Schräge südkoreanische Sci-Fi-Serie: "Dr. Brain“ – Hacker des Hirns
Apple TV+: Neurologe zapft die Erinnerungen von Toten an und überträgt sie in sein Gehirn. Sci-Fi-Thriller-Serie von Kim Jee-woon
Die Antwort auf „Squid Game“ heißt „Dr. Brain“.
Netflix hat mit der tödlichen Kinderspielserie „Squid Game“, einer südkoreanischen Brutal-Variante von „Die Tribute von Panem“, weltweit sämtliche Zuschauerrekorde gebrochen. Nun schließt Apple TV+ auf.
Rechtzeitig zum Launch des Streamingdienstes in Südkorea startet die charismatische, sechsteilige Mini-Serie „Dr. Brain“. Apples erste südkoreanische Exklusivproduktion basiert auf den gleichnamigen populären Webcomics, in Südkorea Webtoon genannt. Drei Folgen gibt es bereits – die nächste ist ab Freitag abrufbar.
Sind Sie auf Drogen?
Schon der trashige Titel „Dr. Brain“ verheißt einen schrägen Mix aus Science-Fiction, Neo-Noir, Frankenstein und „Flatliners“. Im Zentrum des somnambulen Psychothrillers steht ein gewisser Dr. Sewon Koh, von Beruf brillanter Neurologe und so etwas wie ein Hirn-Hacker: Er arbeitet daran, die Erinnerungen von Toten anzuzapfen und mittels „Hirnwellenkoppelung“ und „Gehirnsynchronisation“ in sein eigenes Gehirn zu übertragen. Seine Umgebung reagiert auf diesen „Hirnquatsch“ skeptisch: „Sind Sie auf Drogen?“
Zuerst probiert Sewon seine seltsame Methode nur an Ratten aus. Er setzt einer verstorbenen weißen Ratte einen Helm auf, verkabelt sie mit einer lebenden schwarzen Ratte – ebenfalls mit Helm – und lässt die Gehirnströme von einem Tier zum anderen fließen. Irgendwann reißt ihm jedoch die Geduld und er setzt sich den Übertragungshelm selbst auf, um die Memoiren eines vermeintlichen Unfallopfers in seinen Kopf zu exportieren.
Die Resultate zeigen erstaunliche Wirkung: In traumhaften Filmsequenzen sieht Sewon nicht nur die Erinnerungen der Toten, er nimmt auch deren Eigenschaften an. So wird er plötzlich zum Linkshänder und süffelt genussreich Kaffee und Alkohol, zwei von ihm verhasste Getränke. Als er von einem dubiosen Privatdetektiv kontaktiert wird, beschließt er, den Unfalltod seines Sohnes und den Selbstmordversuch seiner Frau aufzurollen und auf Ungereimtheiten zu untersuchen.
Der Regisseur von „Dr. Brain“ heißt Kim Jee-woon und zählt zu den stilsichersten Unterhaltungsspezialisten des südkoreanischen Kinos. Ehe Kim mit „Dr. Brain“ seine erste Serie in Angriff nahm, drehte er elegante Genre-Filme wie den von Sergio Leones „Zwei glorreiche Halunken“ inspirierten Western „The Good, the Bad, the Weird“ (Amazon) oder den Spionagethriller „The Age of Shadows“ (Amazon).
Seinen internationalen Durchbruch aber schaffte Kim Jee-woon mit „A Tale of Two Sisters“ von 2003, der als einer der besten Psycho-Horrorfilme des südkoreanischen Kinos gilt und der erste seiner Art war, der in den amerikanischen Kinos gezeigt wurde.
„A Tale of Two Sisters“ (Amazon) spielt in einem einsamen Haus am Land, wo zwei junge Mädchen unter den Bann ihrer bösen Stiefmutter fallen. Bald vermischen sich Einbildung und Wirklichkeit zu albtraumhaften Sequenzen, die Kim in farblichen Delirien auflöst.
Der knallrote Lippenstift der Stiefmutter passt zum tiefroten Teppich ebenso wie zum rinnenden Blut und duelliert sich mit dem dunklen Violett ihrer Bluse.
Mit schiefen Kamerawinkeln verstärkt Kim die verzerrten Wahrnehmungen der gequälten Schwestern.
Katzenperspektive
Auch in „Dr. Brain“ findet Kims visuelle Extravaganz in den glühenden Farben des nachtschwarzen Seoul besonders formschöne Momente.
Einen herrlichen Höhepunkt erlebt die Serie, wenn Sewon einer toten Katze den Helm aufsetzt, um ihre Erinnerungen – sie war Zeugin eines Mordes – in sein Hirn zu übertragen. Sewon übernimmt daraufhin nicht nur kurzfristig, die ... äh ... Katzenperspektive, sondern kann auch leichtfüßig von einem hohen Fenstersims springen. Katzen fallen ja bekanntlich immer auf die Füße.
Apple war es übrigens nicht zu blöd, „Dr. Brain“ mit dem Hauptdarsteller Lee Sun-kyun zu bewerben, weil er auch in Bong Joon-hos exquisitem Oscar-Hit „Parasite“ den reichen Familienvater spielte.
Ein Anlass mehr, um „Parasite“ (Prime Video) bei Bedarf nachzuholen. Der Lockdown wäre die Gelegenheit.
Der Schöpfer der Serie "Squid Game“ kann auch lustig sein
Nach dem globalen Rekord-Hit von „Squid Game“ – im Oktober schalteten etwa 142 Millionen Haushalte in 94 Ländern die Serie ein – reitet Netflix die Erfolgswelle der südkoreanischen Serien-Unterhaltung weiter. Der nächste Netflix-Hit heißt „Hellbound“ und stammt ebenfalls aus Südkorea. Die brutale Horror-Mystery-Serie erzählt von sündigen Menschen, die von grässlichen Dämonen verfolgt und getötet werden.
Das kommt offensichtlich gut an, denn angeblich führt „Hellbound“ seit seiner Veröffentlichung am 19. November die Topliste in mehr als 80 Ländern an.
Aber auch mit „Squid Game“ geht es noch länger nicht zu Ende. Der Serienschöpfer Hwang Dong-hyuk hat sich zur Freude seiner Fans zu einer zweiten Staffel bereit erklärt.
Um die Zeit zu überbrücken, hat Netflix nun auch frühere Arbeiten des Regisseurs ins Programm genommen: „Silenced“ (2011) zum Beispiel. In seinem zweiten Langfilm erzählt Hwang von Misshandlungen in einer Schule für Gehörlose und entfachte damit großes Medieninteresse.
Aber Hwang Dong-hyuk kann auch lustig sein: In der schrillen Komödie „Miss Granny“ (2014) – ebenfalls auf Netflix – bekommt eine alte Großmutter plötzlich den Körper einer 20-jährigen verpasst und mischt ihre verblüffte Familie auf.
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