Wie man ein Dating-Burn-Out verhindert und was ein Sex-Verzicht bewirkt
Immer mehr Singles fühlen sich von Tinder & Co. ausgelaugt. Gleichzeitig verbreitet sich auf Social Media der Trend zum bewussten Sex-Verzicht.
Die junge Generation ist ausgebrannt. Zumindest jene, die sich liebessuchend in einschlägigen Online-Portalen bewegen. 80 Prozent der 20- bis 35-jährigen Nutzer solcher Apps erleben zumindest manchmal ein "Dating-Burn-out", ging aus einer aktuellen Umfrage hervor (siehe unten).
Die Psychologin Pia Kabitzsch, selbst Jahrgang 1992, überrascht das nicht. Sie kennt Freud und Leid von Tinder & Co. aus eigener Erfahrung und hat ein Buch über das Phänomen Online-Dating ("It's a Date!") geschrieben. Im Interview verrät sie, wie man die Flirtmüdigkeit vermeidet und was der Trend zur bewussten Enthaltsamkeit bewirken kann.
Woran merkt man, dass man an Dating-Fatigue leidet?
Pia Kabitzsch: Ein Dating-Burn-out bzw. Dating-Fatigue beschreibt das Gefühl, ausgelaugt und müde zu sein sowie die Überforderung von der großen Auswahl potenzieller Partner auf den Dating-Apps. Wenn die Symptome eher körperlich sind, spricht man von einer Dating-Fatigue, wenn man emotional ausgelaugt ist und Schwierigkeiten hat, sich auf andere Personen emotional einzulassen, von einem Dating-Burn-out.
Woher kommt diese kollektive Ausgebranntheit?
Je größer die Auswahl an potenziellen Partnern ist, desto komplexer und anstrengender wird es für unser Gehirn, Entscheidungen zu treffen, weil es alle Optionen gegeneinander abwägen muss, um eine bestmögliche Entscheidung zu treffen. Das fängt schon bei der Frage an, welches Profil man likt und dann im nächsten Schritt: bei welchem Match es sich lohnt, Zeit und Energie in die Verbindung zu stecken. Hier kann es hilfreich sein, durch das Nutzen von Filtern die Auswahl zu reduzieren.
Was sind Fehler, die viele beim Online-Dating machen?
Viele Nutzende neigen dazu, sich in rasender Geschwindigkeit durch die Profile zu klicken, dementsprechend groß ist die Datenmenge, die das Gehirn innerhalb kürzester Zeit verarbeiten muss – das macht müde. Besser ist es, sich Zeit zu nehmen und nur wenige Minuten am Stück zu swipen. Außerdem tendieren viele dazu, ohne großen Plan loszuswipen, was erschöpfen kann, weil man gar nicht weiß, wonach man die Profile überhaupt "bewerten" soll. Man sollte sich daher vorher überlegen, was man eigentlich auf den Dating-Apps sucht. Nutzende machen kaum Pausen, aus Angst, etwas zu verpassen. Dadurch macht Dating keinen Spaß mehr und wird zur Belastung, man hat keine Lust und keine Kraft, neue Verbindungen aufzubauen.
Als mögliche Folge schwören immer mehr junge Frauen dem Dating ab. Der Hashtag #celibacy trendet in sozialen Medien. Was bringt die bewusste Enthaltsamkeit?
Der Verzicht auf Sex für einen bestimmten Zeitraum lenkt den Fokus wieder stärker auf einen selbst und die eigenen Bedürfnisse, ohne Ablenkungen von außen. Dass die bewusste Enthaltsamkeit heute ein Trend ist, kann mehrere Gründe haben, unter anderem die Angst vor erneuter Verletzung, mehr Selbstbestimmung in einer unsicheren Welt und den Wunsch nach tiefen Verbindungen, die durch den Fokus weg vom Körperlichem hin zum Emotionalen entstehen können. Online-Dating wird von vielen heute als eher oberflächlich wahrgenommen - da kann die bewusste Enthaltsamkeit als eine Art Gegenbewegung angesehen werden, die für eine achtsamere Herangehensweise an Liebe und Sexualität steht.
Kann es auch negative Auswirkungen geben?
Ja – zum Beispiel können sich Singles durch den Verzicht auf Dating und Sex einsam und alleine fühlen. Und natürlich kann die Entscheidung, auf Sex zu verzichten, zu Schwierigkeiten beim Dating führen, wenn die andere Person das nicht respektieren möchte.
Fakten
51 Minuten
verbringen Nutzer durchschnittlich pro Tag auf Dating-Apps - das ging aus einer Umfrage von Forbes Health und One Poll mit 1.000 US-Amerikanern hervor
Ursachen
für Dating-Fatigue sind demnach u. a. fehlende Verbindungen (40 %), Enttäuschungen wie Ghosting oder Lügen (35 %), das Gefühl von Zurückweisung (27 %) und ähnliche Konversationen mit mehreren Personen (24 %)
Swipen
bedeutet, ein Profil nach links (gefällt mir nicht) oder rechts (gefällt mir) zu "wischen"
In Österreich
verwenden ca. 600.000 Personen Dating-Apps. Am häufigsten genutzt wird Tinder
Noch einmal zurück zu den Apps: Auswertungen zeigen, dass dort immer mehr Männer und weniger Frauen aktiv sind. Was bedeutet das für die männlichen Singles?
Ein Männerüberfluss kann natürlich frustrierend sein, weil es dadurch für einzelne Männer schwieriger wird, wahrgenommen zu werden und sie weniger Matches mit Frauen erhalten. Anstelle sich auf die Anzahl der Matches zu konzentrieren, sollten Männer ihren Fokus aber ohnehin eher auf die Qualität ihrer Verbindungen legen; das ist am Ende nämlich das, was wirklich wichtig ist. Nicht die Anzahl der Matches – auch wenn sie natürlich das Ego streichelt.
Wie wird es mit Online-Dating in den kommenden Jahren weitergehen? Ist der Zenit erreicht?
Ich denke, dass Online-Dating noch normaler werden wird und auch immer mehr Dating-Apps mit neuen Funktionen auf den Markt kommen werden. Es wird immer mehr zur Seltenheit werden, dass sich ein Paar im analogen Leben kennenlernt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass viele sich die Zeit vor den Dating-Apps zurücksehnen. Viele haben das Tinder-Spiel erfolglos durchgespielt und sehnen sich nach Offline-Begegnungen.
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