Diorama Manufaktur Winkler & Zink

Dioramen: Zwei Wiener Künstler stecken die Welt in eine Schachtel

Marko Zink und Gerd Winkler fertigen Miniatur-Schaukästen voll schwarzen Humors. Elfriede Jelinek ist ein Fan. Ein Atelierbesuch.

Den Körper angespannt wie eine Feder, Arme voran, kopfüber hinein ins Glück. Auf einem Bild in Schwarzweiß köpfelt ein Turmspringer gekonnt vom Zehn-Meter-Brett hinab ins kühle Nass. Ein göttlicher Anblick. Doch die Aufnahme steht nicht allein für sich selbst. 

Sie wirkt als Kulisse für ein Männlein, das als Figur vor dem Bild steht, gerade als wäre es aus der Fotografie herausgetreten. Und die sieht mehr nach Gänsehäufel aus als nach Olympia. Im rot geringelten Badeanzug und fast vorwurfsvoll sieht es einen an, auf was dem Betrachter denn einfiele, die Szenerie zu stören. Ein Spiel mit den Gegensätzen. Kult statt Körper, Schmerbauch vor Sportler: begnadete Körper, allzu menschlich.

Diorama Manufaktur Winkler & Zink

Menschlicher Badegast vor gottgleichem Turmspringer: Diorama aus der Manufaktur Winkler & Zink. Name des Modells: „Freischwimmer“

©Kurier/Barbara Nidetzky

Lust an der Illusion

Gerd Winkler, ruhiges Gemüt, verschmitztes Lächeln, Streifenshirt, und Marko Zink, übersprudelndes Temperament, Dreitagesbart, stehen in ihrem Atelier zwischen Dias, Pinseln und Bildern und grinsen. Sie wissen, das Turmspringer-Exemplar ist eine Szenerie, die typisch ist für ihre Miniaturen, die sie unter dem Namen Diorama Manufaktur Winkler & Zink fertigen. 

Diorama Manufaktur Winkler & Zink

Mit Pinsel und Pinzette: „Wir wollen vergessene Motive wiederbeleben und neu zum Leuchten bringen“ - Gerd Winkler (vorne) und Marko Zink 

©Kurier/Barbara Nidetzky

Mit präzisem Blick und viel Fingerspitzengefühl handfertigen die Künstler verwirrend schöne Schaukästen, in denen sie alte Welten einfangen und neue entwerfen. Gerne exotisch, am liebsten doppeldeutig und mit Hintersinn, angespornt von zärtlicher Poesie und schwarzem Humor.

 

„Uns fasziniert am Diorama die Lust an der Illusion – und wie es auf kleinem Raum imstande ist, unsere Fantasie anzukurbeln“, erklärt Zink und man merkt, hier sind Enthusiasten am Werk. Ihn reizt das Paradoxon, das die Miniaturen herstellen: Ein Bild, eine Zeit, eine Stimmung werden darin konserviert und zugleich mit einer anderen Zeitebene verschränkt. Die vor die Glasfotos mit der Pinzette eingesetzten Figürchen machen die neue Welt dann plastisch – und ziehen den Betrachter fasziniert in ihren Bann.

Daguerre war Pionier

Doch was ist ein Diorama eigentlich? Anfangs eine riesige, durchscheinende Leinwand, erfunden 1822 vom Foto-Pionier Louis Daguerre und dem Panoramamaler Charles-Marie Bouton. Eine große Schaubühne – kunstvoll beleuchtet erzeugte sie die Vorstellung, sie wäre von Leben erfüllt.

Später wanderten die Dioramen in naturhistorische oder technische Museen, wo man sie als dreidimensionale Darstellungen bestimmter Ereignisse bewundern konnte, von der Nordpolexpedition von Amundsen bis zu den Steppenzebras in Afrika.

Mit einem Hamster fing es an

Die große Welt, sie wirkt aber auch im Kleinen, einst als Kinderspielzeug mit Stichen berühmter Bilder oder als veranschaulichende Beigabe zu Büchern.

Heute ist das Diorama jedoch eine beinahe vergessene Kunst. Sicher, Walter Potter, der Tierpräparator und Monteur wundersamer Welten, die von Kätzchenhochzeiten und Kaninchenschulen erzählten, ist Kennern ein Begriff. Und die Fotos von Hiroshi Sugimoto wirken hyperreal. Doch in Zeiten von Digitalkunst und Reizüberflutung ist das Diorama hinreißend veraltet. Umso erstaunter reagierten Zink und Winkler, wie begeistert ihre Arbeit sofort aufgenommen wurde. Schuld daran: ein Hamster.

Diorama Manufaktur Winkler & Zink
©Kurier/Barbara Nidetzky

Weil die Schwägerin des verheirateten Künstlerpaares ihre Doktorarbeit über Feldhamster geschrieben hatte, suchten sie zur Promotion ein besonderes Geschenk. Da sie nichts thematisch Passendes finden konnten, bastelten sie ihr erstes Diorama – und ernteten Begeisterung. Heute stellen sie seit 17 Jahren handgefertigte Dioramen her. Winkler war früher Schaufensterdekorateur, betreibt heute mit Rebel Candy Hearts ein Schmucklabel. Zink ist ein international anerkannter Kunstfotograf

Wie besessen sammeln sie auf Flohmärkten alte Glasfotografien und -Dias, restaurieren sie, kolorieren sie neu und reproduzieren sie. Für ein Diorama benötigen sie ungefähr eine Woche, jedes erhältlich in einem nachhaltigen Holzrahmen von 12x12 cm und zum Preis von 240 Euro. 

Diorama Manufaktur Winkler & Zink

Eingerahmt: Winkler und Zink in dessen Bundesatelier in Wien-Hernals. „Jedes Diorama erzählt eine Geschichte“

©Kurier/Barbara Nidetzky

Werke mit Witz

Marko Zink sucht die teuren Glasfoto-Hintergründe aus der Zeit von 1880 bis 1930 aus. Gerd Winkler koloriert sie mit ruhiger Hand und setzt in die Boxen die Modellfigürchen ein, denen er zuvor mitunter einen Schnurrbart ins Gesicht oder einen Kringel aufs Kleid gemalt hat. Dazu werden Böden und Verzierungen hinein geklebt. Und er denkt sich eine Szenerie aus.

Das Ergebnis sind Werke mit Witz, etwa Katzen am Rande des Nervenzusammenbruchs oder auf Riesenbananen tanzende Äffchen. Einmal fungiert als Hintergrund eine opulente Eislandschaft samt Wasserfall. Davor zu sehen sind ein Gelato-Stand und ein Mann, der einem Pinguin ein Eis verkauft. Titel des Dioramas: „Ist das Eis eh vegan?“

Diorama Manufaktur Winkler & Zink

Atelierbesuch: Redakteur Alexander Kern beim Wiener Künstlerduo

©Kurier/Barbara Nidetzky

Andere Arbeiten verweisen auf Kino oder Literatur, etwa „20.000 Meilen unter dem Meer“ oder „Lovestory“. Das gefällt, wie etwa der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. So sehr, dass sie sogar selbst in die Geschichte ihres Dioramas eingreifen wollte. Höflich fragte sie bei Winkler und Zink an, ob sie den Schaukasten öffnen dürfe, um darin tätig zu werden. Sie durfte. 

Aufgeregt setzte sie die Künstler alle 20 Minuten von den Fortschritten ihrer Umgestaltung in Kenntnis. Und stellte dem bereits darin befindlichen Hasen einen eigenen aus ihrem Besitz zur Seite, auf dass dieser sich nicht länger einsam fühle. Seitdem sitzt Jelineks „Peppino“ in Gesellschaft hinter Glas. Vermutlich grinst er dabei ebenso verschmitzt wie das Künstlerduo zuvor in ihrem Atelier.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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