Warum vor Graffiti-Punk Banksy kein Meisterwerk sicher ist
Der Mona Lisa pickt Banksy einen Smiley ins Gesicht, das Jesus-Kind bekommt Gift zu trinken. Was dahinter steckt.
Einem Künstler, das vergisst man gern, darf nichts heilig sein. In den Säulenhallen der Kunstgeschichte darf, wer selbst ein Großer werden will, niemand vor Ehrfurcht erstarren – ein Auteur muss Neues wagen, Risiken eingehen. Und auf den Schultern von Genies und ihren Errungenschaften die Welt neu erfinden. "Kill Your Idols", heißt das im Punk. Schick deine Vorbilder ins Grab. Sonst gibt es kein Vorankommen. Geschichte wird gemacht, es geht voran!
Radikal begriffen hat das – auch in seiner Breitenwirksamkeit – seit längerem wohl kaum jemand besser als der Streetart-Künstler Banksy. Wie der Mann aus Bristol die Kunst von Monet bis Michelangelo in sein Werk einbezieht, ist clever, zeitgemäß, witzig – und unverfroren.
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"Banksy borgt nicht aus der Kunstgeschichte. Er schmeißt sie an die Wand und verbeult sie", stellt der amerikanische Historiker und Kunstkritiker Kelly Grovier denn auch in seinem neuen Buch fest.
In "Wie Banksy die Kunst rettete" (Midas Verlag) geht er dem Schaffen des Graffiti-Punks auf den Grund und stellt die polemische Frage: Rettete Banksy ikonische Meisterwerke der Vergangenheit aus der Bedeutungslosigkeit, indem er sie auf schmutzige Hauswände sprayte – versehen mit anarchistischen, zeitkritischen Pointen? Weil er sie mit seiner Interpretation in die Gegenwart holte und damit aus den Museen in die Öffentlichkeit?
Banksys Stunt im Louvre
"Kein Meister bleibt von Banksys gleichzeitig vernichtendem und belebendem Blick verschont", schreibt Grovier. Und tatsächlich gibt es nichts, vor dem der Künstler zurückschreckt, nicht einmal vor dem Gemälde aller Gemälde vom berühmtesten Maler aller Zeiten: Der "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci pickte Banksy unbarmherzig einen monströsen Smiley ins Gesicht. Aus dem unergründlichen Engelslächeln abstrahierte er eine bizarre, saturierte Grinse-Fratze.
Zu sehen war sie im Pariser Louvre, und das beruht auf einem abenteuerlichen Stunt, den der Brite hinlegte: 2004 hängte er dort, trotz strenger Wachen, zwischen tausend Meisterwerke einfach seine freche Version der Mona Lisa an die Wand.
Es heißt, die Aktion beruhe auch auf einer Hänselei seiner Schwester. Weil sie als Kind viele seiner Bilder in den Mistkübel warf und der kleine Banksy dagegen heftig protestierte, soll sie eingewandt haben: "Nun, es ist ja nicht so, dass sie je im Louvre hängen werden, oder?" So kann man sich irren.
Immer wieder vergriff Banksy sich an da Vincis Meisterwerk. So bewaffnete er sie mit einer Panzerfaust oder schnallte ihr eine Kalaschnikow um. Auf die Stirn malte er ihr eine Zielscheibe. Die Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt ist fundamentaler Bestandteil seines Werks. Zugleich kann man Banksys Smiley-Mona Lisa als Protest sehen: Die göttlich Porträtierte setzt sich zur Wehr gegen das millionenfache Angesehen-, Durchleuchtet- und Interpretiertwerden. Es ist die Selbstverteidigung einer Belästigten, die im Museum mittlerweile hinter kugelsicherem Glas Schutz suchen muss.
Das Phantom mit der Spraydose
Bei all der Aufregung verschwindet der Künstler völlig hinter seiner Kunst. Banksy gilt als Phantom: So gut wie niemand weiß, wie er heißt oder wie er aussieht. Der mysteriöse Sprayer liebt das Versteckspiel. Immer wieder tauchen unangekündigt neue Arbeiten von ihm im öffentlichen Raum auf – zuletzt wurde es diesen Sommer mit Motiven von Elefant, Katze oder Nashorn tierisch.
Auch wegen seiner Streiche verkaufen sich Banksys Werke für viel Geld. Berüchtigt ist etwa seine Guerilla-Aktion um eines seiner Bilder, das 2018 bei Sotheby’s versteigert wurde: Das "Mädchen mit dem Luftballon" zerstörte sich per in den Rahmen eingebauten Schredder nach dem Verkauf um eine Million Pfund prompt selbst. Der Kunst-Star bleibt unberechenbar.
Und kritisch wie eh und je. 2003 fiel er mit "Toxic Mary" auf, für das er Elisabetta Siranis "Madonna lactans" aus 1663 einer schockierenden Neuinterpretation unterzog. Die fürsorgende Jungfrau Maria, die das Jesus-Kind an ihrem Busen säugt, avanciert hier zu einer Frau, die ihrem Baby ein Fläschchen gibt, auf dem ein sinistres Totenkopf-Emblem prangt: Organisierte Religion als Gift für die Gesellschaft – und gleichzeitig Jesus als ihr (erstes) Opfer, wie Autor Grovier analysiert.
Auch die Umweltproblematik kommentiert Banksy kühn. 2005 modelte er, unter dem Eindruck des katastrophalen Hurrikans Katrina und sieben Millionen Gallonen Öl im Golf von Mexiko, van Goghs berühmte "Sonnenblumen" um. Die fortan kein blühender Ausdruck der Dankbarkeit mehr waren, sondern als "Sunflowers from Petrol Station" verwelkte Stauden von trauriger Gestalt.
Immer wieder verwandelt Banksy Idyllen in Desaster. In den Seerosenteich von Monets "Japanischer Brücke" stößt er Einkaufwagerln – der Kommerz frisst die Natur. Das ländliche Paradies, das John Constable in "Der Heuwagen" inszenierte, mischt Banksy mit der Zeichentrickmaus aus Tom & Jerry auf: Wie ein Brandteufel, mit einem Kanister Benzin, einem Zündholz und einem irrwitzigen Lachen, droht es, vom rechten Bildrand aus das holde Paradies in Schutt und Asche zu legen.
Goldgerahmte Idyllen würden sich genau jene Großkapitalisten an die Wand hängen, ließ er verlautbaren, die für deren Zerstörung verantwortlich seien. Auch mit seiner Version von Kara Walkers "Virginia Lynch Mob" geißelt er den Turbo-Kapitalismus – mit einem Mann, der eine Peitsche in Form eines Aktienkurses schwingt.
Hat Banksy also tatsächlich die Kunst gerettet? Jedenfalls ist sein Ansatz bemerkenswert unkonventionell. "Ich habe aus Erfahrung gelernt", sagte er einmal, „dass ein Gemälde nicht fertig ist, wenn du den Pinsel ablegst. Dann geht es erst los.“
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