Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe: Die Finten des Miteinanders

Sie bespricht jedes Problem radikal detailreich und radikal ehrlich. Während er die Kunst des "eleganten Ausweichens“ nahezu perfekt beherrscht. Das hat Konfliktpotenzial

Sie

Ich bin eine Meisterin des Mann-gegenüber-Decodierens – und das ist super. Weil es mir hilft, ihn auch dann zu verstehen, wenn er sich selbst nicht versteht (oder nur so tut, als ob). Und das Murmel-Tier neben mir dann vage Botschaften in Schachtelsätze verpackt, die so verwirrend sind, dass sie meist mit einer Frage an ihn selbst enden: Äh, was wollte ich  sagen? Die kann ich ruckzuck beantworten, nachdem ich ihm beim taktischen Fabulieren in die Augen geblickt, das Zucken seiner Mundwinkel sowie das Spiel seiner Hände antizipiert, analysiert und interpretiert habe. Dann sage ich schlicht: „Du wolltest sagen, dass du nach dem Essen lieber Liverpool gegen Manchester anschauen würdest, statt mit mir den Tanzfilm, traust dich aber nicht, weil es gestern, vorgestern und vorvorgestern auch so  war, stimmt’s?“ Dann schaut er treuherzig: Du kennst mich gut. Eh okay für dich? 

Verbaler Riesentorlauf

Ja, genau: Seit 25 Jahren tut er sich ein bisserl schwer, (mehr oder weniger unangenehme) Wahrheiten klar zu formulieren. Stattdessen versucht er sich an verbalen Riesentorläufen mit schwindligen Einfädlern. Seine Art, sich alles offenzulassen oder  behaupten zu können: Schatzi, nein – so war das nicht! Trotzdem habe ich ihn  am Neujahrstag wiederholt zum Thema „Rauchen aufhören“ befragt – im behutsamen Konjunktiv: „Und? Hättest du da was angedacht?“ Nach einer  Pause (ich vermute, um sich einen Schachtelsatz auszudenken), folgte seine erste Antwort: Lustig, dass du fragst, ich habe darüber sinniert und könnte mir das durchaus vorstellen. Ein eleganter Satz, der nichts heißt und alles bedeutet, nämlich: Keinen Schimmer, ich weiß nur eines: Damit mag ich mich heute, morgen und die nächsten Monate fix nicht beschäftigen. Was soll ich sagen – außer: Ich hab’ mich so an ihn (und sowas) gewöhnt. Oder, frei nach Wilhelm Busch: „Ich nahm die Wahrheit mal aufs Korn und auch die Lügenfinten. Die Lüge machte sich gut von vorn, die Wahrheit mehr von hinten.“   

Er

Meine Frau erklärt sich gerne. Einerlei, ob sie über den Sinn des Seins, die Fortschritte in der Schulter-Mobilisierung oder die vergessene Marillenmarmelade spricht. Sie behält nix für sich, weshalb ich seit vielen Jahren keine Fragen mehr stellen muss. Dabei holt sie verlässlich sehr weit aus, weil es in jedem Fall stets um das große Ganze (was auch immer das sein soll) geht. Es kann also gelegentlich schon vorkommen, dass ich mich während ihrer Wortkaskaden, z. B. über die Tücken der Staubbildung, gedanklich kurz in eine andere Welt verabschiede. In der mich die Frist für die Steuererklärung, die Torflaute von Robert Lewandowski oder das Loch im Socken bewegt. Und dennoch bewahre ich mir dank Training und Routine jenes Maß an Aufmerksamkeit, das mich gerüstet sein lässt für die plötzliche Zwischenfrage: Hörst du mir überhaupt zu? „Selbstverständlich. Staub. Überall. Mühsam.“  

Reflexionen

Das Problem ihres Lebenscredos (Sagen, was ist! Fragen, was ist?) liegt in der Projektion. Gnä Kuhn hätte nämlich gerne, dass ich wie sie oder der Chefguru von „Radical Honesty“ leidenschaftlich und aufrichtig zwischen den Reflexionen lustwandle. Ich zitiere dann gerne Ernest Hemingway, der schrieb: „Zwei Jahre braucht der Mensch, um das Sprechen, ein Leben lang, um das Schweigen zu lernen.“ Und füge hinzu: „Für mich gilt, weniger reden, mehr handeln.“ Allerdings zeigt sie sich von beiden Weisheiten unbeeindruckt (das zumindest eint Hemingway und mich) und bohrt nach: Handeln also … ganz ehrlich, hast du vor, das Rauchen demnächst aufzugeben? Nach einer kurzen Stammelei (Nachdenktaktik) antworte ich quasi knüppeltschick: „Ungelogen – wenn’s passiert, wirst du es merken.“ So ein Satz hat freilich die Anmutung eines Hechtköpflers ins Piranha-Becken. Aber wie genau meine Frau dann die Metaebene des Beendenwollens zu einem Philosophicum transformiert, höre ich nicht mehr. Ich handle lieber … und flüchte zum Staubwischen. 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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