Unten ohne: Ein Kilt ist alles andere als kleinkariert
Ein Mann im Schottenrock ist nie schlecht angezogen. Warum das Stück einst verboten war, es ihn auch in Kärnten gibt und was Mann darunter trägt.
Weil die schottische Gretchenfrage stets unter den Nägeln brennt. Was trägt man unterm Kilt? Nichts.
Mittlerweile haben Träger bei der Freiheit untenrum aber Freiheiten. Im Jahr 2010 sorgen Traditionshüter für Aufruhr: Zumindest bei geliehenen Kilts sei eine Unterhose aus Anstand und aus Gründen der Hygiene zu empfehlen, gibt Brian Walton von der „Scottish Tartans Authority“ aus.
Das ist ein Paradigmenwechsel: „Mein Vater war Hauptfeldwebel bei der Armee, und er hatte immer einen Spiegel an seinem Marschierstab befestigt, damit hat er vor Paraden überprüft, ob seine Männer angemessen gekleidet waren.“ Egal, ob mit oder ohne – Kilt steht Männern.
Berockte Stars
Das wissen auch Promis: Sie zeigen sich gern darin. Brad Pitt, etwa. Oder zuletzt Robert Pattinson, der in einem farblich reduzierten Exemplar die Dior-Modenschau in Paris besucht.
So wie wir ihn kennen, gibt es den Kilt erst seit Beginn des 18. Jahrhunderts. Der Vorläufer stammt aus dem 16. Jahrhundert. Der Great Kilt – auch Belted Plaid – ist ein Stück, dessen obere Hälfte man als Umhang tragen kann. Weil der so groß ist, muss man den Stoff zusammenfalten, um den Körper legen und mit Gürtel tragen. Zuvor haben die Highlander wie die Iren ein langes Hemd und mit Extra-Umhang getragen.
Als Erfinder des Kilts gilt der Industrielle Thomas Rawlinson, der Arbeitern aus den Highlands einen „kleinen Kilt“ ans Herz gelegt hätte, weil es praktikabler wäre. Doch die These ist umstritten. Andere meinen, ein Methodenwechsel beim Weben habe zur neuen Form geführt. Auf jeden Fall: Ein Kilt hat einen anständigen karierten Tartan. Auch dessen Ursprung ist nicht ganz geklärt, wobei Kelten seit Jahrtausenden karierte Stoffe gefertigt haben. Das Schottenmuster selbst wird mit Clans in Verbindung gebracht. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Weber stellen Tartanstoffe für die Menschen in ihrer Region her. Es kann sein, dass Tartans daher auch auf bestimmte Gegenden hinweisen.
Die kernigen Clan-Mitglieder sind auch daran beteiligt, dass kurz nach der Erfindung Schotten und Engländer wieder einmal zusammenkrachen. Als Königin Anne aus dem schottischen Geschlecht der Stuarts ohne Nachfahren stirbt, geht das Zepter an den deutschen Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover. Der wird, weil er protestantisch ist, zu Georg I., Annes katholischer Halbbruder geht leer aus – Katholiken sind von der Thronfolge ausgeschlossen.
Dessen Anhänger, die Jakobiten, wollen ihm mit Gewalt zur Herrschaft verhelfen. Besonders die Bauern aus dem schottischen Hochland mucken im Tartan auf. Britische Truppen schlagen den Aufstand 1746 bei der Schlacht von Culloden nieder. Die Machthaber in London beschließen ein Gesetz: Ab 1. August 1747 ist es Schotten untersagt, Waffen und traditionelle Kleidung zu tragen. Nach 40 Jahren wird das Gesetz abgeschafft – der Widerstandsgeist ist eingeschlafen.
Romantisches Bild
Es entsteht das Bild vom Schotten, der in kariertem Stoff mutig nach Selbstbestimmung ruft. Anfang des 19. Jahrhunderts tritt die „romantische Rehabilitierung des Highland-Kleidungsstücks“ ein, wie es der Anthropologe Malcolm Chapman beschreibt. Urbanisierung und Industrielle Revolution rufen eine Gegenreaktion und Idealisierung der ungezähmten Wildheit hervor. Und auf einmal ist es nicht mehr die Gefahr, die in den Highlands des Nordens lauert, sondern das Unverfälschte.
Das geht so weit, dass König George IV. bei seinem Besuch in Edinburgh 1822 in Highland-Montur auftritt. Queen Victoria befeuert den Highland-Kult ab den 1840ern erneut. Ihr Gemahl Prince Albert kauft das Schloss Balmoral, Teile des Interieurs werden mit Tartan-Mustern ausstaffiert. Die Monarchin trägt auch Kleider mit schottischem Karo-Muster. Die Liebe zum Tartan-Kilt bleibt den Royals erhalten – König Charles III. trägt ihn gerne. Beim ersten öffentlichen Auftritt nach dem Ende der Trauerphase für Queen Elizabeth besucht er Schottland und ist berockt.
Vivienne Westwood ist es, die den Kilt aus der gediegenen Ecke holt. Sie beginnt Ende der 1970er damit zu experimentieren. Ihr Punk-Label Seditionaries drapiert die Röcke über schwarze Bondage-Kluft. Damit wandelt es den Krieger der Schlacht von Culloden um in einen straßenkämpfenden urbanen Guerilla. Punks setzen seither auf Kilt. Westwood verlässt später die Do-it-yourself-Ästhetik und schickt Kate Moss oder Linda Evangelista in eleganten Stücken auf den Laufsteg.
Für die „Anglomania“-Kollektion 1993 lässt sie ein Mac-Andreas-Tartan – benannt nach Ehemann und Design-Partner Andreas Kronthaler – kreieren. Dass ein Mann im Kilt schick ist, weiß Alexander McQueen, der schottische Wurzeln hat. Er hüllt sich am roten Teppich in Plaid-Decke und Kilt, dazu interpretiert er das Tartan-Muster in der Kollektion „Highland-Rape“ neu.
Punk ist nicht die einzige Subkultur, die auf Rock setzt. Die New Romantics der 80er tragen ihn nicht nur, sie treffen sich regelmäßig im Club „Le Kilt“ in London. In der Schwulen-Szene der Neunziger ist der Kilt nicht wegzudenken. Er ist einerseits ein Ausdruck des Hyper-Maskulinen, besonders wenn er mit schweren Stiefeln kombiniert wird, andererseits spielen die Träger auch mit einer behaupteten Feminität von Röcken. Mit den Filmen Rob Roy und Braveheart kommen immer mehr Männer auf den Geschmack.
In Kärnten erkennt der Schneider Thomas Rettl vor mehr als 20 Jahren, dass Karo immer geht. Angefangen hat es mit der Begeisterung für Highland-Games. Doch in Österreichs Süden geht noch mehr Nördliches. „Ich habe zuerst nur zwecks der Gaudi einen Kärntner Anzug mit Kilt kombiniert.“ Dann entwickelt er ein eigenes Kärntner Muster in den Landesfarben Gelb, Rot, Weiß und bringt sich mit einem Rock in die Debatte über die Neuinterpretation des Kärntner Anzugs ein, die vom damaligen Landeshauptmann Jörg Haider gestartet worden ist. „Da haben sich die Hüter des Universums sehr aufgeregt.“
Kelten und Connery
Als lustiger Bursche, der er ist, behauptet er, die Kärntner hätten das Karo erfunden. Doch der Schmäh hat einen wahren Hintergrund: Keltische Alpenbewohner haben vor 2.300 Jahren Muster auf hoch entwickelten 4-schäftigen Webstühlen produziert. Der Wirbel wirkt: 10.000 Stück von den Exemplaren um stolze 1.000 Euro habe man in den vergangenen 15 bis 20 Jahren verkauft. „Das schaffte keine Westwood und kein Gaultier.“
Und weil das mit dem Kärntner Kilt so erfolgreich ist, erfindet Rettl für alle österreichischen Bundesländer ein eigenes Muster. „Niemand hat sich mehr aufgeregt. Dabei haben wir Andreas Hofer oder Erzherzog Johann, der den Steireranzug populär gemacht hat, im Kilt gezeigt.“
Allerdings zeigt sich Sean Connery not amused. Durch und durch Schotte, der er ist, wettert er öffentlich gegen den Kärntner Affront. Aber Rettl trifft ihn bei der Modenschau „Dressed to Kilt“ in New York. Dort überreicht er dem Star ein selbst gemachtes Sakko. Ein gemeinsames Glas Wein tut das Übrige – Connery ist besänftigt.
Aber er ist halt zeit seines Lebens Regionalpatriot: Natürlich trägt er Kilt, als ihn die Queen im Jahr 2000 zum Ritter schlägt. Was der beim historischen Moment darunter trägt? Das lässt sich nicht mehr eruieren. Und wie hält es Rettl mit der Unterwäsche? „Ohne. Mit komme ich mir komisch vor.“
Das Royal Victoria & Albert Museum im schottischen Dundee widmet sich ab 1. April dem Tartan. vam.ac.uk/dundee
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