In vier Jahren um die Welt: Von zweien, die auszogen, um sich selbst zu finden
Das belgisch-niederländische Paar Zoë Agasi und Olivier Van Herck hat in vier Jahren die Welt umrundet und 40.000 Kilometer zurückgelegt. Warum sie beim Welterkunden zu sich selbst gefunden haben und welche Lektionen sie anderen Abenteurern mitgeben.
Buchtipp
Das Buch "Leaving the Comfort Zone" ist im deutschen Verlag gestalten erschienen und erzählt von der vierjährigen Reise des Paars durch die Welt. 45 Euro.
Der Wind weht so heftig, dass sie kaum vorankommen und die sandige Straße verwandelt sich in ein rutschiges Waschbrett. Hagel und Schnee peitscht ihnen ins Gesicht. Kein optimaler Start für die nächste 4.000 Kilometer lange Etappe. „Es ist zu gefährlich!“, ruft Zoë. Doch Olivier schreit zurück: „Wir müssen weitermachen. Wir haben keine andere Möglichkeit.“ Doch dann sehen sie es: Das kleine Holzhäuschen, das wie durch ein Wunder Wind und Wetter standgehalten hat. Die alte Frau winkt die beiden sofort herein und serviert ihnen heißen Ziegeneintopf. Was für eine Wohltat! Und mit der wärmenden Mahlzeit kommt dann nicht nur die Energie, sondern auch die Zuversicht zurück, die nächste Strecke zu bewältigen.
Aus eigener Kraft durch 26 Länder
Vier Jahre lang waren die Niederländerin Zoë Agasi und der Belgier Olivier Van Herck gemeinsam unterwegs, haben 40.000 Kilometer zurückgelegt und die Welt umrundet. Mit dem Fahrrad, zu Fuß, im Kanu und zum Schluss auf Roller Skates sind sie durch Europa, über den Atlantik, durch Südamerika und Nordamerika und wieder retour in die Niederlande gereist, haben 26 Länder durchquert, 330 Nächte im Schlafsack und bei 562 verschiedenen Einheimischen übernachtet und sind dabei zu erfahrenen Abenteurern geworden, die nun andere zu ihren Projekten anleiten.
Wer mit dem Partner verreist, ergab eine amerikanische Studie, stärkt die Beziehung und entfacht die Romantik aufs Neue. Und auch wenn das Unterfangen von Zoë und Olivier besonders eindrucksvoll ist, so liegen sie mit ihrem Fokus im Trend. Transformative Reisen, Urlaube, die nachwirken, sind besonders gefragt. Für Olivier war der Weckruf dennoch ein trauriger. Sein Arbeitskollege Ben war im Alter von 63 Jahren überraschend gestorben, zwei Jahre vor der Pension. So viele Pläne hatte Ben für diese Zeit schon gemacht. Und jetzt? Wozu soll man auf die Pension warten, fragte sich Olivier – ein Gedanke, der ihn nicht mehr loslässt. Und obwohl seine Freundin Zoë anfangs skeptisch ist, obwohl die Reise zunächst so gar nicht in ihre Lebensplanung passt, lässt sie sich auf das Abenteuer ein.
Von Spaniens Küste zum südamerikanischen Salzmeer
In ihrem Buch „Leaving The Comfort Zone“ (Verlag gestalten) nehmen die beiden die Leser mit in romantische Dörfer Frankreichs, an die üppig grünen Küsten von Gran Canaria oder auf die paradiesischen Fernando-de-Noronha-Inseln in Brasilien, zur surrealen Salar de Uyuni, der größten Salzwüste der Welt in Bolivien, oder auch in die weiße Wildnis von Quebec.
In Spanien nächtigen sie einmal in einem Flugzeughangar, in Kanada in einem selbst gebauten Iglu und in Mississippi in einem Gerichtssaal. In Uruguay ziehen die Gauchos freundschaftlich den Hut; eine ältere Frau auf den Cap Verden, versucht ihnen die Spielregeln von Mancala näherzubringen; Fischer im Hafen von Porto erzählen von ihrem Alltag und die Ranger des El Rosario Nationalpark in Guatemala versichern, dass man bis fünf Uhr im See schwimmen könnte. Danach kämen die Krokodile.
Einfach machen„Beweg dich, bevor du bereit bist“ lautet das Motto, welches das Paar besonders vorlebt, als es ohne Erfahrung im Wintercampen oder mit Skitrips das tief verschneite Kanada durchquert.
Als Olivier um fünf Uhr früh nach einem Schneesturm munter wird, hat er die Wahl: Den Drang auf die Toilette zu gehen für ein paar Stunden aushalten oder sich für fünf Minuten den minus 30 Grad vor dem Zelt stellen. Er hält es dann lieber aus. In der Früh werden dann so viele Schichten wie möglich angezogen und das Frühstück wird hastig heruntergeschlungen. Mittlerweile hat es zwar nur mehr minus 20 Grad, aber als sie die Hälfte des Müslis gegessen haben, ist der Rest davon bereits gefroren. Was für Erfahrungen!
Das Glück ist nicht perfekt
In der rhythmischen Trance einer Radtour in Argentinien ruft Zoë: „Ich bin glücklich!“ Sie fährt näher an Olivier heran: „Ich hätte nie gedacht, dass ich das sagen werde. Ich dachte, fürs Glück muss es perfekt sein. Und es gibt ja immer etwas zu verbessern, einen nächsten Schritt, wie könnte ich also glücklich sein?“ Aber zwischen geplatzten Reifen und provisorischen Nachtlagern hat sie erkannt, dass es Perfektion nicht gibt. „Du machst mich glücklich“, sagt sie an dem Abend im Zelt, als es zu kalt ist, die Arme aus dem Schlafsack zu nehmen und drückt ihr Gesicht gegen das ihres Freundes.
Die Zeit in der Wildnis lehrt auch andere Lektionen. So ist es empfehlenswert, erkennen die beiden schnell, das Nachtlager zumindest eineinhalb Stunden vor Einbruch der Dunkelheit aufzuschlagen. Im Schnee muss man in Bewegung bleiben, auch wenn man müde ist. Und man sollte sich täglich waschen; nicht nur um sich frisch zu fühlen, sondern auch um Krankheiten oder Verletzungen wie wund geschundene Haut zu vermeiden. Selbst im wasserarmen Chaco Nationalpark halten sie sich daran.
Die wichtigste Lektion
Als sie in Norwegen an einer schlecht asphaltierten Straße skaten, kommt ein Bauer auf seinem Motorrad vorbei. Er habe einen Strand am See, ob sie schwimmen kommen wollten? Zoë lehnt ab; sie haben erst die Hälfte des Tagespensums geschafft, so viel liegt noch vor ihnen. Doch Olivier überredet sie. Es ist ein warmer Sommertag, kein Lüftchen weht; der Bauer bringt Apfelkuchen und Getränke. Und die beiden erkennen die vielleicht wichtigste Regel: Niemals eine Einladung ausschlagen.
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