Interview mit Julia Franz Richter: Kleiner Glatzkopf mit Schnauzer
Die österreichische Schauspielerin verkörpert in dem heimischen Sci-Fi-Film „Rubikon“ eine Astronautin im moralischen Dilemma
Der heimische Film ist nicht gerade für seine Produktion von Science-Fiction bekannt. Umso neugieriger war Julia Franz Richter, als sie von „Rubikon“ erfuhr. Es handelt sich dabei um das Langfilmdebüt von Regisseurin Leni Lauritsch – und spielt im Weltall.
Sie spielen in einem sehr ungewöhnlichen Projekt, dem österreichischen Science Fiction-Film „Rubikon“, die Hauptrolle. Können Sie erzählen, wie Sie zu der Rolle gekommen sind?
Julia Franz Richter: Ich kam ganz klassisch über ein Casting an die Rolle und fand sie sofort spannend, weil es für den deutschsprachigen Raum ein so unübliches Projekt war. Es ist ja nicht so, dass man sofort denkt: „Na klar, österreichische Science-Fiction – das kennen wir!“ (lacht). Es hat mich dann schon aufgrund der Form interessiert. Insofern war ich sehr gespannt. Ich fand das Drehbuch auch inhaltlich gewichtiger als ich es bei einem Science Fiction Film im klassischen Sinn erwartet hätte.
Der Film wurde auf Englisch gedreht. War das für Sie der erste Dreh in einer anderen Sprache?
Es war mein erster englischer Film, und das war natürlich auch eine Herausforderung. Sprache hat ja viel mit den Emotionen zu tun, die man beim Spielen zeigt. Wenn es nicht die Sprache ist, in der man denkt, wird es ein bisschen sperriger, sich in die emotionale Führung des Textes hineinzufinden.
Haben Sie sich für die deutsche Fassung selbst nachsynchronisiert?
Ja, und ich bin nicht besonders gut im Synchronisieren. Ich fand das recht stressig.
Sie sind in Wiener Neustadt geboren, was man Ihrem deutschen Akzent nicht anhören würde. Haben Sie das „Österreichische“ verloren?
Ich habe es immer wenig „gehabt“, weil meine Eltern nicht wirklich im Dialekt mit uns gesprochen haben, als wir klein waren. In vielen österreichischen Projekten spielt das Idiom eine große Rolle und hat etwas Identitätsstiftendes. Ich bin aber natürlich auch damit aufgewachsen, deshalb ist das schon Zuhause für mich. Aber es kommt mir nicht in jedem Kontext natürlich vor. Mein „deutsches“ Deutsch kommt sicher auch daher, dass ich viel auf dem Theater gearbeitet und in Deutschland gelebt habe.
In der Filmgeschichte gibt es nicht allzu viele Astronautinnen. Zuletzt sah man Sandra Bullock in „Gravity“ oder Eva Green in „Proxima“ in dieser Rolle. Hatten Sie Inspirationen?
Es gab einen Sci-Fi-Film mit dem Titel „Another Earth“, der davon erzählt, dass man auf einer „zweiten Erde“ so etwas wie ein neues Leben beginnen kann. Das fand ich ein sehr spannendes Gedankenexperiment und hat auch verdeutlicht, wie wenig es braucht, um ein Science-Fiction-Setting zu behaupten. Ich finde Sci-Fi insofern spannend, weil es spekulativ ist und neue Denkanstöße liefert.
Das Setting eines Raumschiffes hat etwas recht Beengendes. Was war die größte Herausforderung für Sie beim Spielen?
Die größte Herausforderung war tatsächlich emotionaler Natur, weil es für meine Figur Hannah Wagner eine sehr große Bandbreite gibt und die Ausgangsposition extrem ist. Es handelt sich ja um ein ur-dystopisches Szenario: Die Welt ist untergegangen und Hannah befindet sich isoliert auf einem Raumschiff mit zwei Menschen, die sie nicht kennt. Zudem ist sie permanent überfordert, weil sie, von Beruf Soldatin, Entscheidungen selbst treffen muss und nicht, wie zuvor, Anweisungen von oben erhält. Diese emotionalen Bögen nachvollziehbar zu machen, war, wie bei den meisten Projekten, die größte Herausforderungen für mich.
„Rubikon“ erzählt von einer Umweltkatastrophe und einem sich daraus ergebenden Klassenkampf, in der es um die Frage geht: Wer wird überleben? Die Reichen oder die Armen, die einzelnen oder das Kollektiv? Wie haben Sie diesen Grundkonflikt empfunden?
Was mir besonders an diesem Film gefällt, ist die Tatsache, dass er verdeutlicht, wie die Klimakrise den Unterschied zwischen den Klassen zuspitzt. Wenn die Ressourcenknappheit nicht dazu führt, dass man solidarisch denkt und umverteilt, läuft es schief – und es sieht ganz danach aus. Es endet damit, dass sehr wenige Menschen sehr viel besitzen und der Rest der Gesellschaft gar nichts. Das ist die zugespitzte Annahme des Films. Für meine Figur ist das wichtig, weil sie eine von denen ist, die nicht zu den Privilegierten gehört und plötzlich begreift, was das für ihr Leben bedeutet. Ich persönlich kann die Entscheidung, die sie dann trifft, total nachvollziehen. Außerdem gefällt mir, dass sie die stereotype Rolle der aufopferungsvollen Heldin nicht erfüllt.
Tatsächlich werden die Männer- und Frauenbilder durcheinander gewürfelt.
Das mochte ich so an „Rubikon“: Meine Figur ist nicht die typisch „starke Frau“, die einfach den typisch „starken Mann“ ersetzt, nur mit dem Unterschied, dass sie – wie in vielen anderen Filmen – einfach einen sexy Anzug trägt. Das hat für mich nichts mit Stärke oder einer starken Figur zu tun. Ich fand es spannend, dass Hannah verletzlich ist und das auch zulässt.
Sie bestreiten den gesamten Film praktisch zu dritt – eine Frau und zwei Männer. Wie war das Zusammenspiel mit Ihren beiden Kollegen?
Beide – Mark Ivanir und George Bladgen – sind sehr feine Kollegen. Besonders George, der meinen jungen Kollegen Gavin spielt, legte immer so eine britische Höflichkeit an den Tag. Wir mussten uns alle schon insofern aneinander annähern, weil wir in Bezug auf Schauspielarbeit sehr unterschiedlich sozialisiert wurden. In England oder den USA sieht die Arbeit ganz anders aus als in Österreich.
Wie wurden Sie als Schauspielerin sozialisiert?
In Österreich gibt es – besonders beim Film – einen hohen Authentizitätsanspruch. Es muss immer alles sehr authentisch sein und man sieht bei vielen Filmen den Leuten buchstäblich beim Leben zu. Ich mag diese Art von Filmen. Aber bei meinem britischen Kollegen habe ich bemerkt, dass er einfach eine Figur spielt, in die er sich, immer wenn die Kamera angeht, verwandelt. Ich habe sozusagen mehr von der Figurenarbeit gesehen. Für mich ist es eigentlich immer so, dass zwischen mir und dem fremden Text, dem Kostüm und dem Setting – also zwischen meiner Person und diesen Hürden – die Figur stattfindet, die ich spiele. Ich habe schon auch in Filmen gespielt, die sehr nah am Dokumentarischen dran waren. Aber ich würde für mich sagen, dass ich es spannend finde, auch andere Herangehensweisen zu probieren. Sie machen nicht nur Filme, sondern spielen auch viel am Theater.
Haben Sie eine Vorliebe?
Ich habe insgesamt mehr Theater gespielt, als Filme gedreht, aber ich habe keine Vorliebe. Ich bin glücklich, dass ich beides machen kann, weil es so unterschiedliche Arbeitsprozesse sind. Beim Theater geht es mehr um den Produktionsvorgang, der bis zum Schluss nicht fertig ist, weil er sich von Vorstellung zu Vorstellung verändert – je nachdem, was man für ein Publikum hat oder in welcher Tagesverfassung man sich befindet. Ich liebe es, dass es so vibriert und jedes Mal anders sein kann. Beim Film hingegen dreht man etwas und sieht dann erst ein Jahr später ein fertiges Produkt, dass vielleicht ganz anders aussieht, als man es im Drehbuch gelesen hat. Meine Verantwortung endet dann einfach mit dem Drehschluss. Und natürlich ist es manchmal auch schwierig, wenn ich zum Beispiel am Theater eine Figur oder eine Geschichte verkörpere, hinter der ich nicht ganz stehe, die ich aber jeden Abend auf der Bühne verteidigen muss. Beim Drehen ist es dann vielleicht auch leichter zu sagen, okay, es liegt jetzt nicht mehr in meiner Entscheidungsmacht.
Sie haben mit Regisseurinnen wie Katharina Mückstein in „L“Animale“, mit Marie Kreutzer in dem Landkrimi „Vier“ und jetzt mit Leni Lauritsch in „Rubikon“ zusammengearbeitet, aber auch mit Männern, etwa mit Günter Schwaiger in „Der Taucher“. Gibt es für Sie einen Unterschied, wenn die Regie weiblich ist, oder spürt man das bei der Arbeit nicht unbedingt?
Doch. Ich würde nicht sagen, dass Frauen notwendigerweise immer die feinere Kommunikation haben. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich bei den Regisseurinnen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, mit dem berühmten „male gaze“, dem männlichen Blick betrachtet werde. Ich spielte bei ihnen oft vielschichtigere Charaktere, die sich weniger an Stereotypen orientieren. Ich habe beispielsweise mit der „Rubikon“-Regisseurin Leni Lauritsch über viele Dinge diskutiert und es gab auch Reibungen, aber ich hatte immer das Gefühl, dass mit der Protagonistin sehr verantwortungsvoll umgegangen wird. Was ebenfalls ein wichtiger Punkt ist: Bei Regisseurinnen sind auch häufig mehr ´Frauen und queere Menschen im Team. Und das ergibt manchmal schon auch einen anderen Umgangston.
Katharina Mückstein hat über Instagram eine #MeToo-Welle ins Rollen gebracht und auf viele Missstände wie Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe innerhalb der österreichischen Filmbranche hingewiesen. Wie haben Sie das erlebt?
Es ist leider eine Illusion zu glauben, dass #MeToo nur ein Generationenthema war und mit den 80er Jahren aufgehört hat. Ich habe so oft mit Kollegen und Kolleginnen über dieses Thema gesprochen, und über die Erfahrungen, die wir alle gemacht haben und die uns teils sprachlos zurück lassen. Deshalb fand ich die Initiative von Katharina Mückstein so wichtig. Weil #MeToo und die Aufarbeitung in Österreich und Deutschland noch gar nicht richtig angefangen hat. Hier sind noch keine „Köpfe gerollt“. Hier können noch viele Leute arbeiten, von denen man weiß, dass sie Grenzen mehrfach überschritten haben. Ich beobachte auch manchmal, wie Regisseure über Kolleginnen und Kollegen sprechen. Ich, beziehungsweise wir alle sind immer wieder mit unterschiedlichen Formen von Sexismus konfrontiert. Bei #MeToo geht es oft und zu Recht um Übergriffe, aber es nimmt seinen Anfang in sexistischer Sprache, stereotypen Darstellungsformen, bei den Arbeitsbedingungen. Die Spitze des Eisbergs sind die Übergriffe. Ich glaube, dass es für viele Betroffene immer noch sehr schwer ist, darüber zu sprechen, weil die Angst extrem groß ist, dass du als Opfer von Machtmissbrauch oder sexualisierter Gewalt bestraft wirst und nicht die Person, die sich dir gegenüber übergriffig verhalten hat. Und gerade, wenn du vielleicht weniger soziale Kontrolle hast, weil du entweder Student oder Studentin bist, am Anfang deiner Karriere stehst oder Produktionsassistentin oder Produktionsassistent bist und keinen großen Bekanntheitsgrad hast, ist es besonders schwer. Weil es immer noch bequemer ist, jemanden mit weniger Macht auszutauschen als beispielsweise einen berühmten Regisseur.
Worauf achten Sie bei Ihrer Rollenauswahl?
Es geht mir um einen verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit Geschlechterrollen und Erzählungen, die nicht bloß ein bestimmtes, altbekanntes Weltbild untermauern.
Haben Sie ein feministisches Standing?
Ja. Ich habe eine klare Haltung zu feministischen Themen und die ist vielleicht über die letzten sieben Jahre, in denen ich diesen Beruf gemacht habe, immer „stärker“ geworden. Das geschah einfach deswegen, weil mir auch immer bewusster geworden ist dass wir nicht da sind, wo ich mir gedacht hätte, dass wir in dieser Branche stehen. Mir ist wichtig, dass jemand nicht einfach Klischees und Genderstereotype reproduziert.
Woran arbeiten Sie derzeit?
Ich war zwei Jahre fest im Ensemble vom Volkstheater und bin jetzt noch als Gast dort. Ich spiele noch in zwei Produktionen aus den letzten Spielzeiten, darunter in dem Ernst-Jandl Abend „humanistää!!“. Das ist mein Lieblingsabend. Ich war der kleine Glatzkopf mit Schnauzer. (lacht) Ab Oktober werde ich in „Der Würgeengel“ nach Buñuel unter der Regie von Sebastian Baumgarten auftreten. Dann probe ich noch mit Claudia Bossard ein neues Stück, das „In den Alpen//Après les Alpes“ heißt. Dabei handelt es sich um einen Text von Elfriede Jelinek, der von dem kongulesisch-österreichischen Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila weitergeschrieben wurde. Darauf freue ich mich sehr. Es geht um die Verantwortungsfrage: Jelinek schreibt über das Gletscherbahnunglück in Kaprun und er führt den Text in postkoloniale Diskurse weiter. Dann habe ich vor einem Jahr die Komödie „Meerjungfrauen weinen nicht“ mit Franziska Pflaum gedreht, in der Stefanie Reinsperger die Hauptrolle spielt. Das hat viel Spaß gemacht, weil es eine sehr kluge und feine Komödie ist. Die kommt nächstes Jahr ins Kino. Und jetzt lass ich alles erstmal auf mich zukommen (lacht).
Fakten
Julia Franz Richter
Geboren 1991 in Wien, absolvierte sie die Schauspielausbildung an der Kunstuniversität Graz. Auf der Diagonale erhielt sie 2020 den Schauspielpreis für ihre Rolle in „Der Taucher“. Weiters spielte sie u. a. in Katharina Mücksteins „L’Animale“. 2018 wurde sie für eine Romy als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert
Rubikon
Das Sci-Fi-Drama „Rubikon“ (Kinostart: 16. 9.) von Leni Lauritsch erzählt von drei Astronauten, die auf einer Raumstation feststecken
Filmfest Kitzbühel
„Rubikon“ ist der Eröffnungsfilm des 10. Filmfestivals Kitzbühel (bis 28. August) und feiert am Dienstag seine Österreich-Premiere
(kurier.at, Sei)
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Stand:
Über Alexandra Seibel
Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.
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