Rolling Stones in Madrid: Blues, Rock und Menschlichkeit statt Perfektion

Die Rock-Ikonen starteten ihre "Sixty"-Tour, mit der sie das 60-jährige Bühnenjubiläum feiern.

Charlie Watts lacht. Man sieht ihn sein Schlagzeug spielen, er albert als junger Mann im Zirkus-Outfit mit seinen Bandkollegen herum und geht als 70-Jähriger mit ihnen auf die Bühne.

Es ist Mittwochabend. Die Rolling Stones starten im Wanda Metropolitano Stadion in Madrid die „Sixty“-Tour zum 60-jährigen Bühnenjubiläum, und diese filmische Würdigung des 2021 verstorbenen Drummers, der fast die ganzen 60 Jahre mit Sänger Mick Jagger und den Gitarristen Keith Richards und Ronnie Wood auf der Bühne gestanden hat, steht am Beginn der Show. Erst nachdem danach einige Sekunden lang ein Standbild von Watts zu sehen war, kommen die Musiker auf die Bühne und legen mit „Street Fighting Man“ und „19th Nervous Breakdown“ los. Sofort fühlt es sich an wie immer, wenn man diese Band in den letzten 40 Jahren live gesehen hat. Vieles an den Rolling-Stones-Shows hat sich nämlich über all die Jahre ritualisiert.

©APA - Austria Presse Agentur

Mick Jagger, mit 78 immer noch schlank wie eine Gazelle, stolziert unaufhörlich von der einen Seite der 55 Meter breiten Bühne zur andern. Die Backing-Band und der neue Schlagzeuger Steve Jordan liefern die solide vorwärtstreibende Basis, über der sich die Gitarristen mit zickigen, knackigen und mal auch schrägen Riffs austoben. Auch die zwei Songs in der Mitte, die Richards singen darf, sind samt den gelegentlich schiefen Tönen, die er durchs Mikro schickt, seit Jahren ein fixer Bestandteil einer Rolling-Stones-Show.

Neu ist die Bühne, die von einem monströsen, abstrakten Gemälde in den Stones-Farben gelb, rot und schwarz dominiert ist. Da waren die vier schlichten LED-Monolithe der vorigen „No Filter“-Tour nicht nur wesentlich eleganter, sondern auch viel effektiver im Sichtbarmachen des Bühnengeschehens für die Fans in den hinteren Stadionbereichen.

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Diese neue Bühne schreit Spektakel, erinnert an die Stones-Tourneen in den 80er- und 90er-Jahren, an die aufblasbaren Riesenfiguren und die zirkusreifen Einlangen, die Jagger damals auf und mit ihnen hinlegte. Doch die bei diesem Anblick entstehende Befürchtung, dass die Stones mit der „Sixty“-Tour wieder dorthin zurückkehren, wo sich die Show so wichtig macht, dass sie von der Musik ablenkt, bewahrheitet sich nicht.

Die Songs und die Spielfreude dürfen allzeit im Mittelpunkt stehen. Neben Klassikern wie „Tumbling Dice“ und „Honky Tonk Woman“ gibt es mit „Out Of Time“ gleich im ersten Drittel einen wunderbaren Fanfavoriten, der noch nie live gespielt wurde. Den stimmt Jagger nach dem Ende gleich noch einmal an, weil der Moment gerade so schön war.

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Der neue, im Lockdown entstandene Song „Living In A Ghost Town“ ist ein Blues-lastiger Leckerbissen mit Mundharmonika-Solo, und „You Can‘t Always Get What You Want“ steigert sich zu einem furiosen Finale.

Beim funkigen „Miss You“, bei dem Jagger wie besessen die Hüften kreist, ist Platz für ein mitreißendes Solo von Bassist Darryl Jones. Und „Midnight Rambler“ wird mit Improvisationen, die zwischen schwermütig dahinstolperndem Blues und wütendem Rock pendeln, auf Mammutlänge ausgedehnt, ohne dass eine Sekunde davon fad wird.

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Natürlich kommen zum Schluss noch Hits wie „Sympathy For The Devil“, „Jumping Jack Flash“ und „Satisfaction“. Das ist wieder so ein Ritual, das sich in all den Jahren herausgebildet hat. Aber - und das ist in Madrid deutlich zu hören - es ist keine Routine, klein glatt gebügeltes Runterspielen des Notwendigen. Die Rolling Stones füllen ihre Klassiker auch nach 60 Jahren mit einem Leben und einem Drive, den Musiker die 30 und 50 Jahre jünger sind nicht hinkriegen. Sie füllen den riesigen, höchst professionellen Produktions-Rahmen ihrer Show mit dem Sound ein jammenden Blues-Rockband und das Stadion anstatt mit Perfektion mit Menschlichkeit.

Davon kann man sich überzeugen, wenn diese ikonische Band am 15. Juli im Wiener Praterstadion auftritt.

Brigitte Schokarth

Über Brigitte Schokarth

Brigitte Schokarth kennt die Rock/Pop/Indie-Welt in allen Aspekten, pendelt für Konzerte zwischen Flex und Stadthalle, für Interviews zwischen Berlin, London und New York. Sie spricht genauso gern mit Robbie Williams und Pink wie mit Amanda Palmer und James Blake und spürt in den Clubs der Musikmetropolen Trends und Newcomer auf.

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