Maria Happel und die Last, ein Publikumsliebling zu sein
Maria Happel im Interview über die Festspiele Reichenau, womit ihre Tochter sie gekränkt hat, und ein Ehrengrab am Zentralfriedhof.
Im riesigen Garten diskutieren in einem Eck junge Menschen im Sesselkreis, am anderen Ende übt eine Gruppe den Kampfsport Aikidō. Wir treffen Maria Happel im ehrwürdigen Max-Reinhardt-Seminar in Wien, die bekannteste Schauspielschule im deutschsprachigen Raum wird von ihr geleitet. Ihre Schüler spielen auch bei den Festspielen Reichenau (in „Frühlings Erwachen“) mit, als neue Präsidentin des niederösterreichischen Theaterfestivals an der Rax hat sie für 2.7.–6.8. ein spannendes Programm zusammengestellt: „Die Möwe“ etwa mit ihrer Tochter Paula Nocker als „Nina“, oder die Damenversion von „Ein seltsames Paar“. Dazu kommen Gesprächsabende mit „Alten Meistern“ von Peter Stein bis Claus Peymann.
Jemand ist gut, wenn er so ist wie Tracy und sich nicht viele Gedanken macht. Einer, der beim Rausgehen auf die Bühne noch einen Witz reißt. Genauso gut ist aber jemand, der den ganzen Tag braucht, um sich für die Abendvorstellung vorzubereiten. Da tickt jeder anders.
Kommt auf das Stück an. Es gibt Rollen, da ist das möglich. Bei „Mutter Courage“ geht man anders rein als in „Arsen und Spitzenhäubchen“.
Wahrscheinlich. Der Wunsch zum Theater zu gehen war eine Schlussfolgerung dessen, was zuvor war. Verrückt eigentlich, wie jung man entscheiden muss, wie das Leben weitergeht und welchen Beruf man ergreift. Ich behaupte, dass ich Glück gehabt habe. Ich war am richtigen Ort, kannte die richtigen Menschen, vertraute darauf, dass alles seine Richtigkeit hat. Ich würde keinen anderen Beruf ausüben wollen. Für mich hat es sich gut gefügt. Andere haben weniger Glück.
Man weiß ja nie, wie weit der Weg ist, wenn man beginnt, ihn zu gehen. Man geht einfach los, so wie ich, raus aus dem Dorf, rein in die Großstadt, und sagt: Ich werde Schauspielerin. Und steht dann an einer U-Bahnstation, wo alle fünf Minuten so viele Menschen aus einem Zug steigen, wie sie im ganzen Dorf zuhause sind. Und von diesen Menschen ist nicht einer dabei, der wie im Dorf sagt: „Grüß dich, Maria.“ Das ist schon heftig.
Ich wurde am Anfang etwa wegen meines starken Heimatdialekts abgelehnt, der von einer Bühnensprache so weit entfernt war, wie ich von der NASA. Sich diesen Schwierigkeiten zu stellen, war hart. Aber: Nichts war so schlimm wie die Vorstellung, in mein Dorf zurückgehen zu müssen. Und einzugestehen: Ich habe es nicht geschafft.
Sehr schwer. Ich bin ja nicht gern gegangen, war dort gut aufgehoben. Es gab halt nur kein Theater. Das war der einzige Grund für mich wegzugehen.
Aus München kam eine Schauspieltruppe in meine Schule im Dorf. Sie spielten Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“, wir durften Mägde und andere kleine Rollen spielen. Ich dachte: Was, damit kann man Geld verdienen? Das will ich auch.
Die fanden das nicht so prickelnd. Sie haben mir aber auch keine Steine in den Weg gelegt. Meine Mutter träumte davon, dass ich Dom-Organistin werde. Mein Musiklehrer kam zu uns nach Hause und legte ein gutes Wort für mich ein. Ihm haben sie vertraut. Sie dachten, wenn sich dafür sogar ein Lehrer auf den Weg macht, wird da wohl was dran sein. Meine Eltern konnten mir zwar nicht helfen, aber haben immer an mich geglaubt. Und mir Rückhalt gegeben. Als mein erstes Jahr in Hamburg schwierig war, sagte meine Mutter zu mir: Weißt du, du kannst jederzeit zurück und heimkommen und zu uns auf den Weinberg. Sie haben mir eine große Sicherheit gegeben. Mein ganzes Leben lang. Ich war ein geliebtes Kind.
Bei uns spielen fünf Theatergenerationen. Vom 84-jährigen Martin Schwab bis zu meinen jungen Studenten des Reinhardt-Seminars in „Frühlings Erwachen“. „Die Möwe“ schließt für mich einen Kreis, weil meine erste Inszenierung in Reichenau von Tschechow war, „Der Kirschgarten“. Ich wollte auch von Anfang an eine Komödie im Programm, es wurde eine weibliche Version von „Ein seltsames Paar“. Claus Peymann ist da, Hermann Beil, Stefan Jürgens – viele kenne ich lange, bin ihnen freundschaftlich verbunden. Ich habe versucht, Brüder und Schwestern im Geiste um mich zu scharen.
Diese Bezeichnung kann auch eine Last sein. Ich frage mich ja selbst, wie ich zum „Publikumsliebling“ wurde, das ist ein Thema, das ich schon lange mit mir herumtrage. Entscheidend ist Folgendes: Man kann nun mal nicht aus seiner Haut. Und man macht nicht immer selber die Dinge, sondern man wird ja auch gemacht. Bei Thomas Bernhard heißt es etwa: Ein Theaterdirektor ist immer ein Arschloch. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig als eines geboren wird. Sondern er wird dazu gemacht. Ich habe mit der Übernahme der Festspielleitung jetzt auch einen neuen Kurs eingeschlagen, aber ich stelle mich dem.
Ach Gott, das kommt drauf an: Was die Waage sagt oder der Spiegel; manchmal kann ich mich überhaupt nicht leiden, oft sogar. Das hat aber nicht nur mit dem Gewicht zu tun. Ich mag mich auch nicht, wenn ich Dinge ungern tue, das gehört manchmal nur eben dazu. Dann werde ich unleidlich und das kriegt dann mein nächstes Umfeld ab, also immer die Falschen. Und ich kann mich nicht leiden, wenn ich etwas nicht schaffe, das ich mir vorgenommen habe. Mir gelingt nicht alles.
Das liegt in den Genen. Ich habe früh an der Orgel gelernt, dabei an mehreren Manualen gespielt, dann kamen Pedale dazu, Register ziehen, nebenbei die Predigt hören. Auf dem Klavier lag mein Geschichtsbuch. Das ist eine Fähigkeit. Ich kann hupen und lenken gleichzeitig. Das hilft sehr.
Ich höre manchmal, dass es Ähnlichkeiten gibt im Ausdruck. Ich kann das nicht bestätigen. Wir verstehen uns gut, als Mutter und Tochter. Aber wir reden nicht über Rollen oder Theater, sie lehnt es ab. Sie möchte sich alles selber erarbeiten und ich kann das verstehen. Manchmal ärgert es mich, dass die entscheidenden Fragen nicht an mich, sondern an den Vater (Schauspieler Dirk Nocker, Anm.) gehen. Aber es ist, wie es ist.
Am Anfang hat es mich gekränkt. Ich leite das Max-Reinhardt-Seminar, es gibt so viele, die gerne von mir unterrichtet würden. Aber sie will ihren eigenen Weg finden.
Nein. Es ist schwierig, über solche Dinge nachzudenken. Wichtig ist nur, dass irgendwann auf dem Grabstein steht: Hier liegt Maria Happel neben ihrem Mann. Der Rest ist mir relativ wurscht.
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