Kolumne von Gabriele Kuhn bei "Sex in der Freizeit"

Momente für die Lust: So wichtig sind Rituale fürs Sexleben

Je länger die Beziehung, desto eingefrorener oft der Umgang miteinander. Rituale helfen, weil sie Nähe und Verbindung erzeugen – zum Partner, aber auch zu sich selbst.

Sechs Sekunden küssen – ein Ritual, das der US-Psychologe John Gottman, allen Paaren ans Herz legt. Und zwar täglich. Der Sekundenkuss würde die emotionale und körperliche Intimität steigern – allein schon aufgrund der vermehrten Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin bei gleichzeitiger Reduktion des Stresshormons Cortisol

Das herzvolle Busseln soll auch die Stimmung heben und beruhigen. Sind zwei (oder ist einer) gerade nicht in akuter Kussstimmung oder aufgrund erhöhten Gulaschverzehrs in eher suboptimaler Kussverfassung, gilt auch eine Umarmung.

Das klingt beinahe so, als wäre Küssen wichtiger als Sex. Aber nein, es ist die Brücke dazu. Ein Kuss schafft Nähe und die gilt als gutes Terrain für Intimitäten aller Art, Sex inklusive. Wie wichtig emotionale Nähe und rituell-liebevolle Gesten für das Sexualleben sind, zeigen diverse Studien: Je mehr davon, desto eher entsteht Lust und Verlangen. Forscher wissen: Das Liebes-Post-it am Eiskasten, Kuscheln beim Serienschauen und ähnliches sind wichtig. Paare, die glücklich sind, pflegen solche Rituale. Und die wirken oft auch als Lust-Booster und Ouvertüre zu mehr, solange sie nicht zur starren Routine oder zum hohlen Automatismus verkommen, im Sinne eines "Muss-halt-so-sein."

Das gibt’s nämlich auch: den vollautomatisierten Popsch-Tatscher, den männlich-instinktiven Brust-Grapscher, das "Schatzl hin, Baby her", das jeder schon im Traum auswendig aufsagen könnte. 

Darum geht’s allerdings nicht, sondern um bewusst inszenierte Momente, abseits des üblichen Nebeneinanders. Und um Hinwendung – auch zu sich selbst, im Sinne des Lust-Empfindens und Lust-Erlebens. Solo-Rituale sind ein wunderbares Instrument, sich darin zu üben. 

Das fängt beispielsweise beim Duschen an. Ich kann duschen oder duschen. Das eine bedeutet: abwaschen. Das andere: sinnliches Körper-Erleben, cremen, ölen, schauen, spüren, entdecken – um sich danach rundum erotisch zu fühlen. Oder einfach nur wohl in der eigenen Haut.

Dazu passt die Idee des "Lust-Micro-Trainings", das die Sexologin Dania Schiftan in ihrem neuen Buch "Das Comeback deiner Lust" beschreibt. Dabei geht es darum, sich bewusst mehr Lust und Spaß ins Leben zu holen – unter anderem mit Hilfe kleiner Gewohnheiten, die leicht umsetzbar sind und stabile Begleiter werden, auch im stressigsten Alltag. Sie meint, dass es nur wenige Minuten Aufmerksamkeit täglich braucht, um sexuelles Wachstum zu initiieren. Wobei es nicht ums "Muss" geht, sondern um gute Gefühle, um Zufriedenheit, im Sinne einer Ressource. Also um lustvolle "Rituale" verschiedenster Art. 

In den Niederungen und Mühen des täglichen Lebens hingegen geht es schlicht darum, den anderen überhaupt wieder wahrzunehmen, jenseits seiner Existenzberechtigung als Alltagsgegenstand. Es ist nicht egal, wie zwei einander morgens oder abends begrüßen, es tut gut, sich ein wahrhaftiges Kompliment, im Sinne einer Würdigung, auszudenken.

Stichwort Dusche: Die vorgeschlagene Übung "sinnliche Dusche" sieht vor, sich selbst achtsam und liebevoll zu berühren, so, als würde man einen anderen Menschen berührend beglücken. Um dabei sämtliche Körperempfindungen wahrzunehmen. Und ja, so was geht auch zu zweit – um vielleicht ein paar Räume weiter, in der Horizontalen beim Happy Ending zu landen.

In den Niederungen und Mühen des täglichen Lebens hingegen geht es schlicht darum, den anderen überhaupt wieder wahrzunehmen, jenseits seiner Existenzberechtigung als Alltagsgegenstand. Es ist nicht egal, wie zwei einander morgens oder abends begrüßen, es tut gut, sich ein wahrhaftiges Kompliment, im Sinne einer Würdigung, auszudenken. Auch das "besondere" Abendessen muss nicht zur hohlen Paar-Attitüde verkommen, sondern kann, liebevoll inszeniert, dem Verfall der Liebe entgegenwirken. Manchmal reicht einfach nur dieser eine Satz: "Wie war dein Tag?"

Workshops

Die Wiener Gesundheitsförderung  (WiG) startet ihre Kampagne „Voll OK“, die sich dem  Schwerpunkt „Gesunde Jugend“ widmet.  Spezielle Projekte wurden entwickelt, etwa „Sex in the City“, ein kostenloses Workshop-Angebot, das Jugendlichen ab 13 helfen soll, Gesundheitskompetenz im Bereich der Sexualität, des Körperbewusstseins und der Verantwortung für sich selber aufzubauen. Info: wig.or.at 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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