen der Frauen“, es geht also in eine sexuelle Richtung. Es ist eine Folge des Patriarchats, in dem Frauen, die in den Innendienst ergo Haushalt verwiesen wurden, nur dort ihre Macht ausleben konnten. Das wiederum hat viel mit dem Familiären per se zu tun, weil Frauen die Kinder gebären.
Das wird sich nicht ändern.
Ja, aber die Betreuung könnten wir fairer aufteilen und eine Haltung einnehmen, die nicht voraussetzt, dass Betriebskindergärten nur ein Goodie für Frauen sind. Es geht nicht darum, dass Frauen die ganze Macht übernehmen. Aber wir brauchen eine egalitäre Aufteilung.

Interview im Wiener Klee am Hanslteich mit Marlene Auer

©Kurier/Gilbert Novy
Wie sähe die Welt dann aus?
Anders. Es gibt spannende Beobachtungen etwa an der Elfenbeinküste, wo die Bearbeitung von Feldern nach Geschlechtern getrennt ist. In Jahren, in denen Frauen die Ernte einfahren und über den Erlös entscheiden, wird vor allem in Gemeinwohl, Bildung und Gesundheit investiert. In Jahren, in denen die Männer es tun, fließt Geld besonders in Tabak, Spielindustrie und Alkohol. Das lässt erahnen, dass sich die Welt ändern würde.
Wie ist es mit Macht in Beziehungen: Sie sagen, solche gelingen besser, wenn sich Paare ein Beispiel an der Sadomaso-Szene nehmen. Wieso?
In der klassischen Beziehung gibt es oft große Erwartungshaltungen, doch es wird wenig über die Bedürfnisse gesprochen. Der SM-Bereich kann Vorbild sein, weil es fixe Vereinbarungen zwischen den Partnern braucht. Wenn wir Wünsche klar kommunizieren, profitieren alle davon.
Braucht es mehr Regeln?
Manche brauchen Regeln, manche mehr Austausch. Generell geht es um das Schaffen von Bewusstsein und um ein neues Verständnis von Macht auch im Privaten.
Heißt das: Das Rollenbild des Mannes mit der Schulter zum Anlehnen hat Ihrer Ansicht nach ausgedient?
Dieser Umgang beziehungsweise diese Erwartungshaltung ist eine Sozialisierung. Das möchte ich nicht bewerten. Ich behaupte aber: Wir haben aufgrund dessen auch viele Nachteile.
Inwiefern?
Auch Männer tun sich nicht immer leicht – weil sie stets die starke Schulter bieten müssen, Versorger sind und Erwartungen zu erfüllen haben. Häufigste Todesursache von Männern zwischen 25 und 45 Jahren ist Selbstmord. Sie kommen meist nicht mit dem gesellschaftlichen Druck zurecht. Insofern ist es wert, auch die Situation der Männer mit einem neuen Zugang anzuschauen.
Auch hier geht es um Bedürfnisse. Was, wenn man die Wünsche kommuniziert, der Partner sie aber nicht hört?
Man kann nicht erwarten, dass es beim ersten Anlauf funktioniert. Eine Geheimwaffe ist, zu fragen: „Was hält dich zurück, das zu hören, was ich dir sage?“
Und wenn das nicht hilft?
Dann ist das eine Schieflage. Wenn der andere nicht von der dominanten Haltung abrückt, schlittern wir in eine Situation, die in Machtmissbrauch enden kann.
Wie kommt man da raus – beruflich wie privat?
Man sollte weitere Personen involvieren, um den Konflikt breiter zu machen. So wird das System neu aufgestellt. Man kann etwa einen Mediator hinzuziehen. Hilft das nicht, ist die Trennung der letzte Ausweg. Doch das muss nichts Schlimmes sein. Es ist kein Scheitern, auch wenn das oft noch so gesehen ist. Es ist eine Entscheidung.
Ob Mann oder Frau: Wie strahlt man Macht aus?
Etwa durch „Power Pulses“, die eine amerikanische Soziologin erforscht hat. Das sind Posen, die unseren Hormoncocktail ändern, wenn man sie für zwei Minuten einnimmt. Etwa, wenn man die Hände in die Taille stemmt. Oder die Arme abgewinkelt hebt, als wolle man die Bizepsmuskeln zeigen. Dann steigt Testosteron, und Cortisol sinkt ab. Das macht uns gelassen und entscheidungsfreudig. Und es macht etwas mit unserem Gegenüber.
Gibt es "mächtige" Sprache?
Ja: Füllwörter weglassen, nicht im Konjunktiv sprechen. Auch die Stimme ist entscheidend. Margaret Thatcher hat sie eine Oktave tiefer trainiert. Es ist also ein Instrument, das man nutzen kann.

Info

SOMMERGESPRÄCH
Macht: Das ausführliche Gespräch mit Coachin & Autorin Vera Steinhäuser über Patriarchat, Erwartung und Rückschritt.
Sonntag, 3.9. um 21.00 Uhr auf  
KURIER.TV, KURIER.at 

Marlene Auer

Über Marlene Auer

Chefredakteurin KURIER-freizeit. War zuvor Chefredakteurin bei Falstaff und Horizont Österreich, werkte auch als Journalistin im Bereich Chronik und Innenpolitik bei Tages- und Wochenzeitungen. Studierte Qualitätsjournalismus. Liebt Medien, Nachrichten und die schönen Dinge des Lebens.

Kommentare