So viel Österreich steckt in Graf Dracula und Co

Nicolas Cage ist bald als Vampir im Film "Renfield" zu sehen, der lose auf Bram Stokers Roman basiert. Und der fand viele finstere Inspirationen im Reich der Habsburger.

Nach mehreren Jahrhunderten will sich Renfield aus einer toxischen Beziehung befreien. Und zwar aus jener zu seinem Herren, dem Grafen Dracula. Eine Selbsthilfegruppe soll den verzweifelten blassen Mann dabei unterstützen, sich von dem hässlichen Kerl mit den spitzen Zähnen loszusagen.

Das setzt die Handlung des Films "Renfield" in Gang, der im April in die Kinos kommen soll. Nicolas Cage, Fürst der B-Movies, gibt den blutdürstigen, anämischen Aristokraten, der dem Publikum nicht nur ein wohliges Schaudern über den Rücken, sondern mehr ein Lächeln ins Gesicht zaubern soll. Nur bierernst wird es darin sicher nicht zugehen.

Ganz anders war das noch in Bram Stokers Roman "Dracula", auf dem Renfield lose basiert. Er betrieb für seine 1897 veröffentlichte Vampirgeschichte gewissenhafte Recherche. Der Einfluss eines vergangenen Österreichs auf die Gruselstory ist nicht zu gering zu schätzen. 

Van Helsing ist van Swieten

Draculas Erzfeind, Abraham van Helsing, hat ebenfalls österreichische Wurzeln - zumindest wirkungstechnisch. Der Professor spricht Englisch mit holländischem Akzent und lässt mit deutschen Redewendungen wie "mein Gott" aufhorchen. Stoker hat dabei viel von Maria Theresias niederländischem Leibarzt Gerard van Swieten einfließen lassen. Der jagte Vampire auch, aber nur, um sie ins Reich der Mythen zu verbannen. Blutleer waren danach nur mehr jene, die an die Untoten glaubten.

Gerard van Swieten verbannte Vampire ins Reich der Mythen.

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Und das kommt nicht von ungefähr. Van Swieten musste sich mit Berichten von Vampiren im Kaiserreich auseinandersetzen. Den Höhepunkt einer damals grassierenden Vampir-Hysterie markierte ein Fall aus dem serbischen Dorf Medvegja im Jahre 1755.

Die Kaiserin entsandte zwei von Swieten genannte Ärzte nach Hermersdorf - so hieß der Ort auf Deutsch. Wie Bernhard Unterholzner in seinem Aufsatz "Vampire im Habsburgerreich, Schlagzeilen in Preußen" schreibt, waren dort 19 Leichen verbrannt worden, die auf dem Friedhof bestattet worden waren. Die Menschen dort wurden besonders in der Nacht um den Schlaf gebracht. Denn sie fürchteten, eine gewisse Marianna "Saligerin", die eine Hexe gewesen sein soll. Sie sollte ihr Unwesen treiben. Daraufhin wurden die Leichen der "Saligerin" und jener, die nach ihr verstorben waren, exhumiert. Sie waren allesamt nicht vollständig verwest. Die Ortsbewohner glaubten den Beweis gefunden zu haben, es handle sich um Vampire.

Da hatten sie die Rechnung ohne die beiden aus Wien angereisten Ärzte gemacht: Sie kamen zum Schluss, dass die Bodenverhältnisse und die Temperaturen die Verwesung verlangsamten. Sie machten eine unheilige Allianz aus weltlichen und kirchlichen Behörden dafür verantwortlich. So hatte auch schon van Swieten in seiner Abhandlung über den Vampirismus argumentiert. "Darin polemisierte er gegen den Vampirglauben und beklagte die abergläubischen Praktiken der Lokalverwaltung sowie die Unfähigkeit der Ärzte vor Ort", schreibt Unterholzner. 

Van Swieten grub zu seiner Untermauerung auch britische Fälle aus. Wie Tobias Dittmoser-Pfeifer im Aufsatz "Untot seit dem 18. Jahrhundert: Der erste Vampirhype"  berichtet, erläutert der Arzt die Exhumierung eines Leichnams in England. Dieser war vollkommen unverwest, obwohl er mehr als 80 Jahre zuvor begraben worden war. Da aber von keinem einzigen weiteren Vampirvorfall in der Region berichtet wurde, wäre das ein fauler Vampir gewesen, meint van Swieten: „Hier haben wir also einen englischen Vampyre, welcher über 80 Jahre in seinem Grabe ruhig geblieben ist, und keinen Menschen belästiget hat.“

Aufklärung und Zensur

Er war gerade dabei in Wien die Medizinerausbildung zu reformieren. So konnte er gegen schlecht ausgebildete Ärzte polemisieren, die keine fundierte anatomische Ausbildung hatten. Unfähige Mediziner und gegen die Aufklärung gerichtete Gedanken waren ihm ein Graus. Daher unterstützte er die staatliche Zensur - vor allem von Medien, die über derartige spannende Fälle berichten könnten. 

Interessanterweise wird van Helsing auch im Dracula so ins Geschehen eingeführt:  "Er ist Philosoph und Metaphysiker und einer der fortschrittlichsten Wissenschaftler der Jetztzeit, dabei ist er von absolut offener Gesinnung."

Hier haben wir also einen englischen Vampyre, welcher über 80 Jahre in seinem Grabe ruhig geblieben ist, und keinen Menschen belästiget hat

Gerard van Swieten Mediziner

Aber er konnte nichts dagegen machen, dass die preußische Presse in Berlin über die Vorgänge in der Habsburger Monarchie berichtete. Und das durchaus gschmackig: Nachdem man bei der Exhumierung bei den Leichen noch Blut gefunden hatte, wurden diesen "als Vampyrs erstlich die Köpfe abgehauen, das Herz durchstossen, und sodann die Cörper zu Aschen verbrandt", schrieben Berlinische privilegirte Zeitung und Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen unisono. Wie Unterholzner ausführt, behaupteten die Blätter, dass die Exhumierung in Hermersdorf wegen einer kaiserlichen Anordnung passiert wäre. Und das wird wohl absichtlich von der preußischen Regierung in die Blätter gerückt worden sein, um Maria Theresia schlecht, abergläubisch und nicht aufgeklärt dastehen zu lassen. Immerhin war Friedrich II seit der Eroberung Schlesiens ihr Erzfeind.

Auf jeden Fall: van Swietens Ausführungen brachten Maria Theresia dazu, 1755 ein Gesetz zu verabschieden, das Totenschändung bei Strafe verbat.

Die Toten reiten schnell

Neben dem Arzt könnte auch eine österreichische Gräfin Bram Stoker inspiriert haben: Fürstin Eleonore zu Schwarzenberg (1682-1741), die zu ihren Lebzeiten für eine Vampirin gehalten wurde. Zumindest hat vor einigen Jahren der Dokumentarfilm "Die Vampirprinzessin" plausibel die Theorie des Wissenschaftlers Rainer Maria Köppl aufgezeigt. Schwarzenberg könnte Vorbild für Gottfried Bürgers düstere Ballade Leonore gewesen sein, wo es ins Totenreich geht. Und diese hat wiederum Eingang in Stokers Dracula gefunden: Im ersten Kapitel wird der Vers "Die Todten reiten schnell" aus Bürgers Ballade dem Protagonisten Jonathan Harker von einem Mitreisenden in der Kutsche als Zitat aus Burger's ‚Lenore‘ zugeflüstert - und zwar dann, als Graf Dracula auftaucht, um Harker abzuholen. 

Wie flog, was rund der Mond beschien,
Wie flog es in die Ferne!
Wie flogen oben über hin
Der Himmel und die Sterne! –
„Graut Liebchen auch? - - Der Mond scheint hell!
Hurrah! die Todten reiten schnell!

Gottfried Augst Bürger Leonore

Dazu soll die Gräfin Schwarzenberg Milch von Wölfen getrunken haben, um einen lang erwarteten Erben zu gebären. Sie sei dem Okkultismus nicht abgeneigt gewesen und habe unter Schlafstörungen gelitten. Tagsüber war sie also müde. Wenn das keine Vampirin war. 

Eleonore von Schwarzenberg mit ihrem Kind, das sie spät bekam.

©Český Krumlov Castle, Public domain, via Wikimedia Commons / (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maximilian_Hannel_%E2%80%93_Eleonore_von_Schwarzenburg.jpg)

Ob der irische Autor wirklich von der Aristokratin aus Krumau gewusst hat, ist aber nicht erwiesen. Andere vermuten, die ungarische Blutgräfin Elisabeth Báthory (1560-1614), die auch auf der burgenländischen Burg Lockenhaus residierte, habe Stoker zu seinen Schilderungen inspiriert. Sie wurde als Serienmörderin verurteilt: „Während des Prozesses gab es Hunderte Aussagen darüber, wie sie Jugendliche mit Eisenzangen gefoltert, Mädchen in kochendem Wasser gebadet, sie in Brennnesseln gewälzt und Papier unter ihren Fingernägeln angezündet hat“, sagte der britische Linguist Tony Thorne zu Vice, der über "Countess Dracula" geschrieben hat.

„Zwei Menschen sagten sogar aus, dass sie die Mädchen zu Wurst verarbeitet und dann gegessen hätte. Die Opfer waren allesamt Mädchen und junge Frauen. Das Ganze hatte definitiv ein sexuelles Element.“

Die ungarische Blutgräfin Elisabeth Báthory

©Bridgeman Art Library / picturedesk.com

Das ist alles sehr schauderbar, aber ob das der Beweis ist, dass der Ire Stoker von der Ungarin Báthory wusste? Die war nämlich nach ihrem Tod längere Zeit vergessen und wurde erst ab den 1970ern verstärkt mit Vampirgeschichten in Verbindung gebracht. Aber in der Literaturszene war sie zumindest im 19. Jahrhundert bekannt. Leopold Ritter von Sacher-Masoch hat in seiner Novelle "Ewige Jugend" aus dem Jahr 1886 ihre Bäder beschrieben, die sie im Blut ihrer Opfer genommen hatte, um vermeintlich jung zu bleiben.

Dumpfes Volk und Aberglaube

Was wirklich gesichert ist: Ursprünglich wollte Stoker seinen Dracula in der Steiermark spielen lassen. Für den Roman nahm er Anleihen bei der Gruselgeschichte "Carmilla“ (1872) des irischen Autors Sheridan LeFanu. Hier passieren in einem Schloss „30 Meilen von Graz“ schaurige Dinge mit einer schönen jungen Dame. Wie Kunsthistoriker Peter Krenn herausgefunden hat, soll es sich bei dem Bau um das Wasserschloss Hainfeld bei Feldbach handeln.

Le Fanu wiederum hatte bei Reiseschilderungen des schottischen Kapitäns Basil Hall nachgeschlagen. Der schrieb über die Steiermark, "einem so entlegenen Lande, von dem wir nichts wussten". Und dort gäbe es schwer zugängliche, von dumpfen Bauernvölkern besiedelte Gebiete, "in denen ein zügelloser Aberglaube den verschiedensten Ängsten und Schrecken Gestalt verleiht“. 

Schloss Hainfeld bei Feldbach

©Vischer, Georg Matthäus / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com/Vischer, Georg Matthäus / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Eine Ausstellung im Graz Museum beantwortete 2014 die Frage, warum Bram Stoker seinen Dracula 1897 dann doch nicht in der Steiermark spielen ließ. Das Bundesland war bereits durch Eisenbahnschienen erschlossen, die Industrialisierung ließ die Schlote rauchen. Es war wohl zu modern für den Aberglauben an einen blutsaugenden Grafen.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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