Trendforscher Matthias und Tristan Horx: "Wir kommen jetzt an Grenzen"
Alles schneller – alles besser? Laut den Trendforschern Matthias und Tristan Horx tritt die Gesellschaft derzeit in einen großen Wertewandel ein.
Sie sind Vater und Sohn, der eine 68, der andere 30 – beide richten ihren Blick auf das, was kommt: Matthias und Tristan Horx sind Zukunftsforscher und beschäftigen sich mit dem Leben von morgen und damit, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Sind ihre Ansichten ein "Clash of Generations"? In gewissen Thesen schon, in manchen herrscht hingegen überraschende Einigkeit.
Wenn Sie einen Blick auf Ihren Sohn werfen und seine Generation in einem Wort beschreiben, welches ist das?
Matthias Horx: Komplex, aber nicht im Sinne des Worts, sondern im Sinne dessen, dass die Generationen untereinander größere Unterschiede haben als nur die Unterscheidung in Alt und Jung. Doch es gibt auch viele Parallelen: Ich bin in den 70er-Jahren aufgewachsen, das waren rebellische Zeiten und Rock ’n’ Roll, da finde ich viele Elemente wieder, die auch die Jugend umtreibt.
Welche?
Matthias H.: Es gibt heute eine große Konfusion. Die Jungen sind unruhiger. Wir waren damals auch in verunsicherten Zeiten, aber wir wussten, wir wollten rebellieren. Eigentlich wollten wir die Macht, und ich weiß nicht, ob Tristan die Macht will. Manchmal schon, manchmal nicht.
Ist das so, Tristan?
Tristan H.: Das kann man schon so sehen, die Babyboomer-Generation hat viel stärker gegen die Eltern rebelliert, die historisch betrachtet einiges verbockt hat. Denken wir etwa an den Nationalsozialismus. Abgesehen davon ist es recht schwer, gegen eine Generation, die so individualistisch ist wie seine, zu rebellieren.
Matthias Horx schaut seinen Sohn an und fragt:
Leidest du darunter, dass deine Generation nicht rebellieren kann?
Tristan H.: Ich habe es ja probiert. Rebellionen brauchen immer Zeichen, das können auch ganz verrückte Dinge sein. Etwa jeden Tag beim Abendessen mit der Krawatte zu sitzen – das gibt es jetzt langsam tatsächlich als Phänomen bei den ganz Jungen. Das hätte auch in meiner Generation funktioniert, aber dazu hatte ich nicht das Durchhaltevermögen.
Wie hätten Sie darauf reagiert, Matthias?
Matthias H.: Das gab es ja auch bei unserer Generation, aber auf Haare bezogen. Ich gehörte damals zu den Langhaarigen. Dieses Zeichensetzen, dass man anders ist, ist ein Wechselspiel in allen Generationen.
Ist es einfacher, auf die jeweils andere Generation zu blicken als auf die eigene?
Tristan H.: Ich finde, man kann die eigene Generation viel leichter kritisieren. Die Älteren sagen, die Jungen seien nicht mehr leistungsfähig, sie seien faul. Das sind Klischees, die nicht stimmen.
Und welches Klischee trifft auf die ältere Generation zu?
Tristan H.: Spießig zu sein oder zu werden. Man erkennt das beim Thema Arbeit, wenn die Älteren sagen, sie seien die Oberleistungsfähigen gewesen und dass die Jungen mit ihren neuen Arbeitsformen ja eigentlich nur chillen wollen. Der Begriff "Work-Life-Balance" wird oft gegen die junge Generation verwendet, dabei hat gerade die ihn erfunden.
Matthias H.: Alle Generationen haben entspanntere Tendenzen und dann ändern sich diese wieder. Was man aber deutlich sehen kann: Als Teil der 68er-Generation weiß ich – auch wir haben gegen Spießer und Karrieristen gekämpft. Was jetzt aber zunehmend auseinander bricht, ist die Idee der Karriere, weil wir in der gesellschaftlichen Situation sind, dass diese für viele keinen Sinn mehr hat. Bis zur Bankenkrise war es toll, viel Geld zu verdienen. Aber die Jungen spüren, es lohnt sich nicht mehr, sie können meistens nichts Eigenes mehr aufbauen. Also treten wir derzeit in einen großen Wertewandel ein. Das Aussteigen aus diesen Karrieren, nur noch das machen, was sein muss, ist eine Revolte gegen diese Verunsicherung. Wir sind am Anfang einer langen, turbulenten Krisenphase, in der sich die Gesellschaft neu organisieren wird. Das Neue kündigt sich aber bereits an.
Und was sind dann die Werte von morgen?
Matthias H.: Postmaterielle Werte, die dem Leben eine andere Bedeutung im Bezug zur Arbeit zuweisen. Der bisherige industriell fossile Lebensstil, geprägt von immer dickeren Autos macht viele inzwischen unglücklich. Wir sehen es ja bereits: Die Leute, die alleinig diesem Lebensstil nachfolgen, haben meistens große Probleme im Leben.
In allen Generationen?
Matthias H.: Ja, sogar der neue, alternative Karrierismus mit den Start-ups, die schnell reich werden wollen, dabei Spaß haben und Geld verbrennen, auch das ist ja irgendwie vorbei. Wir kommen jetzt an Grenzen des exzessiven Konsums, der ständigen Beschleunigung. Viele Menschen sehnen sich nach früher, wir sehen einen riesigen Nostalgie-Trend.
Meinen auch Sie, dass früher wirklich alles besser war?
Matthias H.: Man hat es eben als Jugend erlebt, und in der Jugend ist ja alles immer spannend. Aber in den vergangenen 30 Jahren ging ja alles nur nach oben, alles wurde immer vielfältiger und optimierter. Der Hedonismus, also die Genusssucht, stieg massiv an. Corona hat das in gewisser Weise gestoppt, das hat alles aus den Gleisen geworfen. Das ist ein Epochenwandel, der aus der Zukunftsforschung heraus betrachtet nur rund alle 50 Jahre stattfindet. Aber alleine ich habe nun schon zwei solche Epochen erlebt: einmal die Revolte in den 70ern und nun diesen verbreiteten Zweifel am Fortschritt.
Wie spürt man das in der jungen Generation?
Tristan H.: Das Ende des Millennium-Aufschwungs hat meine Generation noch mitgekriegt und deswegen gab es da auch sehr viele postmaterielle Tendenzen. Es klingt zwar ein bisschen pathetisch, aber so ein Leitsatz vieler Junger war da schon: "Sammle Momente, nicht Dinge." Reisen zum Beispiel wurde ein sehr großes Thema: die Welt erkunden als neues Statussymbol.
In Ihrer aber doch auch, Matthias?
Matthias H.: Ja. Wir sind dann mit der alten klapprigen Ente oder dem Volkswagen-Käfer nach Spanien gefahren, aber da haben wir selber geschraubt.
Tristan H.: Die Boomer-Generation ist ja unglaublich erfolgreich gewesen, und die meisten haben sich ein schön dickes Finanzpolster geschaffen. Das heißt, ihre Kinder, also meine Generation, wussten meistens, dass sie nicht auf der Straße landen werden, auch wenn mal was schiefgeht. Jetzt ist es spannend zu sehen, wie das bei der nächsten Generation, also der Generation Z, aussieht. Die sind jetzt im Schnitt 28 Jahre alt, da erkenne ich eine Tendenz in Richtung Retro, alte Gedankenmuster, auch Frauenbilder, Männerbilder, Status. Im Vergleich zu meiner Generation habe ich das Gefühl, die Verunsicherung der Zeit führt zu einer Sehnsucht nach Sicherheit, die man durch Besitz und Altbekanntes, das früher schon mal funktioniert hat, erreichen kann.
Das hat allerdings seine Tücken, denn durch die Coronazeit sehen viele Experten Frauen in alte Rollenbilder zurückgedrängt, was der Emanzipation der Frau entgegensteht. Stichwort: eigene Arbeit, finanzielle Unabhängigkeit.
Tristan H.: Es ist total schräg, aber manchen Erhebungen zufolge wünschen sich zum Beispiel in Deutschland 70 Prozent wieder einen Lockdown.
Woher kommt das?
Tristan H.: Da geht es um Entschleunigung. Meine Generation ist in rasanten Zeiten aufgewachsen, mit mittlerweile vier "Once in a lifetime"-Events, also mit Geschehnissen, die eigentlich nur einmal im Leben geschehen: Bankencrash, 9/11, Pandemie, Krieg in Europa. Da war eine Bremse natürlich auch schön, das ist menschlich.
Vier "Once in a lifetime"-Events in einer Generation, die noch das halbe Leben vor sich hat: Ist das nicht eine Überforderung des Menschen?
Tristan H.: Ja, und das führt zu den teilweise sehr pessimistischen Einstellungen, welche die Jungen jetzt haben. Es geht um Fragen wie: Werde ich jemals eine Pension haben? Und wenn die Welt nicht durch den Krieg untergeht, dann durch das Klima?
Matthias H.: Wenn ich das schon höre! Wenn die Jungen über ihre Pension nachdenken, dann geht die Welt wirklich unter. Wir haben als junge Rebellen nicht über unsere Pension nachgedacht, das wäre das Allerschlimmste gewesen.
Und worüber dachte Ihre Generation in jungen Jahren nach?
Matthias H.: Alles war ja im Aufbruch, im Wandel, in Veränderung – aber dabei gab es auch eine Menge Konformität. In den 1970er-Jahren wurden plötzlich die Haarschnitte der Männer immer länger, man erkennt es am besten auf Fotos von Fußballern. Wenige Jahre später waren die Haare wieder kurz. Auch Schlaghosen waren so ein gemeinsames Zeitgeist-Phänomen, durch die Mode drückten wir uns aus. Das ist heute aber nicht mehr so, heute ist durch das Internet alles in kleine Kulturen gepresst. Paradoxerweise führt das Internet die Menschen ja nicht zusammen, sondern spaltet sie in immer kleinere Einheiten. Ich war damals einer der so genannten "first user", ich hatte schon in den 80er-Jahren meinen ersten Computer. Aber selbst Tristan, der in dieser Welt der schnellen Digitalisierung aufgewachsen ist, wird das langsam zu viel. Das permanente Online-Sein macht einen ja wahnsinnig. Auch die jüngere Generation fängt an zu zweifeln an diesem gewaltigen Megatrend des "always online".
Ist das so, Tristan?
Tristan H.: Schon. Allerdings ist die Digitalisierung eine Sucht. Dafür sind die Geräte gebaut. Selbst der politische Diskurs findet auf Social Media statt, wenn sich inzwischen schon 12-Jährige grausame Videos aus Kriegsgebieten reinziehen. Heutzutage sind schon die ganz Jungen mit dem Weltschmerz konfrontiert.
Wo führt das hin?
Tristan H.: Sie werden gegen das pessimistische Weltbild ankämpfen müssen. Und gerade diese ganz junge Generation, manche nennen sie „Alpha“, der alle angehören, die ab 2010 geboren wurden, heute also 13 oder älter sind, wird wohl in eine Welt hineinwachsen, in der Medienkonsum reguliert werden wird. Wir sind derzeit nämlich noch in der pubertären Phase des Internets, das wir noch als Wilden Westen behandeln.
Ist das Internet mit seiner wie vorhin von Ihnen angesprochenen Bildung von kleinen Gruppen ausschlaggebend dafür, dass die politische Mitte in einer Krise steckt? In einigen Ländern Europas sieht man die Tendenz zu den Rändern.
Matthias H.: Das ist nur ein Teil. Wir stecken in einer Enttäuschungskrise. Die Erwartungen wurden in eine Richtung geschürt, dass alles immer besser, schöner, schneller und wohlhabender wird. Jetzt bemerken viele, dass es nicht so funktioniert: allem Wohlstand zum Trotz haben wir immer noch Armut, die Umwelt geht kaputt, wenn wir noch schneller und mehr wachsen. Daraus entsteht ein seelisches Paradox. Die Leute sind frustriert, man sieht es vor allem in Amerika: Man ist einfach nur wütend, dass der Wohlstands-Glück-Traum nicht funktioniert. Dieses Phänomen gibt es auch in Österreich. Viele Menschen sind grantig. Aus dieser Frustration kann sehr viel politisches Unheil entstehen.
Tristan H.: Ja, besonders die jungen Generationen sind hochfrustriert, denn sie wachsen in einen Arbeitsmarkt, in dem man nichts mehr ansparen kann, weil die Fixkosten einen auffressen, die Träume vom Hausbau sind weg. Und dann wird ihnen von älteren Generationen gesagt, dass wegen ihnen auch noch die Wirtschaft nicht funktioniert.
Aber jammert nicht jede ältere Generation über die jüngere?
Tristan H.: Ja, und das soll sie auch.
Matthias H.: Da ist das Internet wieder sinnvoll, weil dort ist das Gejammer besonders wirksam, es ergibt in Summe ein Rauschen und damit ein Signal. Aber wir kommen in eine Phase, in der es eine Moderation der Medien geben wird. Denn nach TikTok: Was soll denn da noch kommen? Ein Leben im Millisekunden-Takt? Ein immerwährendes Zappeln? Die Übersteigerung ist so irre, dass es umkippt ins Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass manche Errungenschaften meiner Generation wiederkommen. Jeder Trend hat einen Gegentrend, auch das Digitale. Vielleicht werden wir wieder mehr gedruckte Zeitungen haben, Entschleunigung wird eine Volksbewegung. Wir sehen, dass nach jeder Übertreibung am Ende immer eine Wende kommt. Und dann kommt auch das bewährte Alte ein Stück weit zurück.
Wie lange geht es noch so weiter, wann kommt dieser Zeitpunkt des Kippens?
Tristan H.: Das ist die Suche nach dem Tipping Point. Ihn kommen zu sehen, ist unsere Arbeit als Zukunftsforscher.
Matthias H.: Ich würde sagen, er ist jetzt.
Streiten Sie beide eigentlich auch manchmal, wenn es um die Zukunft geht?
Tristan H.: Ich habe diesen Diskussionsstil Streit nie gelernt.
Matthias H.: Doch du bist ja in der Streitkultur der Spätachtundsechziger aufgewachsen!
Tristan H.: Naja, vielleicht ist meine Assoziation von Streit einfach durch das Internet kaputt gegangen.
Matthias H.: Ich glaube, wir sind Teil des neuen Trends, nämlich der Übereinkunft der Generationen, in der es um das Gemeinsame und nicht um das Gegeneinander geht. Hier sehen wir also, er ist schon da: der Gegentrend.
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