Farben und Psyche: Warum wir manchmal schlecht gelaunt sind

Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger erklärt, wie Trendfarben und eintönige Räume auf unser Gehirn wirken.

Peach Fuzz, die Farbe des Jahres, soll für den Moment der Stille stehen und ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit ausdrücken. Wie schätzen Sie als Psychologe den Farbton ein?

Harald Deinsberger-Deinsweger: Offen gesagt ist mir keine Studie zu dieser speziellen Farbe bekannt. Was sich aber aus den bisherigen Studien ableiten lässt, ist, dass zarte Farbtöne im Vergleich zu kräftigen tendenziell beruhigend wirken. Stärke Farbtöne können eine umso stärkere emotionale Erregung erzeugen. Wenn ich den Farbton richtig deute, dann besteht er aus gelblichen und rötlichen Tönen: Gelbliche Farbtöne wirken anregend und entspannend, aber rötliche Farbtöne fordern eher zur Aktivität und wirken eher aufregend. Das Thema Stille und Ruhe kann ich jedenfalls nicht aus Studienergebnissen ableiten: Ich würde vermuten, dass die Farbe moderat anregend ist, aber ich kann sie nicht mit Stille und Ruhe assoziieren.

Freuen Sie sich, wenn Farben in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken oder wird das Thema zu sehr mit Marketing-Aspekten vermischt?

Die Intention ist zwar Marketing, aber das macht nichts. Als Wohnpsychologe finde ich es nicht schlecht, wenn Farben ins Spiel kommen. Der Trend zu Weiß und Grau ist problematisch, denn es braucht mehr Mut zur Farbe. Diskussionen über neue Farbtöne können hilfreich sein – Farben müssen aber auch zu unserem Bedürfnis und unserer Persönlichkeit passen. Die zentrale Empfehlung von Wohnpsychologen lautet daher, sich nicht nach Trends zu richten, sondern das Gestaltungskonzept für einen Raum nach eigenen Bedürfnissen abzustimmen. Was aber nicht heißt: Einen Raum ausschließlich mit seiner Lieblingsfarbe zu gestalten – Monochromie ist heikel. Es braucht eine Kombination aus unterschiedlichen Farbtönen und Farbakzenten, weil unser Gehirn Nahrung braucht, um richtig zu funktionieren.

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Also mehr Farbe in den Wohnräumen?

Ruhig mit Farben in der Wohnung experimentieren – und da kann dann auch Peach Fuzz in den Raum einfließen, wenn es jemand möchte. Viele glauben, dass Weiß – ich nenne es gerne Unsicherheits-Weiß - in Wohnräumen und Büros passt, weil es neutral sei. Das stimmt nicht: Unser Gehirn braucht Stimuli von außen, damit es sich von Baby an überhaupt entwickeln und weiterentwickeln kann. Stimuli sorgen für Entspannung, bessere Konzentration, Motivation und haben positive Effekte auf unser Kommunikationsverhalten. Zu monochrome Räume führen auf Dauer zu Mangelerscheinungen wie Unruhe, Unwohlsein, Gereiztheit oder Konzentrationsproblemen.

Wenn wir einen stimmungsarmen Raum betreten, kann es durchaus sein, dass wir diesen während zu Beginn für zehn bis 30 Minuten als entspannend empfinden – insbesondere nach einem stressreichen Tag mit vielen Eindrücken und Kontakten, aber irgendwann setzen diese genannten Symptome ein. Diese Mangelerscheinungen kennen wir alle, aber wir bringen sie selten mit den Räumen in Zusammenhang. Stimuli wirken unterschwellig im Hintergrund, da kommt die Raumgestaltung ins Spiel.

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Auch wenn Sie sagen, dass es nicht nur um Farbwahl geht: Kann man Farben in gute und schlechte einteilen? Sind schwarze Wandfarben per se deprimierend und beige Töne per se entspannend?

Bei Schwarz würde ich das nicht sagen, höchstens dass Schwarz einen Raum kleiner macht. Schwarz kann in manchen Fällen beruhigend wirken. Was auf Dauer depressionsfördernd sein könnte, ist eine sensorische Isolation. Auch Räume mit einem Mangel an Stimuli können depressionsfördernd sein. Aus Studien weiß man, dass bestimmte Farbtöne wie Grün- Blau- oder Gelbtöne – hier könnte man das Beige hineininterpretieren - entspannend wirken können. Weiß- und Grautöne haben weniger Stimuli.  Generell gilt, dass der Effekt von Farben laut Studien am Anfang am stärksten ist und dann abnimmt. Es gibt also einen starken Gewöhnungseffekt und wir neigen dazu, die Wirkung von Farben zu überschätzen, weil wir von der Beurteilung im ersten Moment ausgehen.

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Dennoch eine Nachfrage zu Beige: Es gab in den vergangenen Jahren den skandinavischen Einrichtungs-Trend mit beigefarbenen Kinderzimmern. Die richtige Wahl für ein Kinderzimmer?

Es ist nie ratsam, einen Raum monochrom einzurichten. Aber nach dem bisherigen Forschungsstand wirkt sich Beige nicht negativ auf unsere Psyche aus, da Beige aus hellen Brauntönen oder Gelbtönen besteht. Es spricht also nichts gegen Beige, aber genauso wichtig sind andere Faktoren wie die Struktur: Holz unterstützt eine positive Wirkung.

Stimmt der Grundgedanke: ein Schlafzimmer sollte beruhigend auf unsere Psyche wirken, ein Wohnzimmer anregend?

Für mich als Wohnpsychologe stehen bei einem Schlafzimmer die Gefühle der Geborgenheit und der Sicherheit im Vordergrund, das lässt sich durch viele Gestaltungselemente unterstützen. Das Gefühl der Geborgenheit geht auch mit dem Stimulationsniveau des Raumes an sich einher: Harmonische und ruhige Farbtöne sind genauso wichtig wie Materialien aus Holz und Textilien, die dem Gefühl der Geborgenheit näherkommen. Es geht auch um das sensorische Kontaktgefühl, wie unsere Sinne den Kontakt zum Wohnraum aufnehmen, vielleicht auch wie der Raum zum Berühren einlädt.

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Also Pölster oder Kuscheldecken zum Dekorieren?

Es eignen sich Pölster oder auch Bodenmaterialien wie ein flauschiger Teppich oder ein angenehmer Holzboden, der spürbar ist und nicht zu lackiert. Was abträglich ist, ist, wenn ein Schlafzimmer aus lauter, kalten harten Materialien besteht. Ein Schutzbunker erfüllt zum Beispiel alle Schutzkomponenten, aber man fühlt sich nicht geborgen. In der Wohnpsychologie geht es immer um die Frage, welche Bedürfnisse der Raum erfüllen soll. Wenn Kommunikation mit Familie und Freunden stattfinden soll, kann der Esstisch ein Kommunikationsplatz als gestalterisches Element sein. In einer heute typischen Wohnküche wird im Regelfall der Esstisch für Kommunikation stehen und der Wohnbereich für Entspannung. Je nachdem, was man erfüllen will, gibt es gestalterische Elemente.

Wie lässt sich Entspannung erreichen?

Durch das Wahrnehmen von Natur: Wenn möglich, den Esstisch so positionieren, dass der Blick nach Draußen möglich ist. Wenn das nicht möglich ist, Pflanzen optimal positionieren. Was bei modernen Wohnungen häufig zu kurz kommt, ist die akustische Qualität des Raumes. Weil Materialien im Trend liegen, die schallhart sind, hallt es und die Kommunikationsbereitschaft lässt eher nach. Hier lassen sich Materialien für die Wand oder die Decke wählen, die Schall eher schlucken und ein angenehmes akustisches Ambiente schaffen. Settings mit einem Stimuli-Mangel wirken nicht kommunikationsfördernd, sondern fördern eher Gereiztheit. Unsere Stimmung wird unterschwellig beeinflusst. Je länger wir uns dort aufhalten, desto stärker.

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Wenn ich mit meinem Partner diskutiere, dann am besten am Esstisch mit Blick auf die Zimmerpflanze?

Am besten wäre Bewegung im Grünen. Wenn man mit dem Partner im Wohnraum schwere Themen zu diskutieren hat, dann eher ein Setting auf der Terrasse oder am Esstisch Richtung Grün wählen. Man muss nicht ständig in die Natur blicken! Wir machen kognitive Pausen beim Arbeiten und Sprechen: Wissenschafter haben herausgefunden, dass es nicht egal ist, wo man in diesen Minipausen hinschaut. Aus evolutionärer Sicht ist es hilfreich, wenn unser Gehirn in die Natur schauen darf, weil es auf ein natürliches Stimulationsniveau hin abgestimmt ist – das können eben auch Zimmerpflanzen oder auch Naturmotive, also Kunst, sein. Das belegen Studien. Farben, Kontraste und unterschiedliche Materialien verstärken die positive Wirkung. Das heißt, man kann gerne auch Weiß oder Grau verwenden, aber eben nicht ausschließlich.

Seit 2020 arbeiten viele Arbeitnehmer immer wieder im Homeoffice: Eigentlich müssten unsere Wohnräume anregender für Denkarbeit sein als sterile Büros, oder?

Es kann durchaus der Fall sein, dass die Wohnung besser gestaltet als das Büro ist. Normalerweise hat man zu Hause mehr Möglichkeiten, den Wohnraum kognitiv ansprechend zu dekorieren. Natur, ob der Blick in den Park oder auf die Zimmerpflanzen, hat eine paradoxe Doppeleigenschaft: Sie ist beruhigend und anregend zugleich – ideal für kognitive Tätigkeiten aller Art. Manche glauben, dass Zimmerpflanzen entspannend wirken, weil sie grün sind – die Farbe Grün wirkt zwar auch entspannend, aber dieser Effekt lässt wie erklärt nach. Die positive Wirkung von Pflanzen ist laut Studien hingegen dauerhaft! Weil Pflanzen eine Vielfalt von sensorischen Qualitäten wie unterschiedliche Schattierungen, Strukturen und Distanzen bieten: Jede Pflanze sieht aus jedem Blickwinkel anders aus. Die Natur ermöglicht somit Komplexität und Vielfalt – alles, worauf unser Gehirn abgestimmt ist. Mit Zimmerpflanzen kann man nichts falsch machen.

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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