Popstar Rosalia: Radikal im Sound, ehrlich in der Aussage

Rosalía ist mit ihrer experimentellen Mischung aus Flamenco, Hip-Hop und Reggaeton zum spannendsten Pop-Phänomen der Dekade aufgestiegen. Gerade wurde sie in London von 20.000 Fans gefeiert.

London, O2-Arena. Rosalía steht auf der komplett weißen leeren Bühne. Ihre Tänzer haben ihr einen schwarzen Rüschenrock mit Zehn-Meter-Schleppe angelegt, die zwei Drittel des Bodens bedeckt. Zu hackenden Gitarrenrhythmen schmettert sie eine Flamenco-Melodie mit Koloraturen in die mit 20.000 Fans ausverkaufte Halle.

Bei „Hentai“ aus ihrem jüngsten Album „Motomami“ sitzt sie an einem schwarzen Flügel, spielt ein paar einsame Akkorde. Mit süßester Engelsstimme singt sie dazu eine Disney-Melodie, während die Ballade immer mehr von elektronischen Drums, die wie ein Maschinengewehr klingen, zerhackt wird.

Eröffnet hat Rosalía die Show mit dem Rap „Saoko“, ihr Hit „La Fama“ vereint Latin-Rhythmen mit einem nervösen Synthie-Hook und „Sakura“ könnte in einer Oper ertönen. Die 30-jährige Spanierin schafft es mühelos, all diese gegensätzlichen Musikstile zu vereinen. Mit grandiosem Erfolg: Sie hat elf Latin-Grammy-Awards, 28 Millionen TikTok-Follower und immer davon geträumt, in London in der Royal Albert Hall aufzutreten. Mit der O2-Arena hat sie es heuer in eine Halle geschafft, die viermal so viele Zuschauer fasst.

Respekt

Mit dem Erfolg kam aber auch Kritik.

Rosalía wurde kulturelle Aneignung vorgeworfen. Die spanische Roma-Bevölkerung, für die Flamenco eine der wenigen freien Ausdrucksformen ihres diskriminierten Volkes ist, bekrittelte, Rosalía nütze diese Kunstform, ihre Sprache und ihre Ikonografie für kommerzielle Zwecke aus. Die 30-Jährige hält dagegen, dass viele der berühmtesten Flamenco-Künstler keine Roma waren. „Paco de Lucia war der größte Gitarrist in diesem Stil und kein Roma“, erzählte sie dem britischen Guardian. „Es ist unglaublich wichtig, zu verstehen, was Flamenco für diese Volksgruppe bedeutet. Aber das tue ich. Ich habe diese Musik zehn Jahre lang studiert.“

©EPA/Cabalar

Tatsächlich hat Rosalía sogar ein Flamenco-Diplom. Nachdem sie sich mit neun Jahren entschieden hatte, Musikerin zu werden, weil sie es liebte, Songs von Queen, Bob Dylan oder Bob Marley zu singen, wurde sie als Teenager jene eine Studentin, die das renommierte Catalonia College Of Music in Barcelona jedes Jahr in die Flamenco-Ausbildung aufnimmt.

Zur Person

Kindheit
Rosalía Vila Tobella wurde am 25. September 1992 in Sant Esteve Sesrovires  außerhalb von Barcelona geboren. Noch während sie als Teenager  Flamenco studierte,  begann sie in Bars und bei Hochzeiten zu singen. 2017 veröffentlichte sie ihr Debüt-Album „Los Ángeles “.

Erfolge
Der Durchbruch in Spanien kam mit „El Mar Querer“ von 2018 das ein Konzeptalbum angelehnt an die Novelle „Flamenca“ ist und Rosalías Bachelor-Arbeit war.  International bekannt wurde sie  heuer mit dem Hit „La Fama“  (ft. Weeknd) und dem Album  „Motomami“.

 

Unorthodox

„Ich hätte nicht zehn Jahre meines Lebens dem Flamenco gewidmet, wenn ich ihn nicht lieben würde“, sagt sie. „Ich hab den größten Respekt vor dieser Tradition. Aber je mehr ich erwachsen geworden bin, desto besser habe ich mich selbst kennengelernt. Und ich finde, dass es nicht so viel Spaß macht, Dinge auf orthodoxe Weise anzugehen. Freiheit hat für mich Priorität. Ich sehe Musik nicht in Genres unterteilt. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der sich so viele Kulturen mischen und gemeinschaftlich existieren.“

Dass sich die Musik von „Motomami“, ihrem dritten Album, ein wenig vom Flamenco ab- und mehr Reggaeton und Hip-Hop zugewandt hat, sagt sie, habe nichts mit der Diskussion um kulturelle Aneignung zu tun. Das sei nur die Musik, die sie als Teenager hörte – und dann während der Pandemie im Lockdown wieder.

Sie liebt aber auch Patti Smith („Die ist so clever und so ein Freigeist!“), Björk und James Blake. Und Industrial. Und Techno. Wenn sie zu Hause in Manresa nördlich von Barcelona ist, geht sie mit ihrem Freund, dem puerto-ricanischen Sänger Rauw Alejandro, auch heute immer noch in die Clubs in der Stadt tanzen, die sie als Teenager frequentierte. „Ich bin eine kreative Person und will alles, was ich liebe, in meine Songs einbringen. Die sind dann zwar radikal, aber ich kann nicht anders. Und offenbar gefällt das den Leuten.“

Auch in ihren Texten ist Rosalía manchmal radikal. Oft haben die Songs einen morbiden Touch, referenzieren den Tod. Und der offene Umgang mit der weiblichen Lust in „Hentai“ (Textzitat: „Ich will dich reiten wie ein Bike“) hat nicht wenige Fans schockiert – auch weil sie Erotik bisher aus ihren Texten herausgehalten hatte.

Tabus

Die heftigen Reaktionen auf den Song haben Rosalía trotzdem gewundert: „Es gibt immer noch so viele Tabus, was die weibliche Sexualität betrifft“, erklärte sie dem Rolling Stone. „In der Weiblichkeit steckt aber eine erotische Überlegenheit. Warum also nicht einen Song machen, in dem du zugibst, was deine Gelüste sind? Bei den Alben vor ,Motomami` habe ich Erotik und Spiritualität aus den Songs rausgehalten. Aber jetzt wollte ich einfach ehrlich sein und offen sagen, was in meinem Leben vorgeht.“

Brigitte Schokarth

Über Brigitte Schokarth

Brigitte Schokarth kennt die Rock/Pop/Indie-Welt in allen Aspekten, pendelt für Konzerte zwischen Flex und Stadthalle, für Interviews zwischen Berlin, London und New York. Sie spricht genauso gern mit Robbie Williams und Pink wie mit Amanda Palmer und James Blake und spürt in den Clubs der Musikmetropolen Trends und Newcomer auf.

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