Warum sich Gegensätze anziehen und wann sich Gleiches abstößt
Ziehen sich nun Gegensätze an oder gesellt sich gerne Gleich und Gleich? Sprichwörter der Populärkultur auf dem Prüfstand.
Das Yin und Yang der chinesischen Philosophie steht für entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene duale Kräfte, die sich nicht bekämpfen, dafür aber ergänzen. In Europa glaubt man zwar nicht an Yin und Yang, doch teilt man eine ähnliche Annahme. Die ist allerdings mit den Worten "Gegensätze ziehen sich an“ zusammengefasst. Woher das Sprichwort stammt, ist unklar. Doch ein früher Befürworter dieser Theorie war der Soziologe Robert Francis Winch.
Seit der Veröffentlichung seines Artikels in den 1950er-Jahren "The Theory of Complementary Needs in Partner-Selection“ wird propagiert, dass Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften, Qualitäten und Erfahrungen einander anziehend finden. Winch begründet seine Theorie mit der Suche nach Eigenschaften, die uns selbst fehlen. Somit wird der Partner zur Ergänzung.
Auch heute noch gehen Soziologen und andere Wissenschaftler davon aus, dass Komplementarität ein Paar nicht nur interessanter macht, sondern eine ausgeglichene Beziehung schafft. Doch neueste Forschungen brechen mit der Vorstellung.
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Was euch erwartet:
Gegensätze und Wissenschaft
Ein Faktor, der alles ändert
Wie Freundschaften davon profitieren
Gegensätze und Wissenschaft
Gegensätze scheinen sich doch nicht so sehr anzuziehen, wie es das Sprichwort verspicht. Unterschiedliche Studien der letzten Jahre liefern nämlich den Hinweise auf das Phänomen der "Ähnlichkeitsanziehung“. Demnach fühlen wir uns zu den Menschen hingezogen, die uns in punkto Interessen und Eigenschaften ähnlich sind.
Eine aktuelle Studie legte offen, dass Partner im Durchschnitt fast 90 Prozent der Merkmale teilen. Im Allgemeinen waren sie in Bezug auf Alter, Bildung, Einkommensniveau und ethischer Zugehörigkeit ähnlich. Doch viel wichtiger: Sie teilten ähnliche Grundüberzeugungen und Werte.
Demnach ist die Ähnlichkeit nicht nur ein Grund für die empfundene Anziehung, sondern auch ein Indikator für eine erfolgreiche Beziehung. "Menschen, die sich ähneln, neigen dazu, sich in mehr Dingen einig zu sein, etwa in Politik und Religion, und die gleichen Kommunikationspräferenzen zu teilen“, so Karen Stollznow, Linguistin und Kolumnistin in ihrem Artikel auf psychologytoday.com. "Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Gegensätze sich abstoßen – insbesondere, wenn es um Ansichten, Werte und Charakter geht.“
Laut Stollznow können sich zwar Gegensätze durchaus anziehen, allerdings nur für kurze Dauer –insbesondere, wenn das Paar keine ähnlichen Werte teilt. "Solche Beziehungen basieren in der Regel auf flüchtiger Verliebtheit und körperlicher Chemie, aber sie führen möglicherweise nicht zur Liebe. Unterschiede können eine Initialzündung sein, doch auf lange Sicht sorgen Gemeinsamkeiten für die befriedigendste und dauerhafteste Liebesbeziehungen.“
Ein Faktor, der alles ändert
Es sind also nicht die Gegensätze, die uns anziehen, sondern die Ähnlichkeiten. Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Sogenannte "Power Paare“, also eine romantische Partnerschaft zwischen zwei äußerst erfolgreichen, respektierten und einflussreichen Personen, stoßen hier an ihre Grenzen.
Grund dafür sind laut Untersuchungen die häufig auftretenden narzisstischen Merkmale, die potenziell toxische Beziehungen fördern. Dazu zählt der Wettbewerb, der innerhalb von Machtpaaren zu einem Aufmerksamkeitskonflikt führt, und so in Feindseligkeit umschlagen kann. Aber auch das Gefühl der Vernachlässigung, das einhergeht, wenn einer der beiden mehr Unterstützung erfährt.
Wie Freundschaften davon profitieren
Eine Studie aus dem Jahr 2006 hat bewiesen, dass die Kraft der zwischenmenschlichen Chemie durch Negativität gefördert wird. Es zeigte sich, dass "Menschen ein größeres Freundschaftspotenzial in anderen sehen, die ihre negativen statt positiven Meinungen teilen“, so die Studienautoren.
Laut den Wissenschaftlern führen gemeinsame Abneigungen zu Gefühlen der Nähe und Solidarität. Das trägt dazu bei, eine stärkere soziale Bindung aufzubauen. "In manchen Fällen kann das Ausdrücken und Teilen von Abneigungen für Menschen eine Möglichkeit sein, ihre Gefühle und Perspektiven zu bestätigen“, heißt es seitens der Forschenden.
Oftmals würden Abneigungen einen einfacheren Einstieg in ein Gespräch ermöglichen. "Wenn sich Einzelpersonen über gemeinsame Abneigungen hinwegsetzen, finden sie möglicherweise Trost in gemeinsamen Frustrationen oder Herausforderungen, was zu einem unmittelbaren Gefühl des Verständnisses und der Empathie führt.“ Weiter: "Diese gemeinsame ‚Negativität‘ kann auch einzigartige Bindungen schaffen, die es den Menschen ermöglichen, sich gehört und akzeptiert zu fühlen, da sie möglicherweise eine Bindung zu jemandem suchen, der in bestimmten Dingen genauso denkt.“
Doch die Forschenden warnen auch. Denn im Gegensatz zu Freundschaften, die auf Gemeinsamkeiten positiverer Art basieren, sind all jene, die auf Bindung über eine gemeinsame Abneigung fußen, möglicherweise nicht langlebig. "Zu einer gesunden und ausgeglichenen Freundschaft oder Beziehung gehört eine Mischung aus beiden“, heißt es abschließend.
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