Wieso auf Madeira das ganze Jahr Frühling ist

Madeira hat angeblich das beste Klima der Welt, denn dort blüht immer der Frühling. Die portugiesische Atlantikinsel ist ein Traumziel fürs lange Wochenende und mehr.

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Luís ist ein madeirischer Carreiro, wie er im Buche steht: Strohhut, weißes Hemd, weiße Hose, Lederstiefel, und die Verwegenheit ist ihm ins Gesicht gegerbt. "Halten Sie sich fest", sagt er auf Englisch, nickt dem Kollegen Tiago auf der benachbarten Kufe zu, läuft an und springt auf sein recht fragil wirkendes Gefährt, von dem man sich nur schlecht vorstellen kann, dass es die ersten Kurven der schmalen Straße hinunter in Richtung Meer überstehen wird. Das Gekreische der Touristen in ihren Schlitten vorne und hinten ist unüberhörbar. Schwer zu sagen, ob es Lust- oder eher doch Angstschreie sind.

Die Fahrt mit den alten madeirischen Schlitten aus dem Holz von Korbweiden, den "Carros de Cesto" ist ein Abenteuer. Auf ihren Kufen schlittern sie die von der Zeit glatt polierten Pflastersteine von oben in Monte, bei der Kirche Nossa Senhora do Monte, hinunter, dem Botanischen Garten von Funchal entgegen. Das muss man probiert haben. 30 Euro kostet die rund 20 Minuten dauernde Fahrt für zwei Personen, die in Wahrheit ungefährlich ist. Die beiden Carreiros, die weiß gekleideten Chauffeure, haben ihre Gefährte erstaunlich gut im Griff. Wie Schlittenhundeführer stehen sie auf den Kufen, laufen in bedenklichen Kurven neben dem Schlitten her, bugsieren ihn in die richtige Richtung, Querstehen inklusive, unterhalten sich manchmal sogar mit den Fahrgästen, während es in angemessenem Tempo durch Funchals Gässchen bergab geht. Gebremst wird mit den speziellen Gummisohlen der Lederstiefel – aber nur, wenn es nicht mehr anders geht. "Eines der sieben besten Verkehrsmittel der Welt", urteilte vor Jahren ein begeisterter Reporter des US-Fernsehsenders CNN.

Kunterbuntes Blühen

Wanderungen entlang der Mercado dos Lavradores führen durch wilde Urwälder gleichermaßen wie durch gepflegte Parks
 

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Madeira mit seiner Hauptstadt Funchal, das ist so etwas wie eine Trauminsel. Denn dort ist der ewige Frühling zu Hause. Nur selten wird es deutlich kälter als 15, nur selten wärmer als 25 Grad. Die Vegetation blüht das ganze Jahr über zum Quadrat. Um das richtig einordnen zu können: Löwenzahn, diese Allerwelts-Wiesenblume bei uns, gibt es auf Madeira in ein oder zwei Meter hohen Stauden. Unsere beliebte Topfpflanze, den Weihnachtsstern: ebenso. Strelitzien, in Mitteleuropa bei ausgewählten Floristen erhältlich, blühen dort als Nullachtfünfzehnblumen in jedem zweiten Vorgarten. Der Agapanthus, die schöne, weiße, blaue oder violette südafrikanische Liebesblume, säumt wild blühend die Straßenränder, als wäre sie Klee. Trompetenbäume, Bananen, Bougainvilleas, Flamingoblumen, Hibiskus und so weiter – auf Madeira hat die ausuferndste Vegetation, die man sich denken kann, permanent Hochsaison. Wenn bei uns Frühling oder Herbst ins Land ziehen, gerät das madeirische Blühen und Wuchern jeweils völlig außer Rand und Band. Es ist dann so, als würde die ganze Insel in einem kunterbunten, kollektiven Austreiben explodieren.

Luxus für alle: Die Strelitzie, bei uns eine exotische und beliebte Nobelblume, blüht auf Madeira in jedem zweiten Vorgarten wie bei uns der Löwenzahn

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Madeira ist also einfach schön. Als hätte die wundersame Hand eines Gottes diese Vulkaninsel draußen im Atlantik, die der afrikanischen Küste näher liegt als der europäischen, mit ewigem Glück übergossen. Kein Wunder, dass illustre Menschen aus aller Welt seit der Entdeckung hierher kamen, um einfach nur da zu sein. Winston Churchill etwa, der wenig prosaische britische Weltkriegspremierminister, verbrachte viel freie Zeit im Küstenörtchen Câmara de Lobos, um zu malen. Helmut Schmidt, mittlerweile verstorbener deutscher Kult-Altkanzler, mietete sich über Monate im Hotel Quinta Jardins do Lago ein, einer Fünfsterne-Bleibe mitten in Funchal, umgeben von weitläufigen Gärten mit grandiosem Ausblick auf den Atlantik, um seine Memoiren zu schreiben. Er teilte sich das Teilzeit-Heim mit Colombo, der uralten Riesenschildkröte, die auch heute noch im Garten des Hotels lebt und den Gästen als Selfie-Hintergrund dient.

Madeiras Märkte, hier der Bauernmarkt in Funchal, bieten bunte Früchte, lokal-exotische Spezialitäten und Meeresfrüchte in farbenfroher Vielfalt

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Berühmtheiten auf Madeira gab es auch schon früher: Shakespeare ließ in seinem Drama „Richard III.“ den Duke of Clarence in einem Fass Madeira-Wein ertrinken und auch der letzte österreichische Kaiser, Karl I., lebte nach dem überstandenen Weltkrieg im Exil auf der Atlantikinsel. Er liegt in der Kirche Nossa Senhora do Monte hoch über Funchal in einem Seitenschiff begraben. Nur der Entdecker Kolumbus verschmähte Madeira. Auch wenn Legenden anderes behaupten, brach er vom kleinen Nachbarinselchen Porto Santo zu seiner dritten Entdeckungsfahrt in den Westen auf. Madeira steht seit langer Zeit unter erheblichem britischen Einfluss. Nicht von ungefähr hatte Churchill seinen Weg hierher gefunden. Reiche Familien aus dem Vereinigten Königreich zogen früher en masse hierher und übernahmen die lokalen Banken, die Medien und andere Bereiche. Zahlreiche alte Villen zeugen vom englischen Spirit. Nicht zuletzt besitzt das prunkvollste Hotel der Insel, das „Reid's Palace“, nobel auf einer Klippe in Funchal thronend, einen englischen Namen.

Luís, Tiago und Kollegen: Die weiß gekleideten „Carreiros“ transportieren 
Touristen in halsbrecherischer Fahrt mit ihren Korbschlitten vom Bergörtchen 
Monte hinunter nach Funchal

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Das Wasser der Levadas

Nirgendwo auf der Welt gibt es ein besseres Klima, sagen die Meteorologen. Die Wolken, aus allen Richtungen herangetrieben, regnen sich an den Bergspitzen im Zentrum der Insel ab, während es unten an den Küsten fast immer sonnig ist. Wasser gibt es also zuhauf, daher auch die üppige Vegetation. In oben offenen Kanälchen, den Levadas, wird es die Hänge entlang und hinunter ins Tal geführt, wo die Siedlungen liegen. Diese Levadas sind einer der ganz großen Attraktionen für Touristen, man kann sie bewandern. Dann geht es durch subtropische Wälder tiefgrüne Abhänge entlang, durch Schluchten, sehr oft mit atemberaubenden Ausblicken aufs Meer. Kilometerlang lässt es sich so marschieren, zumeist eben dahin, nur selten beschwerlich, immer staunend, weil die madeirische Welt so grün und der Atlantik so blau ist. Manchmal wird es knifflig. An Stellen, wo die Levadas durch kleine Tunnel fließen, die der Weg nicht mitmacht, heißt es: ins Wasser springen, ducken, und voll Zuversicht hinein ins finstere Loch. Wandern in der Levada statt neben der Levada – nicht unoriginell. Diese knietiefen Abenteuer-Kanäle sind aber in den Reiseführern gekennzeichnet, man weiß beim Losmarschieren, worauf man sich einlässt. Madeira ist, alles in allem, eine Insel im Überfluss. Am ehesten zeigt sich das an der Inselhauptstadt Funchal. Nur wenige Städte werfen sich so pittoresk über Hänge, fließen als Ganzes von oben, von den Bergen, hinunter zum Meer. Fast ist es, als wäre die Stadt als ganz großes Panoramabild nur für Fotografen gebaut. Mit den Kreuzfahrtschiffen in den Hafen einlaufen und die Stadt in Richtung Berge ansteigen sehen – fototauglicher geht es nicht. Oder das mitternächtliche Neujahrsfeuerwerk, dessentwegen ganze Kreuzfahrtrouten über Funchal laufen – ein einziger, farbenfroher Wahnsinn.

Madeiras wilde Vulkanküsten, hier beim Kap São Lourenço, sind ein inselweites Gesamtkunstwerk aus  Lava,  Vegetation und  Atlantik-Aussichten

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Genau wie die Food-Märkte der Stadt. Apropos Essen: In Portugal ist das immer eine der großen Attraktionen, die Gästen geboten werden – auch auf Madeira. Meeresfrüchte gibt es in allen Sorten, Variationen und Ausprägungen. Am eindrucksvollsten ist der lokale Speisefisch, der „Espada“, der Tiefsee-Degenfisch. Aus mehr als 1.000 Metern Tiefe holen ihn die madeirischen Fischer mit speziellen Geräten nach oben. Das Tier sieht furchterregend aus, schwarz wie die Nacht, ein Gebiss wie der Teufel. Ein Monster aus einer fremden Welt. Aber sein blütenweißes Fleisch ist unglaublich zart und schmackhaft, in zahllosen Versionen wissen die lokalen Köche den Espada zuzubereiten. Und nach dem Fisch tut ein Glas Poncha zum Eintrinken des Abends gut, das ist ein süßer, speziell madeirischer Alko-Drink.

Die Kirche „Nossa Senhora do Monte“, Ruhestätte des letzten österreichischen Kaisers, mit Blick aufs Meer

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Madeira im Glas

Und da ist natürlich der Wein – diese sehr spezielle, portwein- oder sherryartige Geschmacksrichtung, die der Weißwein bekommt, weil er in besonderen Fässern gelagert und dramatischen Temperaturschwankungen unterworfen wird. Die meisten und größten der lokalen Weinfabriken gehören immer noch den Blandys – und sie heißen auch so. Die Blandys, das ist die lokal alles beherrschende Familiendynastie, schon seit gut zweihundert Jahren. Ihnen gehört die größte Tageszeitung der Insel, sie besitzen eine Bank und die schönsten Villen mit den ausladendsten Gärten. Zum Beispiel am Palheiro Nature Estate – der Besuch der Blandy-Gärten im Vorort von Funchal, hoch oben am Hang, ist ein absolutes Muss. Ein kleines, feines Hotel – die Casa Velha do Palheiro – gehört ebenso dazu wie ein Golfplatz. Dort auf der Terrasse sitzen, an die Blumen des Gartens denken, an einer Teetasse nippen, später ein Glas Madeira als Aperitif nehmen und sich insgesamt zufrieden und glücklich fühlen, das ist ziemlich britisch und gleichzeitig auch ziemlich portugiesisch. Kurz gesagt: Es ist ziemlich madeirisch.

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