"ÜberLeben": Noch einmal die Zunge zeigen
Vor 40 Jahren sah ich mein erstes Stones-Konzert. Jetzt bin ich wieder 14.
Mein Sohn sagt, er fühle sich alt. In seinem Kopf sei er noch 16, sein Körper wisse, er sei 23. Ich möchte lachen, aber ich sehe ihm an: Er meint das ernst. „Glaubst du, mit 54 ist das anders?“, sage ich. Mein Sohn ist übrigens Leistungssportler und besteht nur aus Muskeln.
Ich fühle mich gerade wieder wie 14. Vor 40 Jahren hielt ich die Eintrittskarte für mein erstes Rolling-Stones-Konzert in der Hand und konnte vor Aufregung kaum noch stehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Wochen bis zum Konzert ertragen sollte, ohne aus Vorfreude den Verstand zu verlieren. Ich überbrückte die Zeit, indem ich mir mein eigenes Tour-Shirt bastelte: Ich malte die rote Stones-Zunge auf ein weißes Unterleiberl, ganz langsam, jeden Tag nur ein paar Striche, damit ich nicht zu früh damit fertig wurde. Ich übte mit dem Tennisschläger meines Vaters vor dem Spiegel die unvergleichlich lässigen Gitarrenposen von Keith Richards, den ich bis an und über die Grenze zur Lächerlichkeit verehrte.
Am 3. Juli 1982 schließlich fuhr ich ins Wiener Stadion, getragen vom heiligen Ernst einer Pilgerschaft: Ich wusste, ich würde mich im selben Raum befinden wie SIE. Ich würde die gleiche Luft atmen wie Mick Jagger und Keith Richards.
Das Konzert war dann beeindruckend schlecht: Mick Jagger wirkte desinteressiert, Keith Richards sah aus, als sei er kurz vor der Show in seinen Chemiekasten gefallen, und hielt sich verzweifelt an seiner Gitarre fest, die Lieder hatten entfernte Ähnlichkeit mit einer Stones-Platte, die mit falscher Geschwindigkeit abgespielt wurde.
Nachher hatte ich etwas Wichtiges gelernt: Das Leben ist kein Kindergeburtstag, sondern wie ein Stones-Konzert. Manchmal ist es großartig, manchmal fad und manchmal auch völlig daneben (und ich habe viele Konzerte von ihnen gesehen).
Mein Sohn hat übrigens am gleichen Tag Geburtstag wie Keith Richards. Und im Juli ist wieder Stones-Konzert im Stadion.
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