Boris Johnson beim Kabinett-Meeting in London.

Warum Politikerfrisuren ein Gesprächsthema bleiben

Von Polaschek bis Johnson: Über haarige Aufreger und (un-)echte Markenzeichen.

Der Vorwurf, Politikerinnen würden zu oft über ihr Äußeres definiert, hält sich – nicht zu Unrecht – hartnäckig.

Dabei waren es zuletzt männliche Partei- und Regierungschefs, die mit ihrer Optik Aufsehen erregten. Weil Kleidung bei ihnen weniger Raum für stilistische Entfaltung bietet, spielen sich die wahren Abenteuer auf (und um) den Kopf ab. Wie sehr von der Norm abweichende Politikerfrisuren emotionalisieren, zeigt sich gerade am Beispiel des neuen Bildungsministers: Dass Martin Polaschek in der „ZiB2“ nach seinen Haaren gefragt wurde, zog eine Debatte in den sozialen Medien nach sich.

Immun

Bereits mehr Übung im medialen Frisurenrechtfertigen hat der deutsche Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Der 51-Jährige ist gegen jeden Haartrend immun und verkörpert optisch seit Jahrzehnten eine Mischung aus Jesus von Nazareth und Heavy-Metal-Fan. Als er bei der Bundestagswahl kandidierte, nutzte er seinen Look als Wahlargument: „Die Leute wollen eher Politiker, die nicht vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind.“

Ein Vorwurf, den sich Vertreter einer älteren Politikergeneration sehr wohl gefallen lassen müssen. Italiens Ex-Staatschef Silvio Berlusconi verlor sich im Jugendwahn und trickste bei seinen Haaren noch mehr als bei seiner Politik. Eitelkeit konnte auch Gerhard Schröder nicht abstreiten. Gegen die Behauptung, seine Haarpracht sei gefärbt, ging Deutschlands Ex-Kanzler sogar gerichtlich vor. Bei Trump-Adjutant Rudy Giuliani hätte selbst der beste Anwalt nichts genützt: Als die braune Haarfarbe während einer Pressekonferenz in einem traurigen Rinnsal das Weite suchte, war seine Polit-Karriere endgültig verflossen.

Apropos Donald Trump, Geert Wilders und Boris Johnson. Das in jeder Hinsicht auffällige Trio warf die Frage auf, inwiefern Politstil und Haarfarbe korrelieren. Eine Erklärung liefert die Imageberaterin Bettina Kohlweiss: „Es liegt nahe, dass jemand, der eine markante Haarfarbe in Hellbond hat, es gewohnt ist, im Mittelpunkt zu stehen“, sagt sie.

Auch die Aufregung um den zotteligen Neo-Minister kann sie nachvollziehen. Lange Männerhaare seien heute zwar üblich, jedoch nicht in hohen Positionen. „Als Minister, der von einer konservativen Partei bestellt wurde, drückt er optisch Individualismus, Non-Konformismus und das Aufbrechen alter Strukturen aus. Ein Mann, der seinen Weg geht und sich nicht von Normen beeindrucken lässt.“

Eine Frisur sticht ins Auge und trägt – vorausgesetzt, man verändert sie nicht – wesentlich zur Imagebildung bei, weiß die Expertin. Der Psychotherapeut Klaus Ottomeyer schrieb bereits vor 15 Jahren eine Analyse über den dauergestylten Finanzminister Karl-Heinz Grasser und die neue „Marke Ich“ in der Politik. Jahre später war es Sebastian Kurz, dessen volles, gleichmäßig zurückgegeltes Haupthaar symbolhaft jeder Erschütterung standhielt.

So schien es zumindest.

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