Phänomen Weihnachtsalbum: Säuselnd schmachtet die Nacht
Wessen Werk dauerte nur 19 Minuten? Wer machte aus dem Heiligen Abend ein Fest für Heavy-Metal-Fans? Über ein Phänomen zwischen lieblicher Lebkuchenlyrik und heiligen Hymnen.
Er braucht dringend einen Hit, einen Haarschnitt, am besten gleich ein neues Leben. Dabei war er doch mal ein richtiger Rockstar. Für viele ist der zerknitterte Billy Mack, gespielt vom großartigen Bill Nighy, der heimliche Star von „Tatsächlich … Liebe“: üppig mit Strizzi-Goldschmuck behängt, in einem wild gemusterten Hemd, singt er grantelnd eine Weihnachtsversion des alten Troggs-Hit „Love Is All Around“ ein. „This is shit, isn't?“, fragt er im Studio hilflos zerknirscht seinen Manager. Die Antwort folgt auf dem Fuße. Yap, aber zugleich pures Gold, antwortet der verschmitzt. Tatsächlich behält er Recht: Der Schmachtfetzen wird ein Riesenhit. Und verschafft dem Rocker im ultimativen Weihnachtsfilm endlich ein Comeback, Geld, Frauen.
Der Grinch kriegt Gefühle
Das Weihnachtsalbum. Rod Stewart hat eines. Eric Clapton. Die Pet Shop Boys. Billy Idol, wer hätte das gedacht? Selbst die Schlümpfe – 1984 erschien das weltbewegende Werk. Hansi Hinterseer, Die Amigos, André Rieu waren in Sachen „Stille Nacht“ sowieso immer vorn dabei. Das Konzept ist ein bisschen ein Relikt aus einer Zeit, in der … ja, vielleicht noch alles in Ordnung war. Oder zumindest schien. Wir kauften uns noch die neue „Kuschel-Rock“ der Bravo. Überhaupt wurden noch CDs verkauft. Am Samstag lief im Fernsehen „Wetten, dass ..?“. Ja, wir sahen damals noch fern. Und auch schon sehr viel früher widmeten sich Crooner, Soulmen und Swinging Ladys mit Inbrunst der nicht ganz so stillen Nacht.
Die drei güldenen Regeln des Weihnachtsalbums sind dabei im Grunde stets dieselben geblieben: a) Du bist bereits ein arrivierter Künstler; b) Dir fällt möglicherweise gerade nichts Neues ein; c) Du und deine Plattenfirma freuen sich über etwas Weihnachtsgeld. Auf gewisse Weise ist es ein Ritterschlag. Auf andere Art ein Abgesang. Honigsüß wird der Weihnachtswahnsinn weichgespült, bis selbst das härteste Lebkuchenherz dahinschmilzt. Und sogar der Grinch Gefühle kriegt.
Freddy Quinn war der Erste. „Weihnachten auf hoher See“ hieß das Werk, das am 15. Jänner 1964 in den deutschen Albumcharts auf die eins ging – als erstes Weihnachtsalbum überhaupt. „Das Meer ist ruhig, und still ist die Heilige Nacht. Nur die Sterne begleiten uns. Unter Deck schmücken sie gerade den Weihnachtsbaum“, lässt uns Quinn da eingangs wissen. Dann schmettert er mit rollendem R „Leise rieselt der Schnee“ bis „O Tannenbaum“. Wie grrrrün sind deine Blätterrr! Nie hat ein Wiener in Hamburg seensuchtsvoller die Weihnacht besungen. Die Scheibe ist ein echter Longseller: 2021, also satte 57 Jahre danach, winkte das Album erneut von der Spitze und führte die Amazon-Charts in der Sparte Volksmusik an.
Wer einen Zorn auf Elvis hatte
Der meistverkaufte Weihnachtssong aller Zeiten ist übrigens von Bing Crosby: „White Christmas“ verkaufte sich 50 Millionen Mal. Mitten im Zweiten Weltkrieg bildete die Aufnahme die Sehnsucht nach Liebe und Frieden perfekt ab. Elvis Presley, der Rebell, nahm die Nummer später neu auf. Und brachte Irving Berlin, er komponierte das Lied, damit zum Rasen. Als unerträgliche Verballhornung empfand er die Version des 22-Jährigen. Radiostationen rief er zum Boykott auf. Zwecklos. Mit „Elvis` Christmas Album“ hält der King zudem den Rekord des meistverkauften Weihnachtsalbums aller Zeiten: Die Aufnahme verkaufte sich 20 Millionen Mal. Ein wunderbares Album, von „Blue Christmas“ (schunkelnd) bis zu „Santa Claus Is Back In Town“ (soulig-sexy), bei dem einem nicht nur dank Glühwein in der Hand warm ums Herz wird.
In hiesigen Zeiten sind wohl Mariah Carey und Michael Bublé Queen und King of Christmas. Careys klingelndes „All I Want For Christmas“ ist das unbezwingbar fröhliche Titellied von Weihnachten heute und hat sich 16 Millionen Mal verkauft. Ihr „Merry Christmas“ zählt zu den meisterverkauften Weihnachtsalben der Geschichte und steht für eine flotte Schlittenfahrt ins Pop-Wunderland.
Michael Bublé verbindet mit Weihnachten sogar Persönliches: Es war zu den Feiertagen und er war 13, als seine Familie zum ersten Mal das Gesangstalent des Buben erkannte. Am Album „Christmas“ coverte er Klassiker und kreierte selber einen: Zwischen 13 und 16 Millionen Mal wurde das Werk vom Kanadier mit der Goldstimme gekauft. Wer auf Klassiker steht, kann aber auch zu anderen Platten greifen, die einem abseits der Format-Radios eine schöne Bescherung garantieren: Nat King Cole etwa mit „The Magic Of Christmas“, samtweich und gerade richtig fürs Kuscheln vorm Kaminfeuer. Oder Barbra Streisand mit „A Christmas Album“ – und einem „Jingle Bells“, durch das sie so humorvoll hechelnd hindurchrast, als könnte sie Weihnachten verpassen.
Rapper, Bob Dylan & Dracula
Auch mit Ella Fitzgerald und James Brown kann man nix falsch machen. Dessen „Santa Claus Go Straight To The Ghetto“ griff Jahre später Snoop Dogg zumindest namentlich auf und beging Christmas mit den Homeboys und allerlei Rauchwaren. Sein Song ist Teil der Compilation „Christmas on Death Row“, auf dem das legendäre HipHop-Label zu heiligen Hymnen antreten lässt und auch böse Gangsta-Rapper den Lord preisen. Ein unerwartetes Weihnachtsalbum, wie auch von Bob Dylan. Obwohl jüdischen Glaubens konnte er dem Zauber Weihnachtens nicht entfliehen und krächzte sich hochbemüht in „Christmas In The Heart“ durch die Klassiker. Gemixt mit süßem Glöckchenklang insgesamt eine wundersame Mischung.
Auch mit einem Weihnachtsalbum der Band Bad Religion war eher nicht zu rechnen. Mit „Christmas Songs“ bringen sie den Punk in die Weihnachtszeit – und rocken rotzig in die Saiten greifend in nur 19 Minuten ihre Lieder runter. Etwas für die Feinschmecker unter den Edelmetallern ist aber vor allem Christopher Lee – richtig, der legendäre Hollywood-Dracula und Saruman aus „Der Herr der Ringe“. Auf „A Heavy Metal Christmas“ hebt er zu einem „Little Drummer Boy“ an, wie man es noch nie gehört hat – dröhnend, kehlig und mit höllisch schneidigen Gitarrenriffs aus Christkinds Hinterzimmer. Ta-ratata-tam!
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