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Ludovico Einaudi: Warum hat der Pianist Millionen Fans auf TikTok?

Dank seiner Musik zu "Ziemlich beste Freunde" wurde der Italiener zum Megastar. Nicht der erste Film, der Klassik sexy machte.

Mit 66 Jahren nicht mehr ganz taufrisch, ist der Musiker und Komponist Ludovico Einaudi plötzlich ein Idol der weltweiten TikTok-Community. Wie konnte das passieren?

Wir erinnern uns. Der Film "Ziemlich beste Freunde" rührte uns vor Jahren nicht nur wegen der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Krankenpfleger und einem Unternehmer. Auch die paar locker auf die Tastatur geworfenen Piano-Melodien auf dem Soundtrack berührten die Herzen Millionen von Kinogängern. 

Das ist bald 20 Jahre her. Ludovico Einaudi, der ältere Herr mit dem großen Herz, hat sich seither nicht neu erfunden. Vielmehr hat eine neue Generation ihn und seine atmosphärischen Entspannungs-Booster für sich entdeckt.

Der Grund, warum der Neo-Klassik-Star aus Turin nun zum Idol der TikTok-Jugend wurde, liegt in seiner Einspielung des Stückes "Experience" vor neun Jahren. Dieses wurde eben auf TikTok als "Signation" für eine Challenge verwendet - und ging prompt durch die Decke.

"Experience" ist das 12. Stück auf dem 2013 erschienenen Album "In a Time Lapse" (Decca/DG). Ein Stück, das so schon für Rekorde gesorgt hat. Mit 1,8 Mio. Streams war es letzten November die Nr. 1 bei den US Classical On-Demand Audio Streaming-Charts. Zudem ist es das erste Klassikstück, das im Vorjahr die Millionenmarke geknackt hat.

Einaudi: Neues Album, neue Tour

Mit seinem eben erst veröffentlichten aktuellen Album "Underwater" geht der Superstar ab Samstag auf Tour. Start ist in Alba im Piemont. Österreichgastspiele wird es nicht geben, dafür drei Abende Anfang April im Gasteig in München.

So wie es Ludovico Einaudi bisher vermochte, der Klassik einen neuen Schwung zu verleihen, gab es immer wieder Filme, die neue Hörer für alte Klassikwerke anzogen. 

Top 10 der besten Klassik-Stücke in Filmen

1. "Zehn - Die Traumfrau" (1979), Maurice Ravel/Bolero

Manche Menschen haben einen Musikgeschmack, der nicht viel Diversität zulässt. Einmal Rock, immer Rock. Nicht so Traumfrau Jenny (Bo Derek) in der herrlichen Romanze von Blake Edwards. Zum erfolgreichen, aber in einer Midlife-Crisis steckenden Komponisten George (Dudley Moore) haucht sie an einem zweisamen Abend auf dem Sofa: "Ich höre Rock, ich tanze zu Jazz. Und ich f#... zu Prokofjew."

Auf Nachfrage berichtigt Jenny: "Ravel". Sein "Bolero", das sich ganz langsam entwickelnde Stück aus dem Jahr 1928, wurde sodann Ende der Seventies zum meist gespielten Standard bei einschlägigen Rendezvous.

2. "Apokalypse Now" (1979), Richard Wagner/Der Ritt der Walküren

Ins andere Extrem geht es - im selben Jahr ! - bei der Verwendung dieses wohlbekannten Stoffes. Regisseur Francis Ford Coppola setzte Richard Wagners Hymne beim Staffelflug von Tod bringenden Helikoptern an einer Küste vor Vietnam ein. 

"Einer der aufwühlendsten und stärksten Momente des Kinos", wie es ein Kommentar auf YouTube ganz richtig ausdrückt.

3. "Der Exorzist" (1973), Mike Oldfield/Tubular Bells

ProgRock, New Classic oder Minimal Music? Nachdem Regisseur William Friedkin dieses Musikstück für seinen bahnbrechenden Horrorfilm über von Dämonen besessene Menschen einsetzte, wurden sowohl Linda Blair, Darstellerin des Mädchens, als auch der junge Komponist weltbekannt - Mike Oldfield.

4. "2001 - Odyssee im Weltraum" (1968), Richard Strauss/Also sprach Zarathustra

Okay, der "Donauwalzer" kommt hier auch vor. Aber gestartet wird das cineastische Abenteuer im All mit dem anderen Strauss - Richard.

Vermutlich hat diese Verwendung des Klassikers den brasilianischen Musiker Eumir Deodato dazu inspiriert, "Zarathustra" vier Jahre danach durchs Jazz-E-Piano zu jagen.

5. "Furyo - Merry Christmas, Mr. Lawrence" (1983), Ryūichi Sakamoto/Merry Christmas, Mr. Lawrence

Regie: Nagisa Oshima, Hauptrolle: David Bowie - und eine Perle der Neuen Klassik auf dem Soundtrack.

Ein schönes Beispiel dafür, dass Filmmusik ein Stoff auch für die Pop-Charts sein kann. David Sylvain landete mit "Forbidden Colours", einer Vokalversion des Themas, im selben Jahr einen Riesenhit.  

6. "Koyannisqatsi" (1982), Philip Glass/Koyaanisqatsi

Die mittlerweile 40 Jahre alte filmische Anklage gegen den Raubbau an der Natur wurde zum Durchbruch für den US-amerikanischen Komponisten Philip Glass.

7. "Die fabelhafte Welt der Amelie" (2001), Yann Tiersen/Die fabelhafte Welt der Amelie

Vor knapp über 20 Jahren verzauberten sowohl der Film als auch die Melodie Millioinen Menschen auf der ganzen Welt. Die Komposition stammt von einem Kollegen Ludovici Einaudis, vom Neo-Klassiker Yann Tiersen.

8. "Das Damengambit" (2020), Erik Satie/Gnossiennes

Allein, der Einsatz dieses musikalischen Kleinods von Erik Satie beweist, wie stimmig diese Netflix-Serie über eine Schachspielerin ist. Der Regisseur hätte Beths Mutter ja auch die "Gymnopedie" klimpern lassen können...

9. "Barry Lyndon" (1975), Franz Schubert/Trio op. 100

Schon wieder ein Film von Stanley Kubrick, schon wieder passt alles zusammen: die Bilder, die Stimmung, die visuellen sowie akustischen Kompositionen. Bleibt nur eine Frage: Warum lauft ein Film wie dieser weder im Kabel-TV als auch auf den Streaming-Plattformen?

10. "A Clockwork Orange" (1971), Beethoven/9. Symphonie

Ludwig van wäre zurecht erbost gewesen, wie sein Opus hier einem bizarren Charakter auf den Leib gemünzt wird. Ja, schon wieder Kubrick... 

Wobei Ludovici Einaudi und Ludwig van Beethoven gar nicht einmal so weit voneinander entfernt sind. Zumindest was ihre Präsenz auf spotify ausmacht. Der Neutöner aus Turin hat auf der Streaming-Plattform 7,66 Millionen monatliche Hörer*innen, Beethoven 6,5 Mio.

Ludovico Einaudi

Einaudi, da war doch was, oder? Bei italophilen Menschen klingelt es bei diesem Namen. Ludovicos Vater Giulio gründete 1933 das renommierte Turiner Verlagshaus, das mit Autoren wie Cesare Pavese, Italo Calvino und Primo Levi bis in die 1970er-Jahre zum Nukleus des italienischen Geisteslebens zählte.

 

Ludovis Großvater Luigi Einaudi (1874-1961) war von 1948 bis 1955 Staatspräsident von Italien.

 

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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