Politiker auf TikTok: Lustig sein um jeden Preis

Um junge Menschen anzusprechen, entdecken Politiker Tiktok für sich. Dort tappen sie aber nur allzu leicht in die Peinlichkeitsfalle

Breitbeinig und angestrengt dem Takt der Musik folgend, hüpft der Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister der Stadt Wien über den Parkettboden seines Büros, um nach nur fünf Sekunden durch die Tür zu verschwinden. „Wenn der letzte Call des Tages vorbei ist“, lautet die erklärende Einblendung im TikTok-Video, das Christoph Wiederkehr unlängst online gestellt hat.

Das Publikum blieb trotzdem eher ratlos zurück, wie die hämischen Kommentare im Netz zeigen: „Dieses mit Gewalt lustig sein zu wollen ist einfach nur ur-peinlich“, beschwert sich ein User, bei dem die Botschaft des Videos offenbar nicht angekommen ist. Ähnlich erging es dem Neos-Stadtrat bereits, als er sich fröhlich schnippend vor seinem gefüllten Kühlschrank für TikTok filmen ließ. Und das ausgerechnet, als bekannt wurde, dass die Fernwärme-Preise in Wien um 92 Prozent erhöht werden.

Den Spott, den sich Wiederkehr für seine Auftritte einfing, zeigt, auf welchem Minenfeld sich Politiker in den sozialen Medien bewegen. Das gilt insbesondere für TikTok, der „jüngsten“ dieser Anwendungen: 57 Prozent der elf- bis 17-Jährigen verwenden diesen Kurzvideo-Dienst. Was liegt näher, die über klassische Medien kaum noch erreichbaren Jugendlichen über diese Plattform anzusprechen und sich gleichzeitig selbst ein freches, junges Image zu verpassen?

„Für Neos sind junge Menschen und potenzielle Neuwähler eine wichtige Zielgruppe“, betont man denn auch im Büro von Wiederkehr, der obendrein auch Jugendstadtrat ist. Mit TikTok wolle man diese Zielgruppe erreichen.

Um für mehr Sichtbarkeit zu sorgen, werden Videos zu aktuellen Trends und Hashtags produziert. So kam etwa der Clip zustande, bei dem Wiederkehr zum TikTok-Hit „Che la Luna“ schnippend durch sein Büro führt.

Schräge Politik

Nicht weniger schräg sind mache der Beiträge auf dem Kanal von Michael Ludwig. Etwa ein Porträt von Maria Theresia mit den Gesichtszügen des Bürgermeisters. Ludwigs Kanal hat 11.000 Follower. Das klingt wenig, ist aber für das Wiener Rathaus – noch ein Entwicklungsland in Sachen TikTok – ein relativ guter Wert .

Anders als etwa Inhalte auf Facebook und Twitter, gehorchen gerade TikTok-Videos sehr speziellen Regeln. „Es reicht hier nicht, einfach eine Presseaussendung ins Netz zu stellen“, sagt der Politik-Berater Thomas Hofer. Der Haken: Die spezielle TikTok-Ästhetik wird von vielen Menschen über 25 kaum noch verstanden, sondern eher als befremdlich oder gar peinlich empfunden.

„Es ist eine Gratwanderung“, fasst es der Politik-Berater Thomas Hofer zusammen. „Wie sehr reüssiere ich mit solchen Auftritten in der jungen Zielgruppe und wie viele andere Menschen verprelle ich gleichzeitig damit?“

Unterschätzen will Hofer die politische Bedeutung solcher Kanäle aber nicht: „Das sieht man am Ukraine-Krieg, wo unzählige Videos über TikTok gespielt wurden.“

Und er erinnert an Facebook-Star Heinz-Christian Strache, aber auch an Sebastian Kurz, der über die Jahre hinweg hunderttausende Kontakte über soziale Medien einsammelte, die dann gezielt für Wahlkampf-Zwecke ausgewertet und eingesetzt wurden.

Davon ist Christoph Wiederkehr noch ein Stück weit entfernt. Gerade einmal 409 Personen folgen ihm auf TikTok, um seine mehr oder weniger launigen Videos zu sehen.

Wiens Politiker auf TikTok

SPÖ

Michael Ludwigs Kanal hat mehr als 11.000 Follower. Es überwiegen eher konventionelle Videos, dazwischen finden sich auch Spaß-Clips, in denen etwa Ludwig als „Pate“ zu  sehen ist.  

ÖVP

Weder Parteichef noch Partei haben einen eigenen Kanal.

Grüne

Peter Kraus verrät auf TikTok seine Schuhgröße und freut sich über den ersten Schnee. 241 Follower wollen das sehen.

Neos

Die schrägen Videos von Christoph Wiederkehr sorgen für Stirnrunzeln, sein Kanal hat aber erst 409 Follower.

FPÖ

Wenige Videos, wenig Originelles – so stellt sich der TikTok-Kanal von Parteichef Dominik Nepp dar (1.107 Follower). 

Josef Gebhard

Über Josef Gebhard

Geboren 1977 in St. Veit / Glan (Kärnten). Geschichte- und Publizistik-Studium an der Universität Wien (2002 abgeschlossen). Seit 2000 beim KURIER. Zunächst im Leben-, später im Gesundheitsressort. Von Mai 2010 bis Oktober 2023 im Ressort Chronik Wien. Seither im Ressort Innenpolitik.

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