Der Wald als Ort der Magie, des Bösen oder der Entspannung

Der Wald galt lange als Ort der Gefahr, der Ungeheuer und Lebensfeindlichkeit. Wer ihn zum Sehnsuchtsort machte, und warum ein Besuch gesund ist.

Jetzt im Herbst treibt es die Menschen wieder hinaus in die Wälder. Die warmen Farben der Blätter bei Sonnenschein, das schon herabgefallene Laub, das bei jedem Schritt raschelt. Und ab und zu lässt sich auch jemand beim Umarmen eines mächtigen Stamms ausmachen. So ein Wald gilt halt als ungemeiner Kraftort. Und das nicht erst, seitdem ein verhaltenskreativer Ex-Politiker kokett mit dem Image des „Bäume-Umarmers“ gespielt hat.

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Schon bei den Germanen ist die Linde etwa der Liebesgöttin Freya geweiht, die Eiche dem Donnergott Thor. Ihre Gläubigen selbst bringen in ihren heiligen Hainen Opfer dar. Bei den Nordgermanen verbindet die Esche „Yggdrasil“ Himmel, Erde und die Unterwelt – ihre Krone stützt den Himmel. Eine tragende Rolle in der Mythologie, quasi. Mit dem Aufkommen des Christentums verschwindet der Wald als heiliger Ort. Denn Bäume gelten als Götzen, und solche sind laut Altem Testament verpönt. Die Apologeten der neuen Religion halten sich – zumindest anfangs – daran. Karl der Große höchstselbst soll in Sachsen 772 den Befehl zum Fällen eines heiligen Baums gegeben haben.

Damit ist es für einige Jahrhunderte vorbei mit dem Sehnsuchtsort Wald. Hier lauern eher die Räuber, Bären und gar Ungeheuer.

Drachentöter Siegfried und Robin Hood

Und deren Bezwinger sind rar gesät. Da muss ein unerschrockener Bursch wie Siegfried aus dem Nibelungen-Universum kommen, der dort einen Drachen tötet und in dessen Blut badet. Und schon der römische Geschichtsschreiber Tacitus weiß von dem Gebiet östlich des Rheins zu berichten, dass es „durch seine Wälder grauenerregend“ ist. Der Sherwood Forest ist zunächst noch kein Ort, in den man sich träumt.

Robin Hood gilt im Spätmittelalter als wüster Wegelagerer, der mit Geistlichen und Adeligen grausam verfährt. Erst später gilt er als Mann der sozialen Gerechtigkeit – sein Leben im Wald ist etwas, das durchaus erstrebenswert ist. Nette Gesellschaft, frische Luft und Freiheit vom Gesetz.

Eine Robin-Hood-Statue in Nottingham. Der Held aus dem Sherwood Forest wurde nicht immer positiv gesehen.

©APA/AFP/DARREN STAPLES

Selbst Dichterfürsten sind nicht immer vollends angetan vom vielen Dickicht. Zwar warten in Goethes Ballade Erlkönig dort dessen „schöne Töchter“ auf den „feinen Knaben“ – für den Buben geht es nicht gut aus. Da kann es im berühmten Nachtlied „Über allen Gipfeln ist Ruh‘“ noch so harmonisch „in allen Wipfeln“ sein.

Romantische Waldeinsamkeit

Ludwig Tieck prägt erstmals in seinem Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ (1797) den von ihm positiv gemeinten Begriff der „Waldeinsamkeit“. Dieser wird zu einem der Schlüsselwörter der Romantik. Die Natur wird beseelt, der Wald wird auch in der Malerei und anderen Künsten identitätsstiftend. „Der Wald wird zum Gegenpol der sozialen Zivilisation“, erklärte der deutsche Romantik-Forscher Wolfgang Bunzel der DPA. Und im Wald können auf einmal auch schräge Charaktere aufpoppen – und genauso schnell wieder verschwinden. Wie in einem Comic.

Jene, die zu dieser Zeit in von Bäumen geprägten Gegenden wohnen, mögen sich über die Waldidealisierung gewundert haben. Es war hier ja nicht nur lauschig, sondern Holz, Beeren und Honig mussten mühsam gesammelt werden. Auch die Gebrüder Grimm – Vertreter der Romantik – wollen die Wälder nicht ganz vom Unheimlichen befreien. Rotkäppchen, Schneewittchen oder Hänsel und Gretel können ein Lied davon singen.

Erblickt hier der böse Wolf im Wald das Rotkäppchen?

©Getty Images/iStockphoto/francescoch/iStockphoto

Aber die Romantik bringt nicht nur spannende Formexperimente und Philosophie hervor. Sie gebiert auch Ungeheuer, die sich in den folgenden Jahren auswachsen sollen: Deutschtümelei zum Beispiel. Und da muss auch der Wald herhalten. „Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürften, würden wir doch noch den Wald brauchen. Das deutsche Volk bedarf des Waldes wie der Mensch des Weines“, formuliert Kulturhistoriker und Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl. Er schreibt „der deutschen Bauwelt unverblümt eine nationalpolitische Bedeutung zu“, wie die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung formuliert. Der Wald wird „Projektionsfläche für eine Vielzahl modernitätskritischer, nationalistischer, rassistischer und biologistischer Vorstellungen“. Er ist für die Faschisten Gegenbild zu Fortschritt und Großstadt. Dazu gilt er als germanischen Ursprungs und rassischer Kraftquell.

Kitschiger Ort

In der Nachkriegszeit legt sich ein Zuckerguss über die Vergangenheit, der Wald wird verkitscht. Der Wilderer vom Silberwald oder das Wirtshaus im Spessart sorgen für harmlose Unterhaltung, röhrende Hirsche für heimelige Atmosphäre in den vier Wänden. In diese Zeit kracht Schlagersängerin Alexandra 1968 mit „Mein Freund, der Baum“ rein – und sie nimmt damit schon die Öko-Bewegung vorweg.

Denn wenig später dräut die Gefahr des Waldsterbens, die vor allem in Deutschland Sorgenfalten aufziehen lässt. In Österreich ist es der Hainburger Auwald, in dem die moderne Umweltbewegung geboren wird. Joseph Beuys revitalisiert den Waldmythos. Bei der documenta 7 in Kassel im Jahr 1982 setzt er das Landschaftsprojekt „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ mit 7.000 Eichen um. Mit seiner Kunst wollte Beuys wie einst die Romantiker zur Lebensveränderung beitragen. Mit Erfolg: Viele der Eichen stehen noch heute.

Nur von kurzer Dauer ist hingegen der Stadionwald, der in Klagenfurt für die Kunstinstallation For Forest im Herbst 2019 gepflanzt wird. Fast 300 bis zu 14 Meter hohe Bäume stehen in der Wörthersee-Arena, sie stellen einen europäischen Mischwald dar. Initiator Klaus Littmann hat sich für das Projekt die Zeichnung „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ des Künstlers Max Peintner zum Vorbild genommen, auf der ein Wald am Spielfeld eines voll besetzten Stadions steht.

Klaus Littmann ließ im Klagenfurter Stadion für "For Forest" Bäume pflanzen. Nicht alle waren begeistert.

©Unimo

Kritik am Kunstprojekt kommt nicht nur von den Kärntner Oppositionsparteien, sondern auch von Fußballfans. Immerhin kann der Wolfsberger Fußballklub WAC seine Europa-League-Spiele nicht in Klagenfurt austragen, sondern muss nach Graz ausweichen. Der Groll nimmt sich gar heftig aus. „Der Mann rempelt mich an und sagt so auf Kärntnerisch – ,Hau ab mit dem Schas-Wald’ – das finde ich dann schon sehr bedenklich. Es kam auch zur Aufforderung einer Partei, die Kettensägen rauszuholen“, berichtet Klaus Littmann damals dem KURIER. Das internationale Publikum sieht das etwas anders. CNN berichtet, Leonardo DiCaprio, der gerne auf Klimaretter macht und dann noch sehr gerne den Privatjet nimmt oder den Sommer auf riesigen Motorjachten verbringt, postet begeistert ein Bild vom Klagenfurter Projekt.

Wood Wide Web

Ja, so ein Wald fasziniert. Wohl auch, weil er der Menschheit bis heute noch nicht alle seine Geheimnisse preisgibt. In den vergangenen Jahren haben einige Forscher die These geäußert, dass es ein „Wood Wide Web“ gebe, ein unterirdisches Pilznetzwerk, über das die Pflanzen miteinander kommunizieren. Wie das so ist in der Wissenschaft: Da gibt es Theorien und Belege, die dann aber von anderen Forschern wiederum ins Reich der Mythen verwiesen werden.

Einer, der sich vorstellt, wie Bäume miteinander sprechen könnten, ist Pantha du Prince. Der deutsche Elektronik-Musiker, dem gerne das Siegel „Intelligent Techno“ umgehängt wird, lässt in seinem Konzept-Album „Conference of Trees“ Pflanzen sprechen. „Wenn man etwas Wichtiges wissen will und versucht, andere Antworten zu finden, sollte man sich zu einem Baum setzen“, empfahl der Künstler einmal im Gespräch mit der . „So ein Baum ist ein kräftiger, strukturierter Geselle.“ Das entziehe sich dem Rationalen – und man könne da schon als wahnsinnig gelten.

Dazu sind Feste im Wald stets etwas Besonderes und ein Highlight im jährlichen Veranstaltungskalender. Wenn die Sonne untergeht und des Nachts die Bäume angestrahlt von Scheinwerfern eine ganz eigene Magie entwickeln, das fasziniert Menschen. Und da ist es ganz egal, ob das nun das Wald- und Wiesenfest eines Dorfvereins oder ein Goa-Rave hippiesker Partymenschen ist.

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Darüber hinaus tut der Wald einfach nur der Gesundheit gut. Das merken die Menschen einerseits ohnehin, wenn sie durchspazieren. Andererseits ist die positive Wirkung wissenschaftlich erwiesen. So gibt es 90 Prozent weniger Staubpartikel als in einer verschmutzten Stadtluft. Die Universität Michigan findet bei einer Studie im Jahr 2019 heraus, dass der Spiegel des Stresshormons Cortisol im Körper der Teilnehmenden bereits nach einem 20- bis 30-minütigen Spaziergang deutlich sank. Und das Fachmagazin „Frontiers in Psychology“ veröffentlicht im selben Jahr einen Artikel, worin von der Naturpille Wald geschrieben wird. Nur 20 Minuten in der Natur pro Tag würden Stress abbauen.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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