Neue Ausstellung zeigt: So unterschätzt wird Afrika in der Mode
London würdigt Afrikas Mode-Pioniere und die politische Dimension von Mode und Kolonialismus. Aktuelle Designer revolutionieren die Fashionwelt. Was ist ihr Geheimnis?
Es war hoch an der Zeit. Das sagen alle. Black Lives Matter, Debatten um kulturelle Aneignung und die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit haben es verlangt und herausgefordert. Nun haben diese konfliktreichen Themen und die facettenreiche, spannende Mode des Schwarzen Kontinents sich endlich manifestiert: „African Fashion“ ist die erste afrikanische Modeausstellung, die das Londoner Victoria-and-Albert-Museum in seiner 170-jährigen Geschichte zeigt. Und die größte, umfassendste, detaillierteste, die es überhaupt je gegeben hat.
„Wir wollen einen Einblick in den Glamour und die Politik einer Modeszene geben, die so vielfältig und abwechslungsreich ist wie der Kontinent selbst“, sagt Christine Checinska, die die Ausstellung kuratiert hat. Gefeiert wird der kreative Output von 45 Designern aus 20 Ländern. Das alles in eine Schau zu pressen, mag eine Mammutaufgabe gewesen sein. Doch sie beschränkt sich nicht selbst, arbeitet sich nicht zum Scheitern verurteilt am Anspruch der Vollständigkeit ab, bleibt offen nach allen Seiten.
Kleidungsstücke bedeutender afrikanischer Designer wie Shade Thomas-Fahm oder Chris Seydou werden ebenso gezeigt wie bahnbrechende Designs zeitgenössischer Modeschöpfer wie Thebe Magugu oder Imane Ayissi. Skizzen, Filme, Textilien liefern zudem Einblicke, die über eine Kleiderschau hinausgehen, auch die Arbeiten von Stylisten und Fotografen werden eingebunden. So gelingt es, das kaleidoskopartige Wirken Afrikas ebenbürtig zu reflektieren; missverständliche Haltungen des Westens weichen einem Narrativ aus eigener Stimme.
Mandela macht Mode
Auf zwei Stockwerken präsentiert die Ausstellung mehrere Sektionen. Schon der erste Teil blickt über den Tellerrand der Mode weit hinaus: Die post-kolonialistische Zeit der Befreiung, die Mitte der 1950er-Jahre begann, wird hier behandelt. Was das mit Mode zu tun hat? Eine ganze Menge. Weil Mode unabdingbar mit nationaler Identität verbunden ist, eignet sich die Symbolkraft von Kleidung und die Verwendung bestimmter Stoffe dazu, politischen Umbruch ablesbar zu machen.
So geschehen 1957: Als Ghanas Premierminister Kwame Nkrumah 1957 vor sein Volk trat, um die Unabhängigkeit seiner Nation von Großbritanniens Krone zu verkünden, tat er das sehr bewusst. Er verzichtete auf den feinen Anzugszwirn aus der noblen Londoner Savile Row und trug stattdessen ein Kente-Tuch, ein traditionelles Kleidungsstück aus Westafrika.
Kleidung ist immer auch gerne ein politisches Statement.
Mit Nelson Mandelas Auftreten wiederum untrennbar verknüpft ist das Tragen des nach seinem traditionellen Clan-Namen benannten Madiba-Hemdes. Als Präsident Südafrikas verzichtete er überraschenderweise auf den Zauber der Montur, der dem ehemals 27 Jahre inhaftierten politischen Gefangenen zugestanden wäre. Keine Sakkos. Keine Krawatten. Stattdessen auffällig gemusterte, afrikanische Shirts. Ein eigener, unverwechselbarer Stil. Augenfällig selbstbewusst, für sich selbst, aber auch als Vorreiter und Vorbild für seine Landsleute.
„Kleidung ist immer auch gerne ein politisches Statement“, weiß Lara Steinhäußer, Kustodin der Sammlung Textilien und Teppiche vom MAK, und verweist etwa auf die im Zuge der Black-Power-Bürgerrechtsbewegung von Afroamerikanern stolz getragenen Kleidungsstücke wie das Dashiki-Shirt (farbenfrohes, traditionelles bedrucktes Oberhemd), das als typisch afrikanisch codiert wahrgenommen wurde.
Auf die Zeit vor dem Polit-Umbruch und der kulturellen Renaissance Afrikas wiederum würden bunte Waxprints hinweisen. Sie wurden in ihrer Ursprungsform Ende des 19. Jahrhunderts in den Niederlanden als Alternative zu den javanesischen Batikstoffen entwickelt – und machen deutlich, wie eng klassische, afrikanische Textilien mit der kolonialen Vergangenheit verknüpft sind.
Neudefinition der Modebranche
Die ist auch für das Londoner Victoria-and-Albert-Museum in Zeiten der Restitution ein mittlerweile unumgängliches Thema geworden: Es entstand unter Königin Victoria, Großbritannien war ein weltumspannendes Empire, afrikanische Kultur an sich wurde als exotisch verfremdet.
Was die Mode betrifft, wurde Afrika 100 Jahre lang falsch kategorisiert und unterbewertet, so die Kuratorin Checinska. Ein Urteil, das Kristin Kastner, Co-Autorin des Buches „Fashioning The Afropolis. Geschichten, Materialitäten und ästhetische Praktiken“, das sich mit Mode in Afrika beschäftigt, teilt. Dem ganzen Kontinent sei aus einem rein eurozentrischen Blickwinkel modemäßig einfach die Existenz abgesprochen worden.
„Dem liegt die Vorstellung von Mode als eine rein europäische Erfindung zugrunde“, erklärt Kastner. „Ein jahrhundertealtes Afrika-Bild, das für den Kontinent häufig immer noch andere Maßstäbe ansetzt. Tradition und Exotik werden betont, Geschichtlichkeit, Wandel und Kreativität dagegen in den Hintergrund gerückt.“
Die Pioniere
Das scheint sich nun allmählich zu wandeln. „Der Einfluss Afrikas und seiner Modeszene hat die Geographie der Modebranche in den vergangenen Jahren neu definiert“, beschreibt die New York Times den globalen Einfluss afrikanischer Kreativität. Um das zu beweisen, scheut sich das V&A-Museum nicht, weit auszuholen und zeigt nicht nur die neuen, angesagten Designer. Es würdigt auch das Schaffen prägender Modepioniere wie Shade Thomas-Fahm, die als Nigerias erste moderne Designerin gilt und als eine der ersten lokale Textilien und Stile neu interpretierte und Mode für die zeitgemäße, urbane Frau schuf.
Auch auf den Einfluss von Modeschöpfern wie Kofi Ansah, der mit seinem künstlerischen Anspruch von Ghana aus die Mode revolutionierte, wird eingegangen, ebenso auf die Arbeit von Chris Seydou, der mitunter als „Vater der afrikanischen Mode“ bezeichnet wird und etwa für Yves Saint Laurent und Paco Rabanne arbeitete. Er vereinte europäische Couture mit afrikanischen Textilien und machte sich einen Namen, indem er etwa Bogolan, einen mit Schlamm gefärbten Baumwollstoff aus Mali zum Beispiel für Miniröcke verwendete.
Kastner hofft, dass „Afrika nicht mehr nur einseitig als Inspirationsquelle benützt wird, um den kreativen Hunger des Westens zu stillen“. Die Ethnologin der Ludwig-Maximilians-Universität München bewundert die modische Dynamik Afrikas. Unterschiedliche Stile, Formen und Materialien würden dabei aufgegriffen und neu kombiniert; mit Kolonialismus, Postkolonie und Dekolonisierung selbstbewusst umgegangen; Mode und Tradition in Frage gestellt und alternativ gedacht.
Zahlreiche Fashion Weeks und Biennalen, so Kastner, dienen dem Austausch und bedienen den Erfindergeist. Abertausende, kleine Schneiderwerkstätten fertigen zudem tagtäglich maßgefertigte Unikate auf Basis lokaler Textilien. Geeignete Umstände, um die Modebranche zu verändern – nicht zuletzt, weil sie hohes ökonomisches Potenzial in sich bergen.
Die neuen jungen Wilden
Dass junge afrikanische Designer zum Spannendsten zählen, was die Mode aktuell zu bieten hat, ist nicht zu übersehen. Orange Culture mit der androgynen Mode von Adebayo Oke-Lawal zählt dazu, oder der österreichisch-nigerianische Designer Kenneth Ize, der für Karl Lagerfeld fertigte sowie die aktuellen Bühnenoutfits der Band Bilderbuch entwarf. In London gezeigt werden etwa Thebe Magugu (er entwarf auch das Ensemble am KURIER-Freizeit-Cover, es entstammt seiner Herbstkollektion 2021). 2019 gewann der Südafrikaner als erster Afrikaner überhaupt den LVMH-Preis, die bedeutendste Auszeichnung für Nachwuchsmodeschöpfer.
„Er hat Ideen, die sein Label zu einer globalen Marke machen können“, schwärmte damals Maria Grazia Chiuri, die Kreativdirektorin von Dior. Anfang August trat Magugu den Wahrheitsbeweis dieser Prophezeiung an: Mit Adidas stellte er die erste von zwei gemeinsamen Kollektionen vor. Auch wie wichtig ethische Produktion (wie von Bubu Ogisi, die IAMISIGO gegründet hat) für afrikanische Mode ist, bildet die Ausstellung ab. Umweltschutz, die Bewahrung alten Handwerks und kulturellem Erbe sowie die Bildung von Communitys prägen die Szene.
Ein Zugang, der aus Tradition und schierer Notwendigkeit zugleich entstanden ist – und nun plötzlich mit voller Wucht die Mainstream-Modeindustrie erreicht und trendy ist. Dakala Cloth von NKWO setzt das besonders wirksam um: Der neu entwickelte Stoff wird aus Stoffabfällen hergestellt, abgezogen und wieder zusammengenäht. Das Ergebnis ist ein einzigartiger Look, wie so vieles in der afrikanischen Mode.
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