Zeitenwandel: Der Christbaum wandert in die Advenzeit

Immer häufiger wird der Christbaum bereits Anfang Dezember aufgestellt – auch in Österreich. Dazu kommt ein Trend zum Zweitbaum

Die Christbaumkugeln schon im November vom Dachboden oder aus dem Keller holen? Die Nordmanntanne bereits an den ersten Dezembertagen nach Hause transportieren, vielleicht sogar ins benachbarte Niederösterreich fahren, wenn die Wiener Christbaum-Verkaufsstellen noch nicht offen haben? Und den Christbaum schon in der Adventzeit aufputzen?

 

Freilich, der Großteil der rund 2,8 Millionen Christbäume wird in Österreich auch heuer am Heiligen Abend aufgestellt werden. Schließlich bringt der Tradition nach das Christkind den Christbaum. Aber dennoch macht sich in den jüngsten Jahren ein neuer Trend bemerkbar, den man aus der englischen oder amerikanischen Vorweihnachtszeit kennt, wo die dekorierten Weihnachtsbäume, wirkungsvoll an den Wohnzimmerfenstern positioniert, schon in der Adventzeit die dunkle Umgebung erhellen.

Vor dem ersten Adventwochenende

In Oberösterreich zeigen die Zahlen der Wirtschaftskammer, dass rund 14 Prozent den Baum zumindest eine Woche bis zu ein paar Tagen vor dem großen Fest aufputzen. Das kann Josef Reithner, der neue Obmann der Arbeitsgemeinschaft nö. Christbaumbauern, bestätigen: "Viele stellen die Bäume schon vor dem ersten Adventwochenende auf, um möglichst lange Freude an ihnen zu haben.“ Und auch dem Christbaumverkäufer Karl Drexler von Sulz im Wienerwald ist aufgefallen, dass immer mehr Kunden ihren Baum bereits zu Beginn des Advents kaufen. "Ich habe“, räumt er ein, „zwar auch viele ausländische Kunden, aus den USA oder aus Südamerika.“ Doch er könne ganz insgesamt einen eindeutigen Trend zum früheren Christbaumkauf feststellen.

©APA/BARBARA GINDL

Deutscher Adventbaum

Bei den deutschen Nachbarn ist das Phänomen bereits um einiges verbreiteter. Eine Umfrage des Portals „Statista“ unter 784 Deutschen ergab: Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, den Baum schon Anfang bis Mitte Dezember aufzustellen. Bei knapp einem Drittel wird dieser traditionell wenige Tage vor dem Heiligen Abend platziert. Nur mehr jeder Achte wartet mit dem Schmücken bis zum 24. Dezember. Mit dem frühen Aufputz kommt auch ein zeitigeres Abräumen: Bereits 30 Prozent entsorgen den Baum noch während der Feiertage, immerhin 22 Prozent warten bis zum 6. Jänner.

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Das Abwenden von der religiösen Tradition scheint übrigens nicht nur dem Vorbild amerikanischer Weihnachtsfilme zu entstammen. Das frühe Schmücken ist oftmals eine Maßnahme gegen die Dunkelheit der Wintermonate.

Glücksbringer Licht

Für die Wiener Psychologin Cornelia Ehmayer ergibt das Sinn: Lichtmangel könne zu depressiven Verstimmungen führen und der beleuchtete Baum dem entgegenwirken. "Er holt die positiven Gefühle hervor, die man mit dem Weihnachtsfest verbindet, die Wärme, die Gemütlichkeit.“ Nostalgie motiviert und löst Glücksgefühle aus.

Zum Seh- kommt aber auch der Geruchssinn, der herb-süßliche Duft des Nadelbaums, der einen beim Betreten der Wohnung entgegenströmt und die Vorfreude entfacht. 

Der Geruchssinn ist stark mit dem limbischen System verbunden. Wenn wir einen bekannten Duft riechen, kann das Szenen von früher heraufbeschwören.

Cornelia Ehmayer Psychologin

Um den frischen Duft möglichst lange zu genießen, stellen immer mehr den Baum ins Wasser. Und um kein Feuer zu riskieren, wird der Adventbaum eher mit Lichterketten erhellt (die Kerzen sind dann doch dem Heiligen Abend vorbehalten).

Der Nachbar merkt’s

Ein zeitig dekorierter Christbaum hat übrigens einen Effekt auf die Umgebung. Laut einer Studie, die bereits 1989 im Journal of Environmental Psychology veröffentlicht wurde, wirken Personen, die ihre Wohnungen und Häuser weihnachtlich schmücken, freundlicher auf ihre Mitmenschen.

Während manche Österreicher zwar die frühe Weihnachtsstimmung genießen, sich aber von der alten Tradition doch nicht ganz lösen möchten, wächst ein Trend zum Zweitbaum. In Niederösterreich entscheiden sich drei Prozent für eine zusätzliche Tanne. Der eine Baum wird schon Anfang Dezember vielleicht gemeinsam mit den Kindern geschmückt und als Adventdekoration präsentiert. Doch dann gibt es noch den anderen, den richtigen Christbaum. Diesen bringt bei den meisten weiterhin das Christkind am Heiligen Abend.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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