Alles beige: Wie viel Farbe braucht ein Kind?

Manche finden ein neutrales Umfeld in den trendigen beige- und braun-Tönen beruhigend und geschlechtsneutral, anderen tun die Kinder leid.

Beige Bettwäsche, ein hellbrauner Teppich, farblich passende Accessoires und Vorhänge in Creme. Mittendrin spielt ein Kind in geschlechtsneutral gehaltener Kleidung mit Spielzeug in ockerfarbenen Schattierungen. Gedeckte Pastelltöne sind ok, aber bitte keine quietschbunten Farben.

Social-Media-Trends machen auch vor Kinderzimmern nicht halt und wo ein Trend ist, sind Kritiker nicht weit: „Sad Beige Parenting“, also traurig beige Elternschaft lautet der Vorwurf, der aktuell die Runde macht. Eltern, die daheim auf den puristischen Stil in Naturtönen setzen, würden ihre Kinder wie Waisenkinder aus dem 19. Jahrhundert anziehen, so der Vorwurf. Der Farbentzug soll nachhaltig schaden. Die sexistische Variante „Sad Beige Moms“ reduziert das Problem gleich nur auf die Mütter.

Schädlich?

Doch wie viel Farbe brauchen Kinder wirklich in ihrem Leben? Und ist ein durchdesignt neutral gehaltenes Umfeld wirklich so schädlich?

„Kinder können von Geburt an Farben sehen, jedoch erkennen sie nur Kontrastreiches. Ab dem dritten Lebensmonat sehen sie alle Farben“, erklärt die Psychotherapiewissenschafterin Cathrine Prack. „Sie können kontrastreiche Dinge besser wahrnehmen, schauen länger hin und lernen die Welt so besser verstehen.“

Allerdings betont Prack, dass sich das Umfeld der Kinder ja nicht nur auf ihr Zuhause beschränkt: „Kinder sind nicht von der Welt abgeschottet und sehen kontrastreiche Farben überall anders: Sie machen hoffentlich Spaziergänge, essen Buntes, wie Obst und Gemüse, und dürfen mit bunten Farben malen.“ Insofern müsse so ein beiges Umfeld gar nicht traurig sein, solange ein Kind diese Reize von überall sonst mitbekommt.

Zu einer Entwicklungsaufgabe von Kleinkindern würde etwa gehören, Dinge zu sortieren: Zum Beispiel nach Größen oder eben auch nach Farben. „Mit Spielzeug in gedeckten Tönen ist die Aufgabe sicher schwieriger, weil sich kleine Kinder noch schwer tun, Farbschattierungen zu erkennen. Aber es wird mit dem Alter besser.“

Raum für Individualität

Die wichtigere Frage sei, mit welcher Bedeutung der Farbcode von den Eltern besetzt wird. „Gibt ihnen die Farbe Sicherheit oder geht es um Zugehörigkeit, weil andere es so haben oder sie es im Internet so gesehen haben? Weist es vielleicht auf ein Selbstwertthema hin?“, fragt Prack.

Letztendlich sei entscheidend, dass Eltern den Kindern ihre Vorlieben nicht überstülpen, wenn diese anfangen, eigene Vorlieben zu entwickeln. „Problematisch wird es, wenn ein Kind sich sehnlichst etwas in der Lieblingsfarbe wünscht und die Eltern signalisieren, dass das nicht erwünscht ist, weil es dem Farbkonzept nicht entspricht. Kinder sind emotionale Seismografen und ziehen dann ihre eigenen Schlüsse daraus.“ Wichtig sei, ihnen Raum für die Entwicklung ihrer Individualität zu geben.

Unerwünschte Farben

Letztendlich sei die Debatte auch auf die Rosa-Blau-Diskussion umzulegen: „Marketing hat in den letzten Jahrzehnten die Unterteilung in Rosa und Blau nach Geschlecht entdeckt.“ Man findet nicht nur bei Kinderkleidung die farbliche Trennung, sondern auch in Spielzeuggeschäften, wo Spielsachen mit sozialem und fürsorglichem Bezug wie Puppen in Rosa gehalten sind und Konstruktionsspielzeug etwa in Grün, Blau und Schwarz.

Wenn Eltern zum Sohn sagen, dass Rosa doch eine Mädchenfarbe ist, assoziieren sie etwas damit: „Ist Rosa automatisch schwach und nicht für Buben geeignet? Dabei galt die Farbe bis vor 100 Jahren noch als besonders männlich – es kommt immer darauf an, welche Bedeutung wir einer Farbe beimessen.“

Insofern sei Beige angesichts der aktuellen Gender-Debatten auch oft der Versuch, eine gewisse Neutralität reinzubringen. „In der Pubertät kann Farbe dann ohnehin ein tolles Thema für Kinder sein, um sich mit knallbunter oder auch durchgehend schwarzer Kleidung von den Eltern abzugrenzen.“

Laila Docekal

Über Laila Docekal

Ressortleiterin für die Bereiche Gesundheit, Wissenschaft und Familie. Im Team für den Podcast "Ich weiß, wie es ist". Seit 2007 beim KURIER, Faible für Geschichten, die das Leben schreibt und besonderes Augenmerk auf Themen, die sich um Frauen, Familien und Nachhaltigkeit drehen. Sieben Jahre lang jede Woche für den "Bodyblog" im Samstag-KURIER ein neues Fitnessangebot getestet und vorgestellt. Funfact: In diesen rund 350 Kolumnen kam nur ein einziges Mal eine Wintersportart vor - Curling. 2013 MiA-Award für integrativen Journalismus, 2023 Stephan-Rudas-Preis für den Podcast "Ich weiß, wie es ist"

Kommentare