Bester Koch Italiens: Warum die Pasta nicht al dente sein soll
Riccardo Camanini über das Geheimnis der italienischen Küche: Warum es um Textur statt al dente geht, nicht zu viel Ei in die Nudel darf und welch große Bedeutung der Weizen hat.
Er gilt als neuer Stern am europäischen Kulinarikhimmel: Riccardo Camanini hat sich als stärkster Neueinsteiger in die Rangliste der besten Restaurants der Welt gekocht und gilt damit nun auch als bester Koch Italiens. Gerechnet hat der 49-Jährige damit nicht. Seit einigen Jahren hat er sich ohne großes Aufsehen, aber mit umso mehr Engagement in lichte Sternehöhen gekocht. Bereits 2019 setzte ihn die Jury der „The World’s 50 Best Restaurants“ mit dem „One To Watch Award“ in Szene, beim aktuellen Rating ist das „Lido 84“ nun als bester Neueinsteiger gelistet. Und nicht wenige Gastrokenner meinen, das sei erst der Anfang.
Sein Zugang zur Kulinarik ist durchaus ungewöhnlich und deshalb nicht minder intensiv diskutiert – so etwa auch seine Meinung zum Gargrad der Pasta. Es gehe vielmehr um die Textur. Die Bissfestigkeit – so Camanini – könne man auch anders erreichen, als mit gerade noch nicht fertig gekochten Nudeln. Dazu hat er experimentiert, wie er im Interview erzählt und darin weitere kulinarische Missverständnisse der italienischen Küche aufklärt.
Ungewohnt, denn ich habe nie Wert auf Wettbewerbe gelegt. Aber ich bin glücklich, die Auszeichnung erhalten zu haben, sie ist auch ein Lob an die talentierten Kollegen rund um mich.
Ich probiere viel aus, experimentiere – und ich lese. Eine Menge. Ich habe eine Sammlung von Büchern über Gastronomie, die das alte Wissen beschreiben und dokumentieren. Im Grunde geht es beim Kochen um das Bewusstsein seiner einzelnen Teile: den Wert der Zutaten, dem Folgen des Instinkts, dem Aufsaugen von Informationen und die Freude am Experimentieren.
Italien ist berühmt für Teigwaren, von Penne bis Fusilli. Was ist das Geheimnis echter, guter italienischer Pasta?
Das ist eine sehr schwierige Frage.
Weil es darum geht, Pasta nicht nur zu essen, sondern verstehen zu lernen. Und dafür muss man eine Menge davon verspeisen, pur, aber auch im Zusammenspiel mit den Zutaten. Am besten nur mit Oliven-Öl und Parmesan, dann kann man die einzelnen Aromen besonders gut schmecken. Dazu vielleicht eine kleine Bruschetta. Wenn ich lernen will, die perfekte Sachertorte zu backen, muss ich mich in Wien wochen- oder vielleicht sogar monatelang durchkosten, um nur einen Funken Ahnung davon zu bekommen.
(lacht) Nein, mamma mia. Aber ich bleibe dann doch lieber bei Pasta.
Es geht zuerst einmal um die Zutat per se, also um den Weizen, der in der Pasta verarbeitet ist. Da ist es bereits ein bisschen wie beim Wein: Die Klimabedingungen der jeweiligen Saison haben Einfluss auf den Geschmack. Daher werden manchmal bereits Mischungen gemacht, wie beim Wein, um einheitlichen und konstanten Geschmack zu bieten. Aber man kann ja auch Pasta selbst machen oder Nudeln aus bestimmten Regionen kaufen. Auch geht es um den Anteil der Proteine im Weizen (Der Proteingehalt ist bei Weizen ein Schlüsselparameter, da er mit vielen für die Verarbeitung wichtigen Eigenschaften, wie der Aufnahme von Wasser, zusammenhängt, Anm.). Ich persönlich bevorzuge biologischen, sizilianischen Weizen, weil dieser viele Proteine enthält, die der Pasta Aroma und Farbe geben.
Auch da gibt es Unterschiede. Für intensive Saucen, wie bei Pesto oder Carbonara, braucht man Pasta mit wenig Stärke, am besten Pasta mit Weizen aus nördlicheren Regionen Italiens verwenden – dort ist auch das Wasser „trockener“. So werden die Nudeln weniger klebrig.
Immer öfter setzen Pasta-Produzenten darauf, ihn zu erhöhen. Ja, aber das ist Unfug, es macht in meinen Augen keinen Unterschied. Früher, als ich Kind war, gab es ein paar Rezepte, die in etwa so lauteten: ein Kilo Weizen, zwei Eier und Wasser. Eier waren teuer, daher hat man damit gespart. Dann, als viele Menschen wohlhabender wurden, begannen Köche, den Anteil der Eier zu erhöhen. Wichtig ist für den Geschmack meiner Meinung nach aber nur, dass die Eier frisch sind.
Dass die Nudel al dente sein soll.
Ja, aber es ist ein Fehler! Wenn die Pasta noch nicht ganz gekocht ist, ist sie noch zu roh – und demnach schwer zu verdauen. Also habe ich recherchiert und überlegt, wie man dieselbe Textur in der Nudel erreicht, ohne sie al dente zu kochen.
Ich habe trockene Nudeln bei exakt 85 Grad 12 Stunden lang gedämpft, sodass die Kohlenhydrate aufgeweicht wurden. Dann habe ich sie für weitere 12 Stunden in den Kühlschrank gegeben, so begann ein Prozess namens Retrogradation: Die Kohlenhydrate beginnen dabei, Feuchtigkeit zu verlieren und zu „karamellisieren“. Dadurch bekommt die Pasta wieder die zähe Konsistenz. Wenn man den Vorgang sieben Tage lang wiederholt, entstehen Nudeln, die durchgehend einen gleichmäßigen Biss haben und dennoch leicht verdaulich sind.
Nein, aber es zeigt, dass es Wege gibt, es besser zu machen als al dente. Wichtig fürs Kochen mit Trockennudeln ist außerdem, auf die Zeit zu achten, wie lange die Pasta in Kontakt und Verbindung mit heißer, kochender Sauce ist. Das kann den perfekten Gar-Zeitpunkt verändern.
Generell ist Pasta, die zusammen mit der Sauce gekocht wird, immer besser. Also am besten die letzten fünf Minuten, bis die Nudeln gerade frisch durchgegart sind, mit der Sauce in einem großen Topf vereinen. Bei Vongole oder Miesmuscheln auch etwas Wasser zu der Pasta gießen. Dann aber gleich servieren, sonst werden die Nudeln klebrig wie Risotto.
Ganz und gar nicht. Viele glauben, Pasta sei Pasta – aber nein. Kurze Pasta kann Sauce und Pesto besser aufnehmen, ich bevorzuge bei meinen Gerichten Rigatoni, auch für meinen Signature Dish.
Cacio e pepe, ein Klassiker aus Italien.
Stimmt, eigentlich besteht er nur aus drei Zutaten: Pasta, Pecorino und schwarzem Pfeffer. Ich aber bereite das Gericht in einer Schweinsblase zu. Eine aufwendige und vom Aussterben bedrohte Technik aus Frankreich, in den Restaurants von Paul Bocuse gibt es sie aber auch noch. Die Intensität des Aromas, die in der Blase entsteht, gelingt nur bei dieser Garmethode.
Das „Lido 84“ hat den 15. Platz der Rangliste der aktuellen „World’s 50 Best Restaurants“ erklommen. Sieger wurde das „Noma“ in Kopenhagen, das Wiener „Steirereck“ ist auf Platz 12.
Oft ist es viel zu viel. Es geht nämlich auch darum, den Geschmack des gekochten Weizens nicht zu überdecken. Aber da gibt es keine Matrix, man muss das richtige Verhältnis fühlen – indem man es immer wieder ausprobiert und austariert.
Dort ganz besonders! Da geht es darum, die Pasta nicht zu trocken, aber auch nicht zu cremig zu machen. Und, mamma mia, bitte kein Schlagobers! Das macht die Spaghetti nicht cremiger, auch wenn viele das glauben. In einer echten Carbonara dominiert der Geschmack der Guanciale, also eines luftgetrockneten, ungeräucherten Schweinespecks. Wichtig ist außerdem, die aufgeschlagenen Eier in den Topf zu gießen, wenn die Pasta bereits zugegeben wurde – die Eier also mit den Nudeln kochen zu lassen. Dabei immer wieder rühren, damit die Eier nicht stocken, und dann, im richtigen Moment – wenn die Pasta gerade gar wurde – die Temperatur zu senken.
Ja, es wird sogar je nach Region bereits abgewandelt.
Nein, ich finde das ist unser neuer Reichtum. Ich meine sogar, die italienische Küche könnte zur besten Gastronomie der Welt werden, weil wir eben so viele verschiedene Gebiete haben, die alle ihre eigenen Traditionen verfolgen. Also gibt es nicht mehr die eine Carbonara, es gibt viele.
Olivenöl, Mozzarella, Paradeiser.
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