
Eros ohne Ketten: Die Hürden der "freien Liebe"
Das Konzept der „freien Liebe“, moderne Polyamorie, die Idee einer emotionalen Unabhängigkeit: Schön, aber woran scheitert es?
Sex bis zum letzten Atemzug: Das schien die Idee der „freien Liebe“ aus den späten 1960er-Jahren. Einer der Vorreiter: Rainer Langhans, deutscher Autor, Filmemacher und Aktivist, der damals vor allem als Mitglied der Kommune I bekannt wurde.
Dort war Sexualität das zentrale Thema, allerdings nicht nach dem schlichten „Frei-vögeln-frei-Lust-haben-Prinzip“, sondern im Sinne eines gesellschaftskritischen, politischen und befreienden Statements. Sex, Nacktheit , freie Liebe als Gegenentwurf zur Monogamie. Die Rebellion schlechthin.
Sex galt dabei als Mittel, um sich von Zwängen und Konzepten wie Eifersucht, Besitzdenken und emotionaler Abhängigkeit zu lösen. Langhans ging es um eine Form von Ent-Egoisierung, wobei sich in der Kommune I erst wieder Machtdynamiken entwickelten – mit ihm als eine Art Guru, dem die Frauen möglichst nahe sein wollten. Doch was ist daraus geworden?
Eifersucht ist also kein Restposten aus den Lagern bürgerlicher Moral, sondern Ausdruck tiefer Beziehungsdynamiken. Eifersucht ist real. Und sie ist in ihren Wurzeln, äußerst vielschichtig. Ein Mix, je nach Typus, aus Angst, Kontrollverlust und Unsicherheit – und natürlich kulturell bedingt.
Körperbefreite Liebe
Das erzählt Langhans, der im Juni 85 Jahre alt wird in einem Interview mit der „ZEIT“. Die drei Frauen, mit denen er seit fast 50 Jahren in einem „Harem“ lebt, kommen zu Wort. Von „Sex bis zum letzten Atemzug“ keine Rede – und auch die Idee der freien Liebe ohne Eifersucht und Konkurrenzdruck wirkt ermattet. „Sexualität führt nicht zum richtigen Leben“, resümiert Langhans, bei dem 2020 Prostatakrebs diagnostiziert wurde. Seine Gespielinnen kommen zu einem ähnlichen Schluss, Langhans selbst geht es sowieso schon seit Jahrzehnten um Selbstfindung, Spiritualität und Bewusstseinserweiterung. „Freie Liebe bedeutet eigentlich körperbefreite Liebe“, sagt er im Interview.
Und was wurde aus der Vorstellung, die schnöde Eifersucht aus dem Fühlen zu streichen? Ein speziell spannender Punkt, den vor allem die Frauen reflektieren. Da ist von „Konkurrenzgeschichten“ die Rede – bis heute, übrigens, mit dem Gedanken „Der gehört mir und nicht dir.“ Und davon, wie schwer es ist, die „anderen“ auf einer tieferen Ebene wahrzunehmen, jenseits eines Kampfes gegeneinander. Die alten Muster weichen also nicht, trotz jahrelangen Ackerns am Thema.
Ein insofern inspirierendes Gespräch, als das Streben nach einer Form befreiter Liebe mehr denn je en vogue ist, Stichwort: Polyamorie/offene Beziehung. Beide folgen diesen Denkspuren, zumindest, was die Offenheit nicht-monogamen Lebensformen gegenüber betrifft. Wobei die Konzepte anderen Vorstellungen folgen: Da ist keine politische Motivation, man feiert eher die Vision einer „emotionalen Ehrlichkeit“, mit Fokus auf Konsens und Beziehungspflege. Und ja: Eifersucht wird anerkannt, aber bearbeitet.
Was zeigt: Ideale scheitern meist an der emotionalen Realität. Denn wie man die Lust, die Liebe, die Sehnsucht und das Wollen auch drehen und wenden mag: Am Ende zeigt sich der Mensch als Wesen mit einem tief verwurzelten Bedürfnis nach Exklusivität, Sicherheit und Bindung. Eifersucht ist also kein Restposten aus den Lagern bürgerlicher Moral, sondern Ausdruck tiefer Beziehungsdynamiken. Eifersucht ist real. Und sie ist in ihren Wurzeln, äußerst vielschichtig. Ein Mix, je nach Typus, aus Angst, Kontrollverlust und Unsicherheit – und natürlich kulturell bedingt. Nie rational, aber zutiefst menschlich. Sich davon zu befreien, ist selbst für Menschen, die beinahe ihr ganzes Leben dem spirituellen Konzept von freier Liebe folgten, nicht einfach. Ein stetes Versuchen, Hinfallen, Weitermachen, wie Langhans im ZEIT-Interview skizziert: „Dass mich niemand besitzen kann, war und ist für die Frauen bis heute manchmal schwierig zu begreifen. Aber wir üben uns täglich im Vorwärtsscheitern.“
Studie
Neue Forschungsergebnisse, veröffentlicht im "Journal of Affective Disorders", deuten darauf hin, dass Menschen, die mindestens einmal pro Woche sexuelle Aktivität erleben, seltener Symptome von Depression zeigen. Die Studie basiert auf einer großen, repräsentativen Stichprobe von Erwachsenen in den USA und fand heraus, dass häufigerer Sex mit einem geringeren Depressionsrisiko verbunden ist.
Kommentare