einsame Frau

Wie uns Einsamkeit gesund und zufrieden machen kann

Wir verbringen ein Drittel unseres Lebens alleine. Ein neues Buch beleuchtet die wenig untersuchten positiven Seiten des Alleinseins. Und wie man dazu kommt.

Allein zu sein, wenn man es nicht möchte, kann belasten. Es kann schmerzen, das wissen viele seit der Pandemie besser, als ihnen lieb ist. Es kann krank machen.

Und doch: Selbst mit dem Beenden der Lockdowns ist für viele Menschen Einsamkeit präsenter denn je. Mit 1,57 Millionen gibt es aktuell so viele Singlehaushalte in Österreich wie noch nie. Wir können alleine Geld verdienen, alleine den Alltag meistern und verbringen im Schnitt ein Drittel unseres wachen Lebens alleine. 

Weniger Unbehagen, mehr Kreativität

Besser, sich dem Thema zu stellen, fanden die drei englischen Wissenschafterinnen Netta Weinstein, Thuy-vy T. Nguyen und Heather Hansen. Und kamen bei ihren Recherchen auf überraschende Erkenntnisse: Vielmehr als krank kann uns Einsamkeit gesund machen. Denn es kann unser Wohlbefinden steigern, Angst nehmen und Kreativität fördern.

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In ihrem Buch „Solitude“ (dt. Einsamkeit; Cambridge University Press) argumentieren sie, dass dem Alleinsein zu Unrecht ein negatives Stigma anhaftet. 

Erschrecken, dann  erkennen

„Man kann“, zitieren sie die amerikanische Flugpionierin Beryl Markham, „ein ganzes Leben lang leben und am Ende mehr über andere Menschen wissen als über sich selbst. Man lernt, die anderen Menschen zu beobachten, aber man lernt sich selbst nie kennen, weil man gegen die Einsamkeit ankämpft.“ Und dann suchte Beryl Markham genau diese auf.

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Im September 1936 überquerte sie als erster Mensch den Atlantik von Osten nach Westen. „Allein in einem Flugzeug zu sein... unwiderruflich allein, mit nichts zur Beobachtung als den Instrumenten und den eigenen Händen im Halbdunkel, mit nichts zum Nachdenken als der Größe des eigenen kleinen Mutes … eine solche Erfahrung kann so erschreckend sein wie die erste Wahrnehmung eines Fremden, der nachts neben einem hergeht. Du bist ein Fremder.“

Der Deaktivierungseffekt

Doch wer diesen Moment aushält, kann das Glück finden. Denn zum einen kann das Alleinsein negative Gefühle entschärfen. „Diese Erkenntnis kam nicht sofort", argumentieren die Buchautorinnen. Denn die ersten Untersuchungen zu Gefühlen bei Einsamkeit unter dem Psychologen Reed Larson ergaben: Einsamkeit schwächt starke positive Gefühle. Doch nun, durch Einsamkeitsforscherin und Co-Autorin Thuy-vy T. Nguyen konnte bewiesen werden: Alleinsein schwächt auch starke negative Gefühle ab. Ein Phänomen, das mittlerweile als „Deaktivierungseffekt“ bekannt ist. 

Kreativität kommt allein

Außerdem mache Alleinsein kreativ. Denn jene Neuronen, die für Kreativität verantwortlich sind, dann am aktivsten sind, wenn der Fokus nach innen gerichtet ist. 

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„Ich denke", sagt Popsängerin Taylor Swift in ihrem Film "Folklore" über ihr gleichnamiges Album, „die Pandemie und die Abriegelung und all das zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Album... es ist ein Produkt der Isolation."

Die neue Isolophilia 

Für viele, die während dem Lockdown nicht mit Krankheit, Tod oder finanzieller Unsicherheit zu kämpfen hatten, kam in der Einsamkeit auch eine neue Einsicht – über Beziehungen, die Arbeit, das Leben an sich. Im August 2020 fand ein neues Wort Einzug ins urbane Online-Wörterbuch: Isolophilia, die Vorliebe für Einsamkeit. 

Der Schlüssel, räumen die Autorinnen ein, ist die Wahl. 

Extremsportlerin Jennifer Pharr Davis meisterte nach ihrem Schulabschluss 2005 den 3.524 Kilometer langen, gefährlichen Appalachian Trail (AT) in Nordamerika mit Ekstase.

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Vor der Wanderung war ihr sogar das Essen in der Schulcafeteria allein unangenehm. Dann war sie monatelange auf sich gestellt. Und genoss die Erfahrung, die surreal schönen Momente in der Natur so sehr, dass sie ihr Leben den Langstrecken Touren verschrieb. 

Eine Frage der Wahl

Doch wäre sie dazu gezwungen worden, wären die Gefühle wohl gegenteilig gewesen. Denn Zufriedenheit kommt mit der Wahl. Wenn einem der Kellner in einem Restaurant einen Salat anstelle eines Burgers serviert, verärgert das. Selbst wenn er argumentiert hätte, dass der Salat gesünder ist. Man fühlt sich wütend, hilflos.

Die Autorin Madeleine L’Engle bringt es in „Die Zeitfalte“ auf den Punkt: „Denn einem Menschen die Freiheit zu nehmen, selbst die Freiheit, eine falsche Entscheidung zu treffen, bedeutet, ihn zu manipulieren, als wäre er eine Marionette und keine Person.“

Und so wollen die Autorinnen nichts vorschreiben, sondern bloß anregen. Das Alleinsein zu probieren. Bis man, vielleicht, davon nicht mehr genug bekommen kann.

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Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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