„Jedermann" Michael Maertens: „Ich bin ein schlechter Verlierer“

Der neue „Jedermann“ im Interview. Michael Maertens über Lars Eidinger und wie er die Kult-Rolle anlegen wird.

Kaffee? So viel Zeit muss sein. Michael Maertens lädt ein. Dann setzen wir uns mit ihm zum Reden in die Künstlergarderobe am Akademietheater. Hier probt der Theaterliebling gerade „Weites Land“ von Schnitzler. Der Hamburger mag den Wiener Autor. Im Akzent Theater liest er am 9.3. zudem mit Gerti Drassl und Daniel Keberle dessen „Anatol“. Der Prototyp des Wiener Lebemanns, mit einer Liebschaft nach der anderen, und trotzdem unglücklich. Ab Sommer schlüpft Maertens in die Rolle eines weiteren Bonvivants: im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen.

Herr Maertens, was ist ein Lebemann für Sie?

Für mich ist der Begriff Lebemann positiv besetzt. Er hat etwas Erwachsenes: Ein Mann, der das Leben lebt. Schnitzlers Anatol jagt ja nicht dem Glück hinterher, sondern sucht den Sinn des Lebens und der Liebe. Ein Don Juan, der sich spüren will. Und dabei von einem Unglück ins nächste stürzt. Ein bisschen unreif, aber eigentlich eine sehr traurige Figur. Für mich stellt ein Lebemann aber nichts Trauriges dar.

Inwiefern sind Sie selber einer?

Ich war auch lange Zeit sehr unreif. Bin es immer noch: ein Spätentwickler. In meiner persönlichen Wahrnehmung bin ich kaum älter als 12 Jahre alt. Aber durch die notwendige Verantwortung, die ich übernehmen muss, etwa als Vater, entwickle ich mich langsam in Richtung eines 16-Jährigen.

Verantwortung übernehmen, fällt Ihnen das leicht oder schwer?

Mein Riesenglück ist, dass ich schon seit der Schauspielschule große Aufgaben übertragen bekomme. Diese Verantwortung nehme ich gerne an. Dazu lasse ich mich auch gern beraten, von Schauspielern und Regisseuren. Aber am Ende stehe ich jeden Abend alleine da oben auf der Bühne. Nicht zu langweilen und das Publikum zu vergnügen liegt in meiner Verantwortung.

Und wie ist das im Leben abseits der Bühne?

Es gab eine Phase, da lebte ich etwas unverantwortlicher. Da hatte ich allerdings auch noch keine Kinder. Für die steht man in der Pflicht, genauso wie für seine Eltern. Aber eigentlich ist Verantwortung ein blöder Begriff. Man muss einfach lieben, achtsam sein. Und aufpassen auf die Menschen, die man liebt. Gelingt Ihnen das gut? Da wächst man hinein. Ich habe auch kein Problem damit, Schwächen zuzugeben. Manchmal übernehmen sogar die Kinder für mich die Verantwortung. Wenn sie merken, ich bin überfordert. Kinder sind ja viel klüger als man selbst. Die spüren das. Und nehmen das Heft dann selber in die Hand.

Maertens: „Wahrscheinlich wird mein Jedermann ein älterer, weißer, keineswegs mit einem Astralkörper versehener Mann – nämlich ich.“

©Kurier/Gilbert Novy
Dekadenz ist ein wichtiges Thema in Schnitzlers Werk. Wie dekadent finden Sie die Gegenwart?

Ständig die heutige Zeit zu bejammern, das gefällt mir überhaupt nicht. Auch ich nehme wahr, dass im Moment alles ganz schön schwierig ist. Das Klima, dann diese furchtbare Armut, dieser entsetzliche Krieg. Das Erdbeben, jüngst in der Türkei. Aber wir waren in der Welt immer umzingelt von Katastrophen. Und immer wieder gab es eine neue Generation, die mutig voranging. Ab und zu findet man das Glück auf der Welt. Aber es gibt auch Irrwege.

Zum Beispiel?

Etwa, dass in der U-Bahn alle aufs Handy starren. Als 13-Jähriger war Bahnfahren für mich aufregend. Man nahm Blickkontakt auf, hat geflirtet. Ein sozialer Ort. Heute ist es ein einsamer Ort.

Maertens Handy läutet. Peter Simonischek, Schauspiel-Doyen und ehemaliger Jedermann, ruft an. Die Mailbox übernimmt.

Dieser Anruf erlaubt uns eine schöne Überleitung zum Thema „Jedermann“. Sie spielen die Rolle bald. Sind Sie bereit?

Peter Simonischek war ein imposanter Jedermann. Deswegen habe ich ihn auch um Rat für die Rolle gebeten. Aber es gibt mehrere Jedermänner, bei denen ich klauen will. Bei Niki Ofczarek etwa. Lars Eidinger verehre ich, den finde ich spektakulär. Bei dem klau’ ich auch. Und bei Moretti klau’ ich auch noch ein bisschen.

Ganz nach Brecht’scher Manier also, dass man stehlen darf, solange man bei den Guten stiehlt.

Klar, das hole ich mir alles. Dann füge ich auch noch ein Zipfelchen meiner Persönlichkeit hinzu, dann wird das ein Jahrhundert-Jedermann. (lacht)

Michael Maertens

Michael Maertens

Michael Maertens wurde 1963 in Hamburg geboren. Als Spross einer Theaterfamilie: Opa Willy Maertens, Oma Charlotte Kramm, Vater Peter. Maertens Geschwister Kai und Miriam sind ebenfalls Schauspieler. Er ist Ensemblemitglied der Wiener Burg. Eine Tochter (14), ein Sohn (12) mit Schauspielerin Mavie Hörbiger.  

Wird Ihnen die Rolle schwerfallen, weil das Jahr zuvor noch mehr Tamtam darum gemacht wurde als sonst?

Ich lasse mir das nicht schlecht reden. Man kriegt wahnsinnig viel Geld bezahlt, unglaublich viel Aufmerksamkeit, dazu ist es eine schöne Rolle, mit fantastischen Kollegen. Es wäre ja völlig idiotisch, wenn ich mich beschweren würde. Ich gehe fest davon aus, dass mir das Spaß bringt. Falls nicht, hab ich irgendwas falsch gemacht.

Und der Trubel?

Dem kann ich ganz gut aus dem Weg gehen. Ich muss nicht bei jedem Schwammerl-Essen dabei sein. Da bin ich vielleicht nicht ganz so offen dafür wie andere vorher.

Manche halten das Stück für veraltet.

Jemand wird am Zenit seines Lebens vom Tod heimgesucht. Das kann uns allen passieren, rausgerissen zu werden aus dem Leben. Ich fand dieses allegorische Spektakel immer schon modern. Es hat mich schon als Kind fasziniert. Wenn man es ins Heute holt, mit den Geschlechterrollen modern umgeht, finde ich es noch reichhaltiger.

Werden Sie sich die Haare abrasieren für den „Jedermann“, ein Kleid anziehen, sonst etwas Spektakuläres anstellen?
In sieben Wochen Probe entscheidet sich, wie ich die Rolle anlege. Aber ich ahne schon, dass mich der Aspekt High Heels oder Kleid in der Figur nicht so sehr interessiert. Wahrscheinlich lege ich ihn als älteren, weißen, keineswegs mit einem Astralkörper versehenen Mann an – nämlich mich. Das Feminine, das bringe ich sowieso immer mit. Ich bin nicht der Prototyp eines Mannes. War ich nie. Meine Figuren haben immer etwas Androgynes. Aber wahrscheinlich bin ich ohnehin der letzte Jedermann. Danach wird die Rolle bestimmt mal eine Frau spielen. Und das ist gut so.
Sie sagten einmal, Sie wären gern unsterblich. Wird das dank „Jedermann“ gelingen?
Der Nachruhm ist mir relativ egal. Ich möchte nicht sterben, weil ich dann so viel versäume. Ich bin so gern auf dieser Welt. Und unheimlich neugierig, wie’s weitergeht. Das kriege ich nicht mit, wenn ich tot bin, und das finde ich blöd.
Wie entspannen Sie?
Ich bin Tennis-süchtig. Mittlerweile träume ich mehr vom Tennis als vom Theater. Aber ich bin ein schlechter Verlierer. Neulich sah ich im TV einen Spieler drei Schläger zertrümmern, das hätte ich sein können. Ich benehme mich auch ungehörig, schreie herum, trete gegen die Bank. Ich bewundere am meisten John McEnroe: Spielwitz tritt Intelligenz trifft Unterhaltung. Er ist für mich der größte Spieler aller Zeiten.
Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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