Jamie Lee Curtis: „Ich bin jetzt der verdammte Boss!“
In „Halloween Ends“ tritt Jamie Lee Curtis zum letzten Kampf gegen Michael Myers an. Ihr letzter Schrei? Im Interview spricht sie über ihren Status als Scream Queen und was die MeToo-Bewegung mit all dem zu tun hat.
Zum Finale erscheint sie in Rot, wie passend. Zwar nicht in Blut gebadet, doch im seltsam strengen Kostüm, das auch einer Chefbuchhalterin bieder zu Gesicht stehen würde: roter Rock, rotes Oberteil, rote Jacke. Dazu so breite Schulterpolster, also wolle sie sich auf der Stelle zurück in die Achtziger beamen. Auch das Setting fürs Interview versprüht das Flair jener spießigen Kleinstadtwelt, hinter deren Thujen der Tod lauert. All das an diesem Auftritt passt also merkwürdig zusammen. Die Farbenwelt, der Verweis auf die Hoch-Zeit der Horrorfilme, die Idyllen-Attrappe, die uns jetzt erneut in „Halloween Ends“ messerscharf als Schlachtplatte serviert wird, dem endgültig letzten Teil der erfolgreichen Filmreihe. Auch der Auftritt von Jamie Lee Curtis im Business-Outfit ist schlüssig: Alles, was sie sei, wird sie sagen, habe sie den „Halloween“-Streifen und ihrem Mastermind John Carpenter zu verdanken. Anfangs blutjunge Debütantin, dann der letzte Schrei in Hollywood, heute arriviert. „Ich bin jetzt der Boss!“, sagt Curtis. Sie klingt entschlossen.
Aber was heißt schon letzter Schrei. Die heute 63-jährige Amerikanerin ist zwar einerseits Genre-Maßstäbe setzende „Scream Queen“. Gleichzeitig war sie immer das „Final Girl“. Also jenes Mädchen, das in Horrorfilmen nicht wie all die anderen zuvor grausam dahin gemeuchelt wurde. Ihre Tugend, also moralisch einwandfrei, drogenfrei und sexuell enthaltsam zu sein, so die landläufige Interpretation, bewahrt sie vor dem grausamen Tod – so reaktionär kann die Traumfabrik sein.
Das Finale: „Halloween Ends“
Als Jamie Lee Curtis ihre tugendhafte Babysitterin Laurie Strode in „Halloween“ zum ersten Mal gab, war es 1978. Im für 325.000 Dollar billig abgekurbelten „Halloween – Die Nacht des Grauens“ wird sie vom messerschwingenden Maskenmann Michael Myers heimgesucht. 44 Jahre später ist der Killer immer noch hinter ihr her. Das hat seinen Grund: Die Slasherfilme sind eines der erfolgreichsten Film-Franchises aller Zeiten.
Als es 2018 neu gestartet wurde, machte der damalige Teil so gut Kassa, dass das Morden nicht enden durfte. Der neue Teil „Halloween Ends“ (ab 13.10. im Kino) spielt vier Jahre nach den Ereignissen von „Halloween Kills“. Laurie lebt bei ihrer Enkelin und beendet ihre Memoiren. Michael Myers möchte diesen jedoch ein blutig-schnittiges Kapitel hinzufügen. Also hebt die Saga an zum letzten Gefecht: B-Movie-Horror vom Feinsten. Und mittendrin Jamie Lee Curtis, wie man sie kennt: knallhart, kaltblütig, konkurrenzlos.
Laurie Strode war das ultimative MeToo-Opfer.
Für immer Scream Queen
Das Gerücht, es wäre ihr mittlerweile nicht mehr ganz so recht, als die ultimative Scream Queen bekreischt zu werden, adressiert Curtis ins Reich der Märchen. „Ich habe null Probleme damit“, verrät sie uns. „Wie könnte ich?“ Die lang anhaltende Verehrung einer eingeschworenen Fangemeinde und ihre Angstlust genannte Sucht nach dem Thrill, Curtis ist sie bewusst und sie weiß sie wertzuschätzen. Angeben will sie nur nicht damit. „Ich wache nicht morgens auf, schaue in den Spiegel und sage zu mir selbst: ,Hey Queen, gut siehst du aus‘“, erklärt sie trocken. „So bin ich nicht, das ist nicht mein Ding, ich trage dieses Prädikat nicht vor mir her. Es bedeutet einfach, dass man ein gewisses Maß an Akzeptanz und Wertschätzung erreicht hat.“
Nicht nur gelang es Curtis, in einschlägigen Gruselschockern wie „Prom Night – Die Nacht des Schlächters“ oder „The Fog“, die den Anfang ihrer Laufbahn bestimmten, das Ende dieser Filme zu erleben. Im Gegensatz zu anderen Scream Queens wie Heather Langenkamp („A Nightmare on Elm Street“, als Opfer von Freddy Krueger mit den Scherenhänden) oder Adrienne King („Freitag, der 13.“) konnte sie sich langfristig und erfolgreich auch in anderen Genres etablieren. Sogar die völlig leinwande Kehrtwendung gelang ihr: Mit Filmen wie dem Kinohit „Ein Fisch namens Wanda“ tauschte sie – sexy, selbstironisch, selbstbewusst – Killer gegen Komödie.
Sucht als persönlicher Horror
„Das Schöne am Menschen ist“, sagt Jamie Lee Curtis, „dass wir uns weiterentwickeln. Wir verändern uns. Wir erforschen neue Ideen, wir lernen. Wir machen Erfahrungen, erweitern unseren Geist, heilen Wunden – wir machen Fortschritte.“ Einige von uns, referiert sie weiter, könnten jedoch auch in einen „tiefen Strudel aus Sucht, Missbrauch und Alkoholismus“ geraten. „Ich habe einige schlechte Entscheidungen in meinem Leben getroffen.“ Und spielt damit in zwei Nebensätzen darauf an, was sie selbst erlebt hat: die zehnjährige Abhängigkeit, in Curtis’ Falle vom Schmerzmittel Vicodin, dass sie nach einer Augenoperation nicht aufhörte zu nehmen – und bald täglich eine Handvoll Tabletten mit Rotwein runterspülte.
Während ihr Halbbruder Nicholas 1994 an einer Überdosis Heroin starb, entkam die Schauspielerin der Sucht. Anzunehmen, dass solche Schicksalsschläge mit ein Grund sind, warum Curtis keinesfalls je ihre Memoiren verfassen möchte: „Ich habe mein Leben ohnehin sehr offen und transparent gelebt“, stellt sie fest, „und die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens viel Aufmerksamkeit bekommen. Einige Dinge muss ich dann doch für mich behalten. Geheimnisse, private Momente mit Freunden und Liebhabern und der Familie für Geld verraten – das wird nicht passieren.“
„Halloween“ und MeToo
Nicht hinterm Berg hält Curtis damit, was sie über „Halloween Ends“-Regisseur David Gordon Green denkt: Sie hält ihn für ein Genie, das gesellschaftliche Strömungen bereits in den zwei „Halloween“-Filmen davor narrativ erlebbar gemacht hat. „Er hat die aufkommende Wut der Frauen vorausgeahnt. Frauen, die sich ihre Macht zurückholen. Die erzählen, was ihnen geschehen ist und nicht mehr bereit sind, das zu akzeptieren.“ In Slasher-Movies, wer wenn nicht Jamie Lee Curtis wüsste das, ging es immer schon um mehr als bloß um Blut und Beuschel. Wer ist das Opfer? Wer sind die Täter? Welche Ängste, Ressentiments und welche Wut beherrschen welches Milieu? „Laurie Strode“, so Curtis über ihre Rolle, „war das ultimative MeToo-Opfer.“
In der Tat frönen Horrorfilme stets einem brutal-patriarchalischen Blickwinkel: unmenschlich starke Männer als Gewalttäter, hilflose, schwache Frauen als Opfer. Dass Laurie Strode mit der aktuellen Trilogie deutlich selbstbewusster und kämpferischer geworden ist – eine Heldin, die sich nichts mehr gefallen lässt und, Auge um Auge, zurückschlägt – liegt im Trend der Zeit. „Durchsetzungsvermögen, Mut, Stärke, Intelligenz, dazu knallhart und liebend: Es ist ein Privileg, dass ich in meiner Laufbahn Figuren mit solchen Attributen darstellen durfte. Besonders Laurie gehört dazu. Ich könnte nicht glücklicher sein, genau da zu sein, wo ich jetzt bin.“
Ob ihr der Abschied von ihrer Rolle schwerfallen würde? Von diesem großen Teil ihres Lebens? Von Michael Myers? Jamie Lee Curtis hält kurz inne. Dann sagt sie: „Abschied zu nehmen fällt immer schwer. Aber ich habe diesen Filmen auch ein völlig anderes Leben zu verdanken. Und dafür bin ich unendlich dankbar. Es sind Slasher-Filme! Aber sie haben auch Tiefgang. Deshalb sind sie so gut. Sie verschafften mir Ansehen in meiner Branche. Ich bin jetzt ein verdammter Boss! Und ich war vorher nie ein Boss. Ich bin also mehr als glücklich, dass ich mich verabschieden kann – weil es mir Gelegenheit gibt, auch andere Sachen zu drehen.“
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