Psychologin: "Beziehung ist das größte Risiko, das wir in unserem Leben eingehen"

Misstrauen. Kontrolle und Eifersucht zerstören jede Beziehung. Wie man damit umgeht und erst gar nicht hineingerät, verrät Psychologin Birgit Maurer.

"Beziehung ist das größte Risiko, das wir in unserem Leben eingehen, weil wir uns auf die Enttäuschung einlassen", sagt Psychologin und Psychotherapeutin Birgit Maurer. Kein Wunder, dass Misstrauen ein Thema ist, das sie täglich in ihrer Praxis (liebeskummerpraxis.at) begleitet. Die Psychologin erklärt den Unterschied zwischen Geheimnis und Lüge, wie Eifersucht und Kontrolle der Liebe zusetzen, aber vor allem, wie eine vertrauensvolle Beziehung gelingen kann.

Was steckt dahinter, wenn sich jemand immer wieder der Liebe des anderen versichern muss? Etwa mit der Frage "liebst du mich?".

Birgit Maurer: Das hängt davon ab, in welcher Phase der Beziehung man sich befindet. Wenn man frisch verliebt ist, ist das ja ein beliebtes Spiel, einander zu fragen: "Liebst du mich, wie sehr liebst du mich?" Man neckt sich, ist noch ein bisschen unsicher, bewegt sich zwischen Fishing for Compliments und der Einladung zum erotischen Spiel. Für Frischverliebte passt das, ist man aber schon in einer festen Beziehung, hat das eine andere Bedeutung. Da geht es in Richtung Kontrolle, Misstrauen, Eifersucht. Da ist es gut, sich selbst zu fragen, warum es diese ständige Bestätigung braucht. 

Auf welche Antworten könnte man da kommen?

Vielleicht hat sich etwas in der Beziehung verändert, so dass man die Liebe nicht mehr so spürt. Weil man nichts mehr gemeinsam unternimmt oder etwa die Zärtlichkeiten und Komplimente ausbleiben. Es gibt auch Paare, die sich beim Begrüßen und Verabschieden ständig sagen: "Ich liebe dich." Das ist ja nett, aber ist diese Liebe wirklich spürbar und wird sie auch gelebt?  
Zu mehr Vertrauen führt das Einfordern von Bestätigung also nicht. Auch wenn man diese dann bekommt? 
Natürlich nicht, das fördert sogar ein Klima des Misstrauens. Wie gesagt, zu Beginn kann das spielerisch sein, aber wo kippt es dann in Richtung Kontrolle? Hier lautet die Frage, was ist mein eigener Anteil, etwa aus der Lebensgeschichte heraus. Wie schaut es mit der eigenen Liebesfähigkeit aus? Mit meinem Vertrauen in die Welt, in mich selbst? Fokussiert man zu viele Erwartungen auf das Gegenüber, wird es schwierig, sich selbst zu vertrauen. Und wenn das eigene Wohlergehen vom Partner, der Partnerin abhängt, gerät man in Abhängigkeit. Das führt zu noch mehr Misstrauen und Eifersucht. 

Wenn das Misstrauen in der Partnerschaft erst einmal Fuß gefasst hat, ist eine Trennung dann unausweichlich? 

Wenn beide auf diesem Misstrauen beharren, dann ja. Wenn aber beide erkennen und klären wollen, warum etwa Eifersucht plötzlich zum Thema wird, dann nicht. Die Voraussetzung ist, dass beide ehrlich und mit reinem Herzen die Ursachen herausfinden wollen. Ist das Misstrauen begründet, weil es etwa einen Seitensprung gab? Dann braucht es wieder vertrauensbildende Maßnahmen. Oder kommt es scheinbar aus dem Nichts heraus oder hat sich etwas verändert?
 Haben Sie Beispiele?
Was zum Beispiel oft passiert, ist, dass die Sexualität bei der Frau nach der Geburt eines Kindes einen anderen Stellenwert hat. Dann kommt eventuell noch die Gewichtszunahme dazu, die Frau ist verunsichert, findet sich selbst nicht mehr so attraktiv. So eine Verunsicherung kann auch im Krankheitsfall, in beruflich herausfordernden Phasen oder bei familiären Schwierigkeiten etc. passieren, wenn einer krank wird, dicker, dünner oder eine Zeit lang einfach nicht so gut drauf ist und sich deshalb nicht mehr für so attraktiv hält – und sich auch nicht vorstellen kann, dass der andere einen noch attraktiv findet. Es kann aber auch einfach nur die Phase der Beziehung sein, in der die Sexualität nicht mehr so spannend ist. Wenn man dann im Misstrauen steckenbleibt und vorwurfsvoll wird, dann wird es vermutlich in der Trennung enden. Aber wenn man sich vornimmt, aus der veränderten Situation mit all den Unsicherheiten einen guten Nährboden zu schaffen, dann kann das Vertrauen wieder wachsen. Dafür braucht es beide. Beide müssen die Bereitschaft dazu haben, etwas dafür zu tun.   
Warum gerät selbst das größte Vertrauen manchmal ins Wanken?  
Es fängt damit an, dass irgendwann die Verliebtheitsphase "weg ist" und die Unsicherheit, ob die Beziehung vertieft oder beendet wird, Einzug hält. Der Partner bzw. die Partnerin von einem netten Kollegen oder einer netten Kollegin erzählt, oder in den sozialen Medien plötzlich ein Foto zu sehen ist, wo die Hand des Kollegen auf der Schulter liegt. Die Fantasiespirale beginnt und vielleicht auch der Hang zu kontrollieren. Man kann das nicht an einem Punkt festmachen, es können unendlich viele Gründe sein, die plötzlich das Misstrauen schüren. Das ist so individuell wie die Liebe. Aber eines ist klar: Misstrauen ist zerstörerisch.
Wie geht man damit um? 
Besser, man fragt sich, was dahinter steckt. Nämlich meist die eigene Angst vor Verlust und Aufmerksamkeit. Vielleicht ist es dann sinnvoll, in den Dialog über die Ängste zu treten, diese zu dekodieren. Wofür steht die aufkeimende Eifersucht, wofür die Kontrolle, welchen Wunsch habe ich? Es ist ein untauglicher Versuch, Verlustängste zu verdrängen und "wegzubekommen", das wird nicht gelingen. Es ist auch besser, statt über Eifersucht und Kontrolle, über Angst zu reden. "Ich habe Angst, enttäuscht zu werden, ich habe Angst betrogen zu werden."  
Manche Menschen können besser vertrauen als andere, woran liegt das? 
Menschen, die das können, haben sich schon mehr mit sich selbst auseinandergesetzt. Sie wissen etwa, dass Eifersucht und Kontrolle für sie gar nicht geht und sagen das auch gleich zu Beginn der Beziehung. Es ist zum Beispiel oft Thema, dass das Handy offen am Tisch liegt und beide können jederzeit reinschauen. Da sind wir sehr schnell bei der Kontrolle. Kontrolle festigt eine Beziehung nicht, es ist sinnvoller eine Beziehung so liebevoll zu stärken, dass ich gar nicht auf die Idee komme, dass ich was anderes möchte. Wer kontrolliert, der muss wissen, dass das kein guter Nährboden für eine gelingende Partnerschaft ist.
Was kann man tun, um mehr zu vertrauen? 
Es beginnt bei einem selbst. Es lohnt sich, daran zu arbeiten, dass man sich selbst für liebenswert empfindet – und zwar ohne Bedingung. Ohne etwas leisten oder erfüllen zu müssen. Dazu gehört auch, alleine sein zu können. Wer einmal alleine gelebt hat, weiß mehr über die eigenen Bedürfnisse. Es geht darum, Klarheit in bestimmten Fragen zu haben: Woran merke ich, dass ich interessiert am anderen bin? Was erwarte ich mir in einer Beziehung? Was brauche ich, um mich geborgen zu fühlen? Und wie viel Rückzug brauche ich, um mein eigenes Leben leben zu können? Das muss man wissen und dann am besten auch mit dem Partner, der Partnerin besprechen. Dann kann man die Beziehung miteinander gestalten. Je weniger ich bespreche und mich nur in der Fantasiespirale befinde, desto mehr Raum bekommen Eifersucht und Kontrolle. Bevor die Gedanken weggaloppieren ("Oje, der geht jetzt noch was trinken mit den Kollegen, wer ist da dabei?") bitte reden und miteinander besprechen, wie viel Nähe und Distanz jeder in der Beziehung braucht. 

Fokussiert man zu viele Erwartungen auf das Gegenüber, wird es schwierig, sich selbst zu vertrauen.

Gibt es da eine Regel, wie viel Distanz und Nähe für ein Paar gut sind?

Nein, das ist für jeden anders und damit auch für jedes Paar. Aber eine Regel kann ich sagen: Je besser die Beziehung zu mir selbst ist, desto besser auch die Liebesbeziehung. Ich habe 30-Jährige in meiner Praxis, die mit 20 Jahren in eine Beziehung gekommen sind, und sich erst dann fragen, was ihre Bedürfnisse sind, sie kennen sie nicht, weil sie die letzten 10 Jahre mit ihrem Partner mitgelebt haben. Und dann wird ihnen plötzlich bewusst, dass sie das eigentlich gar nicht so wollen, haben aber vorher nie drüber nachgedacht. Oder ältere Generationen, wo vor allem Frauen dazu neigen, Dinge aufzugeben. Sie sagen etwa "Nein, ich gehe heute nicht ins Yoga, sonst sehe ich meinen Mann ja überhaupt nicht mehr." Sie reduzieren sich und verzichten, ziehen die Kinder groß und plötzlich stehen sie da, haben weder Freunde noch Hobbys. 

Das sind tatsächlich immer noch meistens die Frauen?

Ja, das muss ich so sagen, ohne dass ich jetzt Klischees bedienen möchte. Es ist auch irgendwie logisch, wenn sie Kinder bekommen und sich auch sozial sehr engagieren. Es ändert sich aufgrund der Emanzipation zwar schon, dass Frauen sagen, ich mach jetzt auch mein Ding, aber die Unterordnung passiert hier immer noch mehr als bei Männern.   

Es ändert sich aufgrund der Emanzipation zwar schon, dass Frauen sagen, ich mach jetzt auch mein Ding, aber die Unterordnung passiert hier immer noch mehr als bei Männern.

Manche Menschen glauben, es ist gut, gleich zu Beginn alles zu erzählen. Von Ex-Partnern, dem Dreier, mit wie viel Menschen man geschlafen hat etc. Hilft diese Offenheit?

Nein, da sind wir wieder bei der Kontrolle. Das muss jeder natürlich selbst für sich wissen, ob er sich beim ersten Date über den Ex unterhalten will. Vielleicht gibt es aber Spannenderes. Man muss sich auch bewusst sein, was man da erzählt. Gerade in unserer hochsexualisierten Welt. Egal, wie alt wir sind, wir haben immer nur ein erstes Mal miteinander. Ich erlebe die romantische Annäherung als häufig berichtetes Wunschszenario ... Ich finde es besser, ein wenig zu romantisieren, sich zärtlich zu begegnen, als alles auf den Tisch zu legen. Das Geheimnisvolle ist oft spannender, ein paar Erlebnisse für sich zu behalten. Sonst wird das First Date zum Bewerbungsgespräch mit der Frage, welche sexuellen Praktiken hast du denn schon praktiziert? Das wird meist als sehr ernüchternd erlebt.
Wo ist der Unterschied zwischen einem Geheimnis und einer Lüge? 
Ein Geheimnis betrifft eine Erfahrung, die ich gemacht habe, etwas, das vor meiner Beziehung war oder Erlebnisse, die persönlich in der Beziehung gemacht werden und nichts mit der Beziehung zu tun haben. Das kann ich erzählen oder auch nicht. Aber wenn man in der Beziehung sagt, ich gehe heute ins Theater und gehe dann woanders hin, das nährt Misstrauen.

Was gibt es noch für Herausforderungen, wenn ich in einer Beziehung ohne Misstrauen leben möchte? 

Es ist wichtig, die Andersartigkeit des anderen anzunehmen, auch Unbequemes auszusprechen. Und sich einzugestehen, dass der andere auch Eigenschaften und Vorlieben hat, die einem nicht gefallen. Es beginnt schon bei der berühmten Zahnpastatube. Oder jetzt tut er schon wieder rum am Handy oder sie hat schon wieder was rumliegen lassen. Wie viel Anderssein billige ich mir und meinem Partner zu in der Beziehung? Das ist die Herausforderung. Wie viel vertraue ich mir selbst? Meistens hat Misstrauen ja auch damit zu tun, dass man Angst hat, nicht mehr geliebt zu werden und den geliebten Menschen zu verlieren. Es geht auch darum, wie gnädig man mit sich selbst ist. Es ist wichtig, seine Koordinaten im Leben zu finden, seine Bedürfnisse zu äußern, zu sagen, was einen stört. Beziehung ist das größte Risiko, das wir in unserem Leben eingehen, weil wir uns auf die Enttäuschung einlassen. Je näher uns jemand ist, desto mehr kann er uns enttäuschen, kränken, verletzen.  

Geht man mit Misstrauen in eine neue Beziehung, dann stülpt man dem anderen das um, was man erlebt hat.

Es gibt Menschen, die keinesfalls enttäuscht werden wollen. Muss man lernen, Enttäuschungen auszuhalten?

Ja, natürlich, sobald wir auf der Welt sind, werden wir enttäuscht. Schon als Kind müssen wir mit Grenzen und dem Wort "Nein" umgehen lernen. Die Frage an dieser Stelle wäre: Bin ich lernbereit oder gehe ich von der kindlichen Haltung aus, dass die Welt schmerzfrei ist? Es gibt keine schmerzfreie Welt. Es ist unser Entwicklungsprozess, daraus zu lernen. Es wird von uns ständig Anpassung in allen Lebenslagen verlangt. Das gilt auch in Beziehungen. Ein Kompromiss ist ein Zugeständnis. Wie will man damit umgehen, was sind die Bedürfnisse, was tröstet mich, was unterstützt mich, was bringt mir Genuss? Es geht darum, sich die Lebendigkeit und Beweglichkeit zu bewahren, um mit all den Dingen, die uns begegnen, umgehen zu lernen. Das Leben draußen können wir nicht verändern, aber sehr wohl, wie wir damit umgehen.
Wer in der Liebe enttäuscht wurde, hat es oft schwer, in einer neuen Beziehung, wieder Vertrauen zu fassen. Was kann man tun? 
Wenn etwa klar war, dass man Treue will und dann tauchen Parallelbeziehungen mit Frau und Kind auf, dann ist das natürlich eine riesige Enttäuschung. Verletzung und Kränkung sitzen da tief, das stellt alles in Frage. Wenn man einen One-Night-Stand auf der Firmenfeier hatte, ist das etwas anderes. Wenn das als Fehler eingestanden wird und man es schafft, das Problem miteinander aufzulösen, kann das gehen. Aber nur, wenn beide das wollen. Hat man eine Verletzung erlitten, muss der wunde Punkt unbedingt gut verarbeitet werden, bevor man sich wieder auf jemanden einlässt. Geht man mit Misstrauen in eine neue Beziehung, dann stülpt man ja dem anderen das um, was man erlebt hat. Da heißt es wieder, gut für sich zu sorgen, es zu verarbeiten, mit Freunden, dem Therapeuten, wer oder was immer einem hilft. Wenn man nach so einer Enttäuschung einfach nur in eine neue Beziehung geht, heilt die Wunde nicht und bietet wiederum den Nährboden für Misstrauen und Kontrolle – und die Angst, wieder verletzt zu werden. Es geht um die Selbstfürsorge, also, wie gehe ich mit mir um, auch mit meinen Wunden. Je mehr Stabilität ich in mir habe, desto besser ist es für eine neue Beziehung. 
Annemarie Josef

Über Annemarie Josef

stv Chefredakteurin KURIER freizeit. Lebt und arbeitet seit 1996 in Wien. Gewinnerin des Hauptpreises/Print bei "Top Journalist Award Zlatna Penkala (Goldene Feder)" in Kroatien. Studium der Neueren Deutschen Literatur in München. Mein Motto: Das Leben bietet jede Woche neue Überraschungen.

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