Iris Apfel

Das private Vermächtnis von Mode-Ikone Iris Apfel

102 Jahre wurde Iris Apfel alt. Jetzt erscheint ihr Vermächtnis als Buch. Über allem schwebt die Frage: Was macht glücklich?

Nicht aufzufallen war für diese Dame keine Option. Das Bild, das wir oben als Artikelaufmacher sehen, illustriert das perfekt: Wie eine exotische Königin thront Iris Apfel da, dahingeweht auf einem Brokatsofa, überreich bestückt mit floral bestickten Seidenpolstern im saftigsten Türkis und wonnigsten Rot. Umstellt wird sie dabei von sorgsam ausgewählten Sammlerobjekten. 

Einem bronzeschmiedernen Äffchen etwa, das als Kerzenhalter fungiert, einem Ölgemäldeschinken, und ist das auf dem Diwan etwa ein Teddybär? Inmitten all dem schließlich die Dame des Hauses selbst: Iris Apfel, wie immer mit übergroßer Brille und gekleidet in einen bodenlangen Mantel, der anmutet wie das schillernde Federkleid eines Paradiesvogels. Die New Yorker Salonlöwin als Epizentrum eines Schaukastens, der nur so schreit vor Lust auf Farben, Muster und Extravaganz. 

Es ist die Welt einer Stilikone, die mit ihrer zelebrierten Lebenslust und ihrer trotz greisen Alters Funken sprühenden Kreativität unsere Welt ein bisschen besser machte. Als sie diesen März im Alter von 102 Jahren starb, trauerte die Modewelt, aber nicht nur diese. Iris Apfel war Kult. Ein Buch, das passenderweise „Colorful“ heißt, fasst nun, gespickt mit unveröffentlichten Privatfotos, ihr Vermächtnis zusammen. Das bunte Erbe einer Frau, die als Influencerin und Modeikone eine zweite Karriere einschlug – und das in einer kultisch die Jugend anbetenden Welt und mit stolzen 83 Jahren. Wie konnte das gelingen?

Die Queen von der Park Avenue: „Ich mag es groß und kühn und mit viel Pep“

©richard phibbs/trunk archive

Berühmt durch Zufall

Eine Schutzpatronin des Stils war sie ja schon immer. Geboren 1921 im wenig glamourösen New Yorker Stadtteil Queens studierte Apfel zunächst Kunstgeschichte und Kunst und schlug danach eine Laufbahn als Innenausstatterin ein. Als sie 1948 Carl Apfel ehelichte, heiratete sie die Liebe ihres Lebens. Zusammen gründeten sie eine Firma für Wohntextilien. Granden wie Greta Garbo vertrauten auf ihren Rat. Auch der Vatikan tat das. Und das Weiße Haus. Neun Präsidenten hörten bei der Innendekoration auf Apfel – einzig Jackie Kennedy, immer schon Fan des Pariser Chic, lehnte ab. 

Berühmt wurde sie jedoch, und das gegen ihren Willen, mit 83. Das Metropolitan Museum of Art veranstaltete eine Ausstellung mit den Schätzen, die sie auf der ganzen Welt gesammelt hatte. Schmuck, Designerkleider, Accessoires. Die Schau wurde ein Hit. Und Apfel zur Ikone, weil allen klar war: Hier handelt es sich um eine Frau, die sich weder um den Massengeschmack noch saisonale Trends schert, sondern stets ihrem eigenen, eigenwilligen, einzigartigen Gespür für Stil folgt. „Ich mag es groß und kühn und mit viel Pep“, sagte sie und die Welt liebte sie dafür. 

Mut zum Muster

Sie modelte für MAC Cosmetics, Citroën oder H&M, saß bei Modeschauen in der ersten Reihe, eine Doku über sie entstand, und auf Instagram folgten ihr Millionen. Den Vanilla und Clean Girls muss bei ihrem Anblick der Matcha-Latte aus der Hand gefallen sein. So viel Mut zum Muster ist auch schwerlich zu fassen. Apfel war ein Gesamtkunstwerk an Extravaganz. Die kontemplative Hingabe an Pastell suchte man bei ihr vergebens. Zu blutarm! „Diese Farben geben mir keine Energie.“ 

Apfel priorisierte stets das Intensive, nicht das Beschwichtigende. Das Leben zum Spektakel zu machen hatte sie sich unübersehbar als Motto an die Fahnen geheftet. Ihre Garderobe glich einer Schatzkiste an exotischen Exponaten, sie trug antike chinesische Gewänder oder florale Stücke, die von Gianni Versace persönlich mit der Hand bemalt waren. „Wir brauchen Farbe in unserem Leben, denn das Leben ist oft eintönig – an schlechten Tagen sogar grau in grau.“

„Schönheit ohne Persönlichkeit ist nichts wert“, so die Modeikone

©iris apfel

Das Geheimnis ihrer Ehe

Das 288-Seiten-Buch ist eine Liebeserklärung ans Leben und eine wohltuende Aufforderung zur Selbstliebe. Sei mutig und hab Spaß! Trau dich aus deiner Komfortzone! Wir haben nur ein Leben – genießen wir es! So und ähnlich lauten Apfels Devisen und Kapitelüberschriften. Die Bilder aus ihrer Jugend zeigen eine lebenshungrige Frau, die neue Erfahrungen mit offenen Armen begrüßte und ihre Abenteuerlust am Bereisen ferner Länder stillte. 

Es ist ein Blick durchs Schlüsselloch. Wie sie mit vollen roten Lippen in einer weißen Bluse auf einem Bett sitzt, als wäre sie gerade einem Film noir entstiegen, der Blick distanziert und interessiert zugleich. Oder sie liebevoll von ihrer Mutter erzählt, die sie stark beeinflusste. „Sie wusste, was sie wollte und wer sie war. Das hat mich tief beeindruckt.“ Wenngleich die völlig anders war als sie selbst. „An ihr war immer alles perfekt, kein Haar, das nicht an seinem Platz war. Sie war viel disziplinierter als ich. Ich habe früh verstanden, dass ich ich selbst sein muss, um glücklich zu sein.“

Ausgiebig erzählt das neue Buch von Iris Apfels Jugend und ihren Reisen und zeigt Fotos davon

©Iris Apfel

"Nie eifersüchtig sein"

Was Iris Apfels Vermächtnis auch ist: Zeugnis einer großen Liebe. Das Leben der Park-Avenue-Queen war kein Egotrip. Selbstverwirklichung? Ja. Aber in einer Beziehung, die von Zuneigung und gegenseitiger Inspiration geprägt war. „Mein Leben ist erfüllt von Liebe, Begeisterung und einer großen, unstillbaren Neugier“, sagte sie. 

In ihrem Mann Carl hatte Apfel ihr Pendant gefunden. Kennengelernt hatten sie sich im Urlaub. Obwohl er meinte, sie gefiele ihm, falls sie sich die Nase richten lassen würde, wollte er sie unbedingt wiedersehen. Bald heirateten sie. „Wir haben nie aufgehört, Spaß miteinander zu haben. Eine gute Ehe zeichnet sich durch Geduld und viel Sinn für Humor aus. Und man darf nie eifersüchtig sein oder sich gegenseitig einengen.“

Runde Sache: Mit ihrem Mann Carl teilte Iris die Vorliebe für Statement-Brillen, Mode und Reisen

©Iris Apfel

Bewusst blieben sie kinderlos. Leben hieß für sie Reisen, „Colorful“ ist auch die Story einer Amerikanerin, die sich in Europa verliebte. Eine Zeit, in der Iris und Carl unermüdlich auf Souks, Basaren und Flohmärkten nach Stoffen für ihre Firma suchten. Aus London und Paris, „jedem Quadratzentimer Italien“, Griechenland, der Türkei bzw. Marokko oder Pakistan kehrte sie begeistert zurück. Einzig, dass sie nie bis Indien kam, bekümmerte den Fan bunter Panier. „Die Muster in meinem Leben stehen für die Abenteuer, die ich erleben durfte.“

Carl Apfel war Iris' perfektes Pendant. Liebevoll rief sie ihn „Pussycat“

©andreas laszlo konrath/trunk archive

In Sachen Stil ist alles erlaubt

Stil-Regeln aufzustellen kam Iris Apfel aber nie in den Sinn. „Ich möchte nicht, dass Sie sich anziehen wie ich“, erklärt sie dem Leser. „Entdecken Sie Ihre Fantasie und vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl! Tragen Sie, was Ihnen gefällt. Leben Sie, wie Sie möchten. Seien Sie selbstbewusst und authentisch!“ Verspielt zu bleiben und auf sein inneres Kind zu hören, war Apfels Lebenselixier. Stil gehorchte für sie keinem Regelwerk, sondern galt als Manifestation des Geistes, schöpft aus Erfahrungen, Gefühlen, Vorlieben. 

Apfel liebte arabische Seidenstoffe, die Kunst der amerikanischen Ureinwohner, nordafrikanische Teppichmotive und venezianische handbemalte Möbel. Antiken Mustern hauchte sie intuitiv neues Leben ein. Ihre Einflüsse bezog sie aus allem: von Architektur über Malerei bis Jazz. „Design nährt meine Seele“, diagnostizierte Iris Apfel. Und: „Wir brauchen mehr Spaß. Mehr ist mehr. Und weniger ist langweilig.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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