Warum wollen viele dorthin reisen, wo alle anderen schon waren?
Es geht um Zugehörigkeit, Sicherheit und die Angst, etwas zu verpassen.
Ein Mal im Leben den Grand Canyon sehen, Venedig sowieso und unbedingt die Mona Lisa im Louvre. Millionen Besucher erfüllen sich jedes Jahr den Canyon-Traum. Bis zu 100.000 am Tag rittern auf Venedigs Rialtobrücke um einen Selfie-Platz. Und 2023 stellten sich neun Millionen Besucher Stunden an, um große Kunst zu sehen: das winzige Gemälde der Mona Lisa.
Warum bloß machen wir das und reisen dorthin, wo alle anderen schon waren oder gerade sind? Reisepsychologin Christina Miro (christina-miro.de) sieht darin den Wunsch des Menschen, sich mit anderen zu identifizieren. "Wenn bestimmte Reiseziele als inspirierend oder begehrenswert angesehen werden, möchten wir Teil dieser Erfahrung sein und ähnliche positive Erfahrungen machen." So entstehe ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer größeren Gemeinschaft, die ähnliche Werte und Interessen teile.
Der Erfinder der Pauschalreise, Thomas Cook, war es, der als Erster hunderte Briten gemeinsam auf Reisen schickte. Nach Inlandsreisen ging es im Mai 1861 ins mondäne Paris.
Heute macht sich längst jeder auf den Weg, der kann. Treffpunkt sind die Sehenswürdigkeiten, die sich selbst der eifrigste Individualreisende nicht entgehen lässt – wenn man doch schon mal da ist. Die Psychologin ortet hier auch das Gefühl von "fear of missing out" (FOMO), die Angst, etwas zu verpassen. "Einige Menschen haben das Gefühl, dass sie wichtige oder positive Ereignisse verpassen könnten, wenn sie nicht an bestimmten Aktivitäten oder Ereignissen teilnehmen."
Auch das Sicherheitsbedürfnis wird bedient, wenn wir dorthin fahren, wo alle hinwollen. "Bekannte Orte werden als ,sichere Wahl’ gesehen, da sie scheinbar positive Reiseerlebnisse garantieren", so Miro. Da ist es gut, eine Strategie zu haben: Die Psychologin empfiehlt, Hotspot-Besuche außerhalb der Hauptreisezeiten zu planen und vor Ort früh aufzustehen. Auch gut: "Weniger bekannte Orte in der Nähe des Hauptziels zu erkunden."
Man kann es aber auch halten wie die US-amerikanische Autorin Susan Sontag: "Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste." Reicht doch, oder?
Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.
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