Frau und Mann beim Geschlechtsverkehr

Sex-Fantasien: Wie das Kopfkino hilft, sein erotisches "Ich" zu entdecken

Die Schauspielerin Gillian Anderson sammelte die anonymen Sex-Fantasien von Frauen. Das Ergebnis ist nun im Buch "Want" erschienen.

800.000 Wörter waren es schließlich, die die Schauspielerin Gillian Anderson erreichten, nachdem sie Frauen und alle, die sich als Frau und nicht-binäre Menschen identifizieren, einlud, ihre sexuellen Fantasien zu teilen. Dafür richtete der Verlag „Bloomsbury“ ein eigenes Portal ein – als sicheren Raum, in dem die Frauen anonym ihre geheimen Vorstellungen, Wünsche und Fantasien hinterlassen konnten. Auch Anderson selbst formulierte ihre geheimen erotischen Bilder – anonym, wie alle anderen. Keine Kinderjause – im Interview mit „Gaytimes“ schilderte sie das so: „Als ich meinen Brief, meine Fantasie, geschrieben habe, habe ich mich schwergetan. Ich habe schon einiges erlebt, und es gibt nicht viel, wovor ich mich ekle oder wo ich prüde bin. Ich bin weder nervös noch schüchtern. Und trotzdem war es eine ganz andere Erfahrung, meine Fantasien tatsächlich zu Papier zu bringen.“

Die Ergebnisse sind nun auch auf Deutsch in einem neuen Buch mit dem Titel „Want“ (Verlag dtv) erschienen. Manche der beschriebenen Szenen erinnern an das legendäre Werk „My Secret Garden“ („Die sexuellen Phantasien der Frauen“) von Nancy Friday aus dem Jahr 1973. Im Unterschied dazu, meint Anderson, sei das Spektrum an Frauen in „Want“ viel breiter, außerdem gäbe es mehr Orgasmen als seinerzeit. Aber wohl gleich viel Scham – nicht nur in Bezug auf den eigenen Körper und den Selbstwert, sondern auch auf den eigenen Partner. Ihm von geheimen Wünschen und Vorstellungen zu erzählen, fällt vielen Frauen nach wie vor schwer. Mehr noch: Manche tun alles, um sich den inneren Bildern zu entziehen oder sie zu verdrängen, weil das, was das Gehirn da an Vorstellungen erzeugt, so gar nicht zum Selbstbild passt. Wie etwa, sich von einem Mann dominieren und erniedrigen zu lassen, übrigens eine häufige weibliche Fantasie, was eine repräsentative Studie im Jahr 2015 belegte. Ein Großteil der Frauen (65 Prozent) berichtete darin von submissiven Fantasien, 52 Prozent träumen heimlich davon, festgebunden zu werden.

Keine Sorge: Fakt ist, dass eine Vielzahl an Menschen (Frauen und Männer) Inhalte fantasiert, die entweder politisch inkorrekt oder ethisch fragwürdig sind und real gelebten Werthaltungen widersprechen.

Bin das wirklich ich?

Was immer wieder von Neuem zur Frage führt: Bin das wirklich ich? Und ist das, was ich vor meinem geistigen Auge an sexuell aufgeladenen Bildern sehe, überhaupt normal? Keine Sorge: Fakt ist, dass eine Vielzahl an Menschen (Frauen und Männer) Inhalte fantasiert, die entweder politisch inkorrekt oder ethisch fragwürdig sind und real gelebten Werthaltungen widersprechen. „Solche Fantasien zu hegen ist, wenn wir eine statistische Normalverteilung betrachten, also normal und nicht normabweichend“, schreibt die Psychologin Angelika Eck in „Sexuelle Fantasien in der Therapie“. Es sei üblich, dass viele Dinge fantasiert werden, die real nicht gewünscht sind. So lange jemand keinen Leidensdruck empfindet und sich als Regisseur seines erotischen Kopfkinos erlebt, ist alles gut.

Sexualtherapeuten sind außerdem überzeugt, dass viele Fantasien ein zentraler Schlüssel sind – eine „Landkarte der Erotik“. Diese sagt etwas über die Erotik einer Frau aus – „über das sinnliche, emotional bedeutsame Material, aus dem sie ihre sexuelle Erregung bezieht. Sie teilen gegebenenfalls auch etwas mit über ihre auf Erotik bezogenen Konflikte und Lösungsversuche“, schreibt Eck im Buch „Der erotische Raum“. Dabei werden oft bedeutende Konflikte sichtbar oder biografische Themen, manchmal sogar Traumata. Sexuelle Fantasien können also Wegweiser sein – und Turbo für mögliche Entwicklungsprozesse. Oder wie die bekannte Sexualtherapeutin Esther Perel meinte: „Eine gute Fantasie zeigt das Problem und bietet die Lösung an.“

Studie

Selbstbewusste Menschen haben mehr und besseren Sex: Das zeigte  eine Langzeitstudie der Universitäten Zürich und Utrecht, die in „Personality and Social Psychology Bulletin“ veröffentlicht wurde. Menschen mit einem höheren Selbstwertgefühl empfinden eine größere Zufriedenheit mit ihren sexuellen Erlebnissen. Umgekehrt führen befriedigende sexuelle Erlebnisse auch zu einem höheren Selbstwertgefühl.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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