Bouldern gegen Verstimmung: Wenn es für die Therapie an die Kletterwand geht

Die psychologische Psychotherapeutin Katharina Luttenberger hat in Deutschland die Boulderpsychotherapie entwickelt. Nun wird sie das Konzept in Österreich etablieren.

Sport hilft immer gegen Stress. Er sorgt für die Ausschüttung von Endorphinen und Serotonin aus, senkt den Cortisolspiegel und baut körperliche Anspannung ab. Doch manchmal kann Sport noch mehr. Bouldern, hat die psychologische Psychotherapeutin Katharina Luttenberger bewiesen, hilft auch gegen Depressionen. Davon sollen nun verstärkt Jugendliche profitieren - und bald auch Menschen in Österreich.

Die zündende Idee kam Katharina Luttenberger am Gipfel. Nach langen Arbeitstagen traf sich die Psychologin gerne mit Freunden am Kletterfelsen. Und stets, wenn sie die Hände an den rauen Stein legte, und sich Stück für Stück nach oben zog, war sie ganz im Hier und Jetzt. 

Vom Sport zur Therapieform

„Durch den Fokus einzig auf den nächsten Zug wird der Kopf frei, Gedanken an den Tag verschwinden und der Kletterer ist ganz im Moment“. Und sie fragte sich: Könnte man diesen Effekt nicht auch therapeutisch nützen? Gemeinsam mit zwei Kollegen startete sie 2013 ein Pilotprojekt, verband Aktion mit psychotherapeutischen Strategien. Die Bewegung wurde zum Werkzeug, um hinderliche Verhaltensweisen zu erkennen und neu zu bewerten. 

Katharina Luttenberger an der Boulderwand

©Privat

Ein Beispiel: „Stellen Sie sich vor“, sagt Luttenberger, „Sie stehen vor einer großen Aufgabe, etwa einem wichtigen Vortrag oder einer großen Präsentation.“ Die Herausforderung wirkt so groß, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll – und so beginnt man erst gar nicht. „Das nennt man eine dysfunktionale Bewältigungsstrategie. Der Stress wird dadurch noch größer und irgendwann gibt man vielleicht auf – eine Verhaltensweise, die bei Depressionen häufig auftritt.“ Hier kommt das Bouldern in Spiel. 

Klettern in Absprunghöhe

Bouldern ist Klettern in Absprunghöhe ohne Seil. In Hallen werden dafür Routen mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden gesteckt. Diese Route wirkt am Anfang vielleicht unbewältigbar. Aber man kann sie Griff für Griff erarbeiten, bis man schließlich die ganze Strecke meistert. Und wenn man oben angekommen ist und zurückblickt, erkennt man: „Ich habe es geschafft, weil ich das Problem in kleine Portionen zerlegt habe.“ Diese Erkenntnis, erklärt Luttenberger, lässt sich dann auf andere Lebensbereiche übertragen. 

Die Fakten

Boulderpsychotherapie

Die Boulderpsychotherapie verbindet Elemente des Boulderns (Klettern ohne Seil oder künstlichen Kletterwänden in Absprunghöhe) mit psychotherapeutischen Interventionen aus der kognitiven Verhaltenstherapie und Achtsamkeits- sowie Entspannungsübungen.

Depressionen

In Österreich leiden rund 730.000 Menschen an Depressionen. Bei den Jugendlichen ist die Situation besonders dramatisch, hat eine Studie zu Jahresbeginn ergeben: 68 Prozent von 14.500 befragten jungen Menschen gaben dabei an, sich in den 14 Tagen zuvor niedergeschlagen oder hoffnungslos gefühlt zu haben. 28 Prozent meinten sogar, gedacht zu haben, lieber nicht am Leben zu sein oder sich wehzutun. 

Das Ergebnis des zehnwöchigen Boulder-Therapiekurses: Das Ergebnis des zehnwöchigen Boulder-Therapiekurses: die Depression hatte sich bei den Patienten im Schnitt um einen Schweregrad reduziert.

Jugendliche ermächtigen

In diesem Frühjahr richtet Luttenberger ihren Fokus auf Jugendliche. Bei der Initiative „Boulder dich stark“ lernen 13- bis 18-Jährige in den vier bayrischen Städten Nürnberg, Erlangen, Bamberg und Regensburg ab Mai, wie sie durch das Erklimmen der Boulderwand besser mit schwierigen Gefühlen umgehen können. „Jugendliche haben es derzeit besonders schwer“, sagt die Psychologin. 

Das hat eine Studie zu Jahresbeginn auch für Österreich ergeben: 68 Prozent von 14.500 befragten jungen Menschen gaben an, sich in den zwei Wochen zuvor niedergeschlagen oder hoffnungslos gefühlt zu haben. 28 Prozent meinten sogar, gedacht zu haben, lieber nicht am Leben zu sein oder sich wehzutun. 

©Getty Images/Mixmike/iStockphoto

Luttenberger sieht das Smartphone als einen wesentlichen Risikofaktor: „Die Verlagerung des Lebens in die digitale Welt ist auf mehreren Ebenen ungesund.“ Jugendliche seien verstärkt Mobbing ausgesetzt, körperlich inaktiv, hätten weniger persönlichen Kontakt und verlieren das Gefühl der Selbstwirksamkeit: „Sie erleben weniger Freiheit, weil ihr Handeln ständig von außen bewertet wird. Dadurch spüren sie sich weniger.“ 

Hier setzt das Bouldern an: „Die Jugendlichen nehmen ihren Körper nicht nur als Ding wahr, das man durch Schönheitsfilter jagen kann, sondern als Quelle der Kompetenz: ,Ich habe es geschafft, ich bin bis nach oben gekommen'.“ Der Sport hilft ihnen, sich im eigenen Körper zu spüren, Emotionen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen

Umzug nach Österreich

In der zweiten Jahreshälfte wird Luttenberger ihre Arbeit erstmals nach Österreich bringen. Seit März ist sie Professorin für Psychotherapiewissenschaften an der Universität für Weiterbildung Krems (UWK) an. 

Bereits im Wintersemester 2025 werden dort erste Studierende Seminare in Boudlerpsychotherapie absolvieren können. Die Universität baut dafür eine Boulderwand. Ihr Ziel: „Ich würde es mir wünschen, dass sich die Bouldertherapie als spezielle Form der Verhaltenstherapie etabliert.“

Das Klettern ist dabei aber nicht nur zum Beruf geworden. Weiterhin steht sie einmal die Woche an der Wand – mittlerweile nicht nur mit Freunden, sondern auch mit ihren Kindern. 

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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