Fast nichts: Warum das Naked Dress für Diskussionen sorgt

Immer mehr Stars punkten mit einem „Naked Dress“, auch ohne BH. Die einen applaudieren, die anderen diskutieren sich in einen Reiz-Reaktions-Rausch: Wie viel Entblößung darf's denn sein?

Angezogen – und auch wieder nicht: So lässt sich das ästhetische Prinzip des "Naked Dress" beschreiben – auf Deutsch: Nacktkleid. Unter durchsichtigem Stoff zeichnen sich die Körper der Trägerinnen mehr oder weniger deutlich ab, manch "Privates" wird öffentlich. Endlich raus aus dem viralbedingten Homeoffice-Jogginghosen-Look, ab in sinnlich-elegante Träume aus Tüll, Spitze, Netz und hauchdünnem Stoff. Man zeigt sich, gut so.

Transparenz ist nichts Neues, nur der Umgang damit und der Blick darauf haben sich verändert. Ein postpandemischer Trend und modischer Befreiungsschlag, wie Modeexperten konstatieren: Während man vor dem Jahr 2020 allzu Freizügiges noch mit leicht erhobener Augenbraue kommentierte, weil Frauen auf diese Weise angeblich zu Schauobjekten würden, wirkt nun manches entspannter, offenherziger, selbstbewusster.

Das aktuelle Statement zum Transparent-Trend lautet so: Ich darf mich zeigen, wie ich mag – freizügig oder hochgeschlossen, im durchsichtigen Kleid oder im Rollkragenpulli. Bodypositiv. Und niemand hat das zu werten. Das war nicht immer so, der Nackt-Look sorgte für so manchen (bewusst inszenierten) Skandal.

Legendär Marilyn Monroes Auftritt im Mai 1962, als sie auf der Bühne des Madison Square Garden ihr legendäres Geburtstagsständchen für John F. Kennedy gab. In einem ikonischen, mit 2.500 Strasssteinen besetzten, durchsichtigen Kleid. Viele weitere Beispiele vieler weiterer weiblicher Stars sollten folgen, begleitet vom – empört-erregten Ah und Oh des Publikums. Im Jahr 2023 sollte so eine Entblößung kaum mehr für Skandale sorgen. Kein Grund für Kommentare in Schnappatmung oder Buh und Boah-Rufe – theoretisch. In der Praxis geht sich’s leider noch nicht ganz aus.

Es fühlt sich einfach gut an, sich so frei zu zeigen, wie man gerade möchte. Völlig unabhängig davon, ob man nun mit einer Modelfigur punkten kann oder nicht. Mit dem eigenen Körper im Einklang zu sein, und ihn ohne Zweifel zu zeigen – das sollte selbstverständlich sein.

Zu provokant?

Wie unlängst der Auftritt von Rita Ora bei den Haute-Couture-Schauen in Paris bewies. Die Sängerin trug ein – fantastisches – Netzkleid und verzichtete auf BH. Hui, da war was los im Netz: Nippelalarm. Es wurde heftig diskutiert, ob das angebracht sei, manche meinten, so viel Haut zu zeigen, sei einfach nur falsch, weil der Körper „privat“ bleiben müsse. Die Sicht auf Ritas Brüste – viel zu provokant!

Mich erinnert das ein bisschen an jene ferne Zeit, als ich beim Tragen kurzer Röcke zu hören bekam, dass ich selbst schuld wäre, wenn mich irgendein Mann betatscht oder blöd anmacht. Danke, Evolution – das dürfte eigentlich heute kein Problem mehr sein. Frauen sollen sich zeigen, wie sie mögen – ohne dafür be- oder verurteilt, sexualisiert, gewertet, ausgepfiffen und als „unanständig“ kategorisiert zu werden. Sie können sich in Kleiderträume aus Nichts hüllen, ohne dass es heißt, sie würden ihren Körper instrumentalisieren oder – noch schlimmer – „sich Männern anbieten“. Es fühlt sich einfach gut an, sich so frei zu zeigen, wie man gerade möchte. Völlig unabhängig davon, ob man nun mit einer Modelfigur punkten kann oder nicht. Mit dem eigenen Körper im Einklang zu sein, und ihn ohne Zweifel zu zeigen – das sollte selbstverständlich sein.

Weil es um Souveränität geht und nicht um die Idee, verführen oder gefallen zu wollen. Zu all dem hat Schauspielerin und Model Emily Ratajkowski übrigens einen lesenswerten Bestseller geschrieben. In "My Body – Was es heißt, eine Frau zu sein", erzählt sie, wie es ist, sich in einer Welt, die vom männlichen Blick geprägt ist, beweisen zu müssen. Dabei beschreibt sie unter anderem die Kultur der Fetischisierung von Mädchen und weiblicher Schönheit. Und sie betont, dass sie mehr ist als nur ein Körper – sehr ehrlich, aber auch verletzt und wütend.

Entblößt II

Nacktheit ist häufig mit Schamgefühlen verknüpft, die uns anerzogen wurden. Gleichzeitig boomt FKK – und das hat viele Vorteile, wie der Sozialpsychologe Keon West (Goldsmith’s University London) weiß. Seine Studien zeigen, dass Menschen, die sich im Kollektiv hüllenlos zeigen oder an entsprechenden Aktivitäten teilnehmen, insgesamt zufriedener sind und ein positiveres Körperbild entwickeln.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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