Sprüche klopfen: Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe
Sie ist verletzt – er versucht, ihr nicht nur praktisch zur Hand zu gehen. Also findet er tröstende Worte, über die sie sich allerdings nur wundern kann
von Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl
Sie:
Mit mir durch dick und dünn zu gehen, versprach der Mann gegenüber vor langer Zeit, ohne sich näher auszumalen, was das womöglich heißen könnte. Ein Einschub, das Sprachbild betreffend: Das "dick" beruht auf dessen alter Bedeutung "dicht". Gemeint war einst, dass man gemeinsam durch "dicht und dünn bewaldete Gegend geht". Nur jene, die bereit waren, Seite an Seite unwegsame, dunkle und gefährliche Wälder zu durchstreifen, entpuppten sich als wahre und liebende Begleiter.
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Krisen? Chancen?
Wie auch immer: Binsenweisheit kann er. Das durfte ich die vergangenen Rekonvaleszenswochen nach der operativen Versorgung meines zertrümmerten Oberarms täglich erfahren. Da stand er, und meinte angesichts meiner eher gemischten Gefühlslage, dass Krisen als Chancen zu betrachten seien. Worauf ich fragte: "Die Chance, dass ich von dir nun täglich Nudeln mit einer von drei schlichten Saucen serviert bekomme?"
An dieser Stelle warf er mir vor, dass ich ihn, den weisen, jungen Mann, lächerlich machen würde, denn in dieser Aussage stecke unergründliche Tiefe. Minuten später hatte er sich mental wieder im Griff und einen frischen Schatz aus der "Alles-wird-gut"-Kiste geborgen: Glück und Glas, wie leicht bricht das. Sowie: Kein Licht ohne Schatten, du musst das Leben stets nehmen, wie es kommt. Sagt ausgerechnet einer, der einen Beinahe-Weinkrampf bekommt, wenn er wegen des bisserl Bauchiwehs seine Tennisstunde absagen muss. Die Krönung sollte aber noch folgen: Ach, Schatz, nimm’s auf die leichte Schulter, du hast ja mich.
Mit letzter Kraft hob ich den – gesunden – linken Arm und winkte ermattet ab: "Stopp!" Nicht nur deshalb würde ich eingangs erwähntes Versprechen durch ein aktuelleres ersetzen: "Mit dir gehe ich durch dick und doof". Mich haut’s deppert auf, er haut doofe Sprüche raus. Ja, ich weiß eh: Immer wieder geht die Sonne auf. Und bis ich noch einmal heirate, ist es wieder gut.
Er:
Mitunter spaziere ich an jener fetten Wurzel, die meiner Frau zum Verhängnis wurde, vorbei, betrachte sie und sage: "Oh, du Gehölz, verdammt seist du." Dabei achte ich natürlich darauf, dass ich nicht beobachtet und allenfalls gemeldet werde – "bitte, da streift ein sonderbarer Mann durch den Wald und beschimpft Bäume"! Jedenfalls ist seit dem Schulterwurf durch den Endgegner namens Natur vieles anders. Und ich muss lernen, einer vom Schicksal ausgehebelten Frau sprachlich äußerst sensibel zu begegnen. Zumal mein philosophischer Zugang ("Ich dachte, Wurzelchakra steht für eine sichere und stabile Verbundenheit mit der Erde") so gar nicht auf Anerkennung stieß: Du könntest mir lieber das Gurkenglas aufschrauben, statt als Yogi herumzudilettieren.
Taten statt Worte
Dabei fühle ich mich als Mutmacher extrem gefordert. Aber irgendwie haben meine Durchhalteparolen (noch) nicht die gewünschten Effekte. Ich zitiere den Aphoristiker Ernst Ferstl ("Die Zuversicht rüttelt am Felsen der Ängste"), und sie sagt: Jo eh, bravo, Ernstl. Ich steigere mit Friedrich Schiller ("Es kommt der Tag, der alles lösen wird"), und sie erwidert: Na Gott sei Dank war der gute Mann Dichter und nicht Chirurg.
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Bis ich schon leicht ermüdet bei Euripides lande ("Kein besseres Heilmittel gibt es im Leid als eines Freundes Zuspruch"), und sie lächelt nur milde: Freund ist das Zauberwort, von Ehemann hat er nix gesagt. Daher ersetze ich meine weisen Worte zunehmend lieber durch Taten. Ich reche ihr Laub, hacke ihre Zwiebel und tausche ihre Glühlamperln. Und ich lache aus Überzeugung nicht während ihrer akrobatischen Zirkusnummer des Pulloveranziehens. Weil, eine willensstarke Patientin ist sie. Gnä Kuhn formuliert ihre Texte mittlerweile mit links und gilt in Physiotherapiekreisen längst als entschlossen kämpfende Amazone. Dafür gebührt ihr ein regelmäßiges respektvolles Schulterklopfen … obwohl … ein ermutigendes Kopfstreicheln tut’s auch.
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